Der Bauplan des Lebens ist gut verpackt
Wie die DNA im Zellkern verpackt ist, bestimmt die Aktivität der Gene. Die Vorarlbergerin Karolin Luger hat einst die Struktur der kleinsten Packungseinheit entschlüsselt und forscht seit 1999 in den USA weiter daran.
Insgesamt 300 Tage Sonnenschein im Jahr, ein entspanntes Kleinstadtleben im Mittleren Westen der USA und Spitzenforschung im eigenen Labor. Karolin Luger hat allen Grund, zufrieden zu sein. „New York wäre nichts für mich gewesen“, sagt sie mit einem Lächeln. „Ich bin ein Outdoor-Typ.“Dass sie Ende der 1990er-Jahre zwischen verschiedenen Unis in den Vereinigten Staaten wählen konnte, verdankt die Biochemikerin ihrem ersten großen wissenschaftlichen Erfolg: Als Postdoc an der ETH Zürich hat sie im Jahr 1997 die Struktur des Nukleosoms entschlüsselt, eines zentralen Bausteins des DNA-EiweißKomplexes Chromatin, in dem das menschliche Genom verpackt ist. Das Ergebnis ist heute Teil der Lehrbücher.
Jobangebote gab es damals auch von prestigeträchtigen privaten Unis in den USA, so genannten Ivy-League-Schools. Doch geworden ist es die Colorado State University an den Ausläufern der Rocky Mountains. „Die Gegend weckte den Abenteuergeist in meinem Mann und mir“, erzählt die gebürtige Vorarlbergerin. „Und ich durfte dort die Strukturbiologie aufrichten.“Als IT-Experte konnte auch Lugers Mann beruflich Fuß fassen.
„Der amerikanische Arbeitsstil liegt mir“, findet die Forscherin. „Während man sich an europäischen Unis durch ein hierarchisches System bewegt und viel Zeit für die Habilitation braucht, bekommt man hier relativ jung die Chance, Nägel mit Köpfen zu machen.“Nämlich dann, wenn man altersmäßig auf der Höhe seiner Kreativität sei. Herausfordernd sei es natürlich, wie überall. „Als junge Assistenzprofessorin bekam ich neun Monate Gehalt fürs Unterrichten und ein leeres Labor, das musste ich erstmal aufbauen.“Fixgelder gebe es in den USA dafür keine.
Luger hatte Glück. Auszeichnungen und Förderungen, etwa vom National Institute of Health, hielten ihr Labor von Beginn an am Laufen. Beschäftigte sie anfangs zwei Postdocs und einen Doktoranden, sind es mittlerweile 15 bis 20 Leute. Seit 2005 ist sie zudem Investigator des Howard Hughes Medical Institutes, das etwa die Hälfte der Forschungskosten trägt. „Das ist schon ein Luxus, denn wir forschen völlig frei.“Obwohl die Stiftung die Medizin im Namen trägt, beschränkt sie sich nicht darauf. „Die meisten Fortschritte in der Medizin kommen ja aus der Grundlagenforschung.“
Luger ist eine Kapazität auf dem Gebiet der Chromatinstruktur. Chromatin ist der Teil des Zellkerns, der das Genom enthält: den Bauplan des Lebens, nach dem der Körper gebildet wird. Doch für ihre verschiedenen Funktionen benötigen Haut-, Hirn- oder Blutzellen nur die Anweisungen einzelner Gene. Die Verpackung des Bauplans muss so ausgeklügelt sein, dass jeder Zelltyp genau den für ihn richtigen Bereich herausholen und ablesen kann und ihm alles andere verborgen bleibt. Gerät diese Ordnung durcheinander, können Krankheiten wie etwa Krebs entstehen.
„Unter dem Mikroskop ähnelt das einer Perlenkette. Der Chromosomenfaden mit dem Erbgutmolekül DNA wickelt sich in einer Abfolge von jeweils zwei Windun- gen um winzige Proteinscheiben“, so Luger. „Das sind die Nukleosomen, die kleinste Packungseinheit. Da drin sind quasi die spezifischen Planrollen.“Unter anderem erforscht sie die Wechselwirkung zwischen ihnen. Die DNA-Kette, aufgespult zwei Meter lang, muss sich in den Zellkern von nur einem hundertstel Millimeter Durchmesser pressen. „Wir wollen auch wissen, warum sie sich dabei nicht verknotet, wie die Reparatur bei Beschädigungen abläuft und warum diese manchmal schiefgeht.“
2015 wechselte Luger samt Labor an die University of Colorado
(55) studierte von 1981–1986 Biologie an der Uni Innsbruck, dissertierte 1989 an der Uni Basel und entschlüsselte als Postdoc an der ETH Zürich die Struktur des Nukleosoms. 1999 wurde sie Professorin an der Colorado State University, USA, und baute dort ein Labor auf. 2015 wechselte sie samt diesem an die University of Colorado at Boulder. Sie ist seit 2005 Investigator des Howard Hughes Medical Institutes und wurde 2017 in die in Boulder. Heuer wurde Luger in die European Molecular Biology Organisation und in die amerikanische National Academy of Sciences gewählt. Berührt hat sie auch die Aufnahme in die altehrwürdige American Academy of Arts and Sciences im Vorjahr, in der neben Genies wie Albert Einstein auch viele Ausnahmekünstler vertreten sind. „Ohne Kunst und Forschung sähe es düster aus für die Menschheit“, ist sie überzeugt.
Ihr Ausbildungsauftrag liegt ihr am Herzen. „Ich glaube, dass man jun- American Academy of Arts and Sciences sowie 2018 in die National Academy of Sciences (NAS) aufgenommen.
wurde 1878 gegründet, hat 28.000 Studierende und ist eine sogenannte „Public Ivy“, das heißt, sie zählt zu den besten staatlichen Unis der USA. Unter den früheren und gegenwärtigen Professoren finden sich sieben Nobelpreisträger. gen Forschern in den USA enthusiastischer und unterstützender begegnet als in Europa.“Umgekehrt ortet sie bei den Jungen in Amerika mehr Unbefangenheit und Zuversicht. „Wenn ich mit dem Nachwuchs aus Europa spreche, schlägt mir so viel Resignation entgegen, besonders von Frauen.“In ihrer Studienzeit habe es kaum weibliche Vorbilder gegeben. „Ich hoffe, dass die Sichtbarkeit von Forscherinnen wie mir etwas bewirkt.“Nach der Geburt der heute 14-jährigen Tochter sei ihr Mann zu Hause geblieben. „Ich möchte Frauen ermutigen, entschlossener an die so genannte gläserne Decke zu klopfen. Wissenschaft ist so ein toller Job, der mit viel Spaß und persönlichem Freiraum verbunden sein kann. Das ist den Kampf wert.“
Einen weiteren Unterschied zu Europa sehe sie darin, dass Renommee bei Forschungsanträgen weniger zähle. Selbst ein Nobelpreis schütze in den USA nicht unbedingt vor einem abschlägigen Bescheid. „Ich finde es aber richtig, dass man sich in der Forschung stets aufs Neue beweisen muss.“