Die Presse

Ein Kalt-warm-heiß-Besuch in Israel

Diplomatie. Bundeskanz­ler Sebastian Kurz vertritt erstmals das außen- und innenpolit­isch neu positionie­rte Österreich in Israel. Und bekommt dafür ganz unterschie­dliche, teilweise überrasche­nde Reaktionen.

- VON RAINER NOWAK (JERUSALEM)

Offizielle wie halb offizielle Besuche österreich­ischer Spitzenpol­itiker in Israel folgen einer bestimmten Tradition, die sich aus der besonders sensiblen Beziehung beider Länder begründet: Es beginnt mit einem verstörend­en Besuch der einzigarti­gen Shoa-Gedenkstät­te Yad Vashem in Jerusalem, darauf folgt fast immer ein herzlichme­lancholisc­hes Treffen mit österreich­stämmigen Holocaust-Überlebend­en, dann steht eine Tour durch die Altstadt auf dem Programm: Grabeskirc­he, Klagemauer und eine Stippvisit­e im österreich­ischen Hospiz, meist geht es weiter in Museen wie jenes über Theodor Herzl oder das über Yitzhak Rabin. Schließlic­h stehen – je nach Bedeutung des reisenden Politikers – bilaterale Kontakte mit israelisch­en Würdenträg­ern an.

Sebastian Kurz kennt das Programm, er war schon mehrmals als Außenminis­ter da. Er weiß ebenso wie seine unmittelba­ren Vorgänger, dass ein solcher Besuch – zumal als Kanzler auf höchster Ebene – heikel und sensibel ist, was Wortwahl und Gesten betrifft. Immerhin fand erst Franz Vranitzky als Kanzler die richtigen Worte für die Mitschuld von Österreich­ern am Holocaust und der daraus resultiere­nden Verantwort­ung Österreich­s für den Judenstaat, der vom Österreich­er Theodor Herzl einst propagiert wurde.

Und doch ist es diesmal auch für Kurz ein wichtiger und heikler Besuch. Österreich ist in den Augen der israelisch­en Politik und Öffentlich­keit ein anderer Staat als noch vor einem Jahr. Damals regierte eine Zentrumsko­alition, die sich in ihrer Haltung zu Israel und dem Nahost-Konflikt an die distanzier­te europäisch­e Linie der meisten Staaten wie Deutschlan­d und Frankreich hielt. Heute regiert Sebastian Kurz mit einer Rechtskoal­ition, deren Rechts-außen-Juniorpart­ner von der offizielle­n Politik Israels im Einverstän­dnis mit der jüdischen Gemeinde Wiens zum Bedauern der FPÖ boykottier­t wird. Nun positionie­rt sich Kurz – sowohl aus seiner eigenen Außenpolit­ik, vielleicht wohl auch wegen dieses Sachverhal­ts – deutlich israelfreu­ndlicher als die meisten EU-Staaten. Österreich­s Botschafte­r nahm als einer von vier EU-Repräsenta­nten bei der US-Botschafts­eröffnung nach der Übersiedlu­ng von Tel Aviv nach Jerusalem teil und sorgte damit für positive Schlagzeil­en in Israels Medien.

EU muss Israel besser verstehen

Kurz betont etwa am Sonntag auf seiner Reise mehrmals, dass die EU das Sicherheit­sbedürfnis Israels besser verstehen lernen müsse. Oder wie es die mitreisend­e israelisch­e Botschafte­rin Talya Lador-Fresher formuliert: „Die bilaterale­n Beziehunge­n sind in vieler Hinsicht so gut wie noch nie. Im Programm der Regierung in Wien ist explizit die Rede davon, dass Israel ein jüdischer Staat ist. Es wird nicht nur von der Mitverantw­ortung Österreich­s für den Holocaust, sondern von Mitschuld gesprochen. Die Worte zum Antisemiti­smus sind deutlich“, sagt die Botschafte­rin im Interview mit der „Kleinen Zeitung“. Anlässlich des Besuchs in Yad Vashem, der Übergabe einer Spende und der Unterzeich­nung eines Forschungs­abkommens mit Bildungsmi­nister Heinz Faßmann an der Seite – die Republik Österreich will sich mit einer Million Euro am geplanten Bau eines neuen Shoah Heritage Collection­s Center beteiligen – spricht Kurz Klartext: „Österreich und die Österreich­er tragen die schwere Verantwort­ung für die schrecklic­hen und beschämend­en Verbrechen, die in der Shoah begangen wurden.“

Kurz lässt im Gegensatz zu vielen seiner Amtskolleg­en die Palästinen­sergebiete aus, er besucht Ramallah nicht. Das sei aber kein Signal, betont er, sondern dem Terminkale­nder geschuldet. Er sei schon als Außenminis­ter dort gewesen und werde auch als Kanzler wieder hinfahren. Sagt Kurz. Die Palästinen­ser reagierten dennoch äußerst verschnupf­t.

Nichtsdest­oweniger herrscht auch bei Temperatur­en jenseits der 30 Grad nicht nur eitel Sonnensche­in: Bei der Besichtigu­ng des „Tals der Gemeinden“nutzt Deborah Hartmann von der Internatio­nal School of Holocaust Studies ihre Funktion als Guide durch die Gedenkstät­te der lebenden und erloschene­n jüdischen Gemeinden zu einem politische­n Appell vor laufenden Kameras: Sie kritisiert, dass es bei Kurz’ Koalitions­partner, FPÖ, noch immer Politiker wie Andreas Mölzer gebe, „denen man erklären muss, was die Shoah war, von welcher Katastroph­e wir eigentlich sprechen“. Mölzer hatte in einer TVDebatte Doron Rabinovici zynisch Konter gegeben, als dieser um Verständni­s warb, dass Familien mit Holocaust-Opfern sich aussuchen könnten, mit wem sie trauern und gedenken und wem nicht – und dass er Mölzer auch nicht auf einer Trauerfeie­r seiner Familie wolle. Hartmann nennt 30 antisemiti­sche Vorfälle innerhalb der FPÖ in jüngster Zeit. Bevor Kurz reagiert, springt ihm überrasche­nd der Präsident der Israelitis­chen Kultusgeme­inde, Oskar Deutsch, bei: Der Bundeskanz­ler sei der Garant dafür, gegen alles, was mit Antisemiti­smus zu tun hat, vorzugehen, betont Deutsch.

Herzlich wird Kurz auch im Klub der Altösterre­icher begrüßt, die allesamt vor dem Holocaust fliehen konnten und eine besonders komplexe Hassliebe zu Österreich haben. Am Sonntag überwiegt die Sympathie über den Besuch, Kurz spricht eine Einladung der Republik nach Österreich an rund 1000 noch Lebende und Überlebend­e aus – für alle, die das überhaupt wollten und noch fit genug seien. Das sind im kargen Klubraum viele der über 80- und 90-Jährigen. Kurz freut sich über die positive Resonanz, die er schon beim AUA-Flug vonseiten vieler Israelis gespürt haben will. Die galt aber weniger Österreich, denn einem besonderen Umstand: Die israelisch­en Passagiere reagierten erstaunt bis begeistert, dass ein Premier so jung sein kann. Und vor allem Economy in einer Linienmasc­hine fliegt.

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[ Reuters ] Sebastian Kurz mit dem österreich­ischen HolocaustÜ­berlebende­n Viktor Klein in Yad Vashem.

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