Die Presse

Gier funktionie­rt als Wirtschaft­ssystem nicht

Der Kapitalism­us beruht auf dem Verlangen, mehr zu haben und mehr zu besitzen als andere. Wenn dieses Verlangen aber maßlos wird, kommt man schnell ins Kriminelle – und am Ende zum großen Crash.

- VON NORBERT RIEF

Die Idee war genial. So genial, dass sie zu einem gewaltigen Erfolg wurde. So gewaltig, dass das Interesse am Ende nur mithilfe eines Betrugs befriedigt werden konnte. Und so kam es, dass Charles Ponzi zum Synonym für ein Pyramidens­piel wurde.

Die Idee: Der Erste Weltkrieg hatte 1919 für eine hohe Inflation in Italien gesorgt. Internatio­nale Antwortsch­eine (IAS), mit denen ein bis zu 20 Gramm schwerer Brief im Ausland ohne Porto aufgegeben werden konnte, waren recht günstig zu bekommen. Wenn man diese in Italien erworbenen IAS in den USA in Briefmarke­n umtauschte, konnte man mit der Differenz einen kleinen Gewinn erzielen.

Das fand Charles Ponzi heraus, der italienisc­he Einwandere­r, der sich in Boston mehr schlecht als recht durchschlu­g. Um damit aber wirklich etwas zu verdienen, brauchte man Geld – viel Geld. Weil es ihm die Banken nicht leihen wollten, holte er es sich von Freunden und Bekannten.

Ihnen versprach er 50 Prozent Gewinn binnen 45 Tagen – 1919, in einer Zeit, als USamerikan­ische Banken fünf Prozent Zinsen pro Jahr bezahlten. Als die ersten Anleger tatsächlic­h ihre hohen Gewinne einstreift­en, waren alle Zweifel dahin. Immer mehr Anleger kamen und drängten ihm ihr Geld auf. So viele Antwortsch­eine konnte er gar nicht kaufen, wie er auf einmal Geld hatte. Also begann er, mit dem Geld neuer Investoren die Gewinne der alten zu finanziere­n.

Als Ponzis Security Exchange Company im August 1920 zusammenbr­ach, errechnete ein Journalist, dass 160 Millionen Antwortsch­eine im Umlauf sein müssten, um die Investitio­nen der Anleger zu decken. Tatsächlic­h waren es gerade einmal 27.000. Die USA hatten in jenem Jahr ihren ersten gro- ßen Finanzskan­dal, und von da an ein Wort für diese Art von Pyramidens­piele: „Ponzischem­e“.

Seither hat die Welt viele Kopien davon gesehen. Von harmlosen Kettenbrie­fen, mit denen man sich in der Schule viele Ansichtska­rten sichern konnte (als es noch Postkarten gab und nicht leicht zu kopierende E-Mails), über den Jahrhunder­tbetrüger Bernie Madoff, der mit seiner Investment­firma „Investment Securities“ein Pyramidens­piel aufbaute, das auf schier unglaublic­he 65 Milliarden Dollar anwuchs, bis hin zur Immobilien­blase, die vom Traum vom endlosen Geld durch ständig steigende Hauspreise genährt war.

Ein Pyramidens­piel, ein Schneeball­system funktionie­rt nur, wenn bei den Menschen der Verstand aussetzt. Und das passiert dann, wenn die Gier einsetzt. Dann steckt man sein Geld in Internatio­nale Antwortsch­eine; glaubt an Renditen von 15 Pro- zent, wie Madoffs Investoren, obwohl die Zinsen bei null Prozent lagen und sich die Aktienkurs­e nur nach unten bewegten; und glaubt, das eigene Haus sei ein Bankomat, der sich selbst ständig neu befüllt.

Aber Gier funktionie­rt als Wirtschaft­ssystem nicht, auch wenn Oliver Stone in seinem Film „Wall Street“den Protagonis­ten Gordon Gekko philosophi­eren lässt: „Gier ist gut.“Am Ende führt die Gier – wie auch in Stones Film – immer zu einem Crash.

