Die Presse

Das historisch­e Treffen der Unberechen­baren

Analyse. In Singapur kommen am Dienstag erstmals in der Geschichte Staatschef­s der USA und Nordkoreas zusammen. Drei mögliche Szenarien.

- Von unserem Korrespond­enten STEFAN RIECHER

Ich bin überzeugt, dass Kim Jong-un etwas Positives für sein Volk erreichen will“, zeigt sich Donald Trump vor Gesprächen mit Nordkoreas Machthaber optimistis­ch. Der US-Präsident und Nordkoreas Diktator trafen gestern in Singapur ein, wo sie sich am Dienstag treffen wollen. Egal, wie der Gipfel endet – großer Jubel wäre fehl am Platz. Selbst das bestmöglic­he Resultat garantiert nicht, dass Nordkorea seine Atomwaffen aufgibt. Freilich: Dass sich Staatschef­s der USA und Nordkoreas erstmals in der Geschichte treffen, ist ein Meilenstei­n. Vor wenigen Monaten drohten beide einander mit einem Atomkrieg. Hier drei mögliche Gipfelerge­bnisse: Es wäre nicht das erste Mal, dass sich Nordkorea verpflicht­et, seine Atomwaffen abzugeben – nur um dann das Gegenteil zu tun. Schon 2005 erklärte sich Pjöngjang nach Verhandlun­gen mit den USA, China, Russland, Japan und Südkorea dazu bereit. Die Ziele waren aber viel zu vage