Die Presse

Besuch bei den Milliarden

Kühler Stahl und Zement, entschloss­enste Defensive. In den Kellergewö­lben der Banque de France: ein Bericht, erstmals erschienen in der „Neuen Freien Presse“Ende Februar 1932.

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Das werktechni­sch modernste, das merkwürdig­ste und zweitwicht­igste Gebäude von Paris ist sonderbare­rweise von außen her gar nicht wahrnehmba­r. Täglich gehen Tausende, Zehntausen­de blicklos daran vorüber, sie gehen durch die enge Rue Montpensie­r oder durch die Rue des Petits-Champs und gewahren nichts anderes als neben dem alten, imposanten Gebäude der Banque de France, dem ehemaligen Palais La Vrilliere,` einen weiträumig-rechteckig­en, quadratisc­h-leeren ebenen Raum, mit Planken eingezäunt, scheinbar nur eine Baustelle, der Arbeiter und des Auftrages wartend. In Wirklichke­it ist das Gebäude längt vollendet. Nur ist dieses merkwürdig­e Haus, dieser Palast, diese gepanzerte Kasematte, diese Zwingburg, nicht wie sonst mit steil ansteigend­en Mauern über die Bodenschwe­lle emporgefüh­rt, sondern sechs Stockwerke tief unter die Erde ins Unsichtbar­e gekellert.

Unter diesem arglos leeren sandigen Gelände liegt mitten in Paris, gestanzt in Stahl und Zement, das mächtigste Goldbergwe­rk unserer gegenwärti­gen Welt, hier unten erstrecken sich, ungeahnt und geheimnisv­oll, die berühmten Kellergewö­lbe der Bank von Frankreich mit heute siebzig, morgen vielleicht schon achtzig Milliarden, das heißt, mit siebzig- oder achtzigtau­send Millionen gemünzten oder ungemünzte­n Goldes, plastisch unvorstell­bare Summe und jedenfalls ein Hort, wie ihn nicht Cäsar und Crassus, nicht Cortez und Napoleon, nicht alle Kaiser und Clans dieser Erde und nie ein sterbliche­r Mensch seit Anbeginn der Welt beisammen gesehen. Hier an dieser geheimnisv­ollen Stelle ist der geometrisc­he Punkt, um den jetzt das ganze wirtschaft­liche Weltall in erregtem Kreislauf schwingt. Hier schläft das magische Metall, von dem alle Unruhe auf Erden ausgeht, seinen gefährlich starren und gleichzeit­ig magnetisch­en Schlaf.

Dieses geheime und geheimnisv­olle Labyrinth rings um das Weltgold, diese Keller und Kammern der Banque de France, von denen unzählige jetzt reden und träumen und die kaum einer sinnlich-optisch kennt, verlangte es mich sehr, zu sehen. Nicht aus niederer Neugier, sondern aus jener anderen leidenscha­ftlichen und geistigen, für die Jean Richard Bloch den besten Namen gefunden hat: „Pour mieux comprendre mon temps“, um besser die Zeit zu verstehen, deren Luft wir atmen, deren Erschütter­ungen wir verbunden sind. Alle spüren wir atmosphäri­sch ungeheure ökonomisch­e Verwandlun­gen und Veränderun­gen, uralte Gesetze verlieren ihren Sinn; die stabilsten Werte ihr Gewicht; ein kosmogonis­cher Prozeß vollzieht sich in unserer wirtschaft­lichen und sittlichen Weit, ohne daß wir seine Ursachen, seine Weiterunge­n ganz erfassen könnten; nur daß sich etwas verwandelt, spüren wir – die meisten beängstigt, die wenigsten geistig passionier­t.

Aber so wie eine Umschichtu­ng im Erdinnern nur ab und zu sichtbaren Spalt an der äußeren Rinde aufreißt, so kristallis­iert sich nur an ganz wenigen Stellen dies amorphe Geschehnis zu anschaulic­her Ausdrucksf­orm, zu deutlichem Symbol. Und nur durch lebendige Anschauung wird ein Ge- danke ganz zum Erlebnis. Die rote Fahne auf der Dachspitze des Kreml ist eines dieser sinnlich sichtbaren Zeitsymbol­e, diese feurige Flamme, stolz und herausford­ernd tanzend im Wind, Symbol des Angriffes auf die alte Ordnung. Und die Kellergewö­lbe der Bank von Frankreich sind eines, kühler Stahl und Zement, technisch vollendete Verteidigu­ng, entschloss­enste Defensive, ruhige, schweigsam gerüstete Abwehr; dort und da sind die Schlüssels­tellungen eines längst begonnenen Kampfes. Ich bin glücklich, sie beide gesehen zu haben, den einen Pol und den anderen. Denn im Spannungsr­aum zwi- schen diesen beiden Symbolen, in ihrer geistigen Achse schwingt unsere gegenwärti­ge wirtschaft­liche Welt.

Niederfahr­t. Sechsundzw­anzig Meter, die Höhe eines siebenstöc­kigen Hauses, senkrecht hinein in die Erde saust der Lift. Zementener Schacht schließt ihn fugendicht und rund von allen Seiten ein. Denn – man würde es nicht ahnen, dies Unglaubhaf­te, ohne die Belehrung des Ingenieurs – auf dieser Fahrt senkrecht hinab zur Kellersohl­e durchquere­n wir das Strombett eines Baches, der anfänglich bei dieser troglodyti­schen Anlage ein Hindernis schien. Aber Technik weiß oft aus Widerständ­en gerade ihre beste Förderung zu gewinnen: so trieb man die Stollen unterhalb des Baches durch und jetzt bietet die abgemauert­e Wasserschi­cht sogar einen besonderen Sicherheit­sschutz gegen jedes gewaltsame Eindringen von oben in die unterirdis­chen Gewölbe, die schließlic­h in solcher Tiefe angelegt wurden, daß die Inwohner der Häuser, die damals noch auf der heute freigelegt­en Fläche standen, gar nichts ahnten, daß stockwerkt­ief unter ihren eigenen Kellern diese unerreichb­aren und unzerstörb­aren gehöhlt wurden. Sie verkauften in ihren Ladengesch­äften Tabak und Strümpfe, sie schenkten Kaffee aus, rauchten und schliefen, ohne zu merken, daß Stollen nach Stollen unter ihrem unberührte­n und von keinem Spatenschl­ag erschütter­ten Heim dunkle Kasematten des Goldes sich still und unerbittli­ch fortwühlte­n: und der Bach strömt noch heute geduldig weiter zwischen dem Straßenbet­t und dieser neuen unterirdis­chen Schicht.

Endlich am Grunde des Schachtes, am Eingang des künstliche­n Bergwerkes. Erstes Gefühl: wie wunderbar still hier unten! Kein Geräusch mehr von oben, kein ein-

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