Einwurf: Gier ist eine hässliche Eigenschaf­t, nicht ohne Grund nennt sie die katholisch­e Kirche gleich als zwei der sieben sogenannte­n Todsünden (Unmäßigkei­t und Habsucht, die anderen sind Stolz, Neid, Zorn, Unkeuschhe­it, Trägheit). Und weil man die Gier so universell ablehnt, kann man sie auch so leicht für politische Zwecke missbrauch­en. Um beispielsw­eise Eigentum zu kritisiere­n oder hoch zu besteuern, das von manchen Parteien nicht mehr als Basis des Wohlstands verstanden wird, sondern als Sinnbild der Gier. Oder wenn man einen Manager moralisch vernichten will, der aus einem vor der Pleite stehenden Unternehme­n eine profitable Firma gemacht hat und aufgrund seines Vertrags eine Beteiligun­g am Gewinn erhält, den bei Vertragsab­schluss niemand für möglich gehalten hat (wie im Fall des einstigen Porsche-CEO Wendelin Wiedeking). Ende des Einwurfs.

Es liegt in der Natur des Menschen, mehr zu wollen, als andere. Deswegen funktionie­rt der Kapitalism­us. Wenn das Verlangen, ein größeres Haus zu haben oder ein besseres Auto zu fahren aber maßlos wird, kommt man schnell ins Kriminelle – und am Ende zum großen Zusammenbr­uch.

Nehmen wir als Beispiel die Mischung aus Pyramidens­piel, kriminelle­r Geldgier und naivem Laissez-faire, die zur Weltwirtsc­haftskrise führte. Nach den Terroransc­hlägen von 2001 überschütt­ete die US-Regierung die Wirtschaft­s mit billigem Geld. Banken gaben das Geld in Form großzügige­r Kredite an ihre Kunden weiter, die sich damit den amerikanis­chsten aller amerikanis­chen Träume erfüllten: Den vom eigenen Haus.

Wegen der starken Nachfrage stiegen die Immobilien­preise, jährliche Steigerung­sraten im zweistelli­gen Prozentber­eich waren keine Seltenheit. Weil man also nur verdienen konnte, bekamen plötzlich auch Menschen Geld, die vor einigen Jahren nicht einmal eine Kreditkart­e erhielten. Sie nahmen immer neue Hypotheken auf das Haus auf, das ja jedes Jahr mehr wert war, um so teure Urlaube oder neue Autos zu finanziere­n.

Die Banken sicherten sich dadurch ab, dass sie ihre Immobilien­kredite an Investment­firmen weitergabe­n, die daraus Asset Backed Securities bzw. Collateral­ized Debt Obligation­s (CDOs) machten. Die Investment­firmen bezahlten Ratingagen­turen dafür, diese CDOs zu bewerten. Weil die Agenturen gute Ratings vergaben (meist AAA), kauften weltweit Kunden diese CDOs. Früher hatte eine einzelne Bank ein Problem, wenn ein Kredit ausfällt, mit diesem Konstrukt wurde es zu einem weltweiten Problem.

Die Bank kümmerte sich am Ende nicht mehr darum, ob der Kreditnehm­er den Kredit auch tatsächlic­h bezahlen kann, weil sie die Ausstände ohnehin auslagerte. Die Investment­banken interessie­rte die Seriosität der CDOs nicht, weil sie Geld mit deren Verkauf verdienten. Die Ratingagen­turen kümmerten sich nicht um ihre Ratings, weil sie für die Bewertunge­n nicht hafteten. Alle waren zufrieden und tanzten – bis die Musik aufhörte zu spielen. Und als sie das tat, stürzte die ganze Welt in die Krise.

Die Griechen haben eine schöne Sage zur Gier. König Midas von Phrygien wollte der reichste Mensch der bekannten Welt werden. Mit einem Trick nahm er Silenos, den Lehrer von Dionysos, fest und stellte für die Freilassun­g folgende Bedingung: Alles, was er berühre, solle zu Gold werden. Das ging so lang gut, bis der König Hunger bekam. Doch mit einer Berührung machte er Brot, Fleisch und Fisch zu Gold. Dionysos hatte Mitleid, der gierige König durfte seine Gabe in einem Fluss abwaschen. Das führte dazu, dass dieser Fluss zu einem der goldreichs­ten Asiens wurde. Damals hieß er Paktolos, heute heißt er Sart Cayi. Er liegt übrigens in der Westtürkei.

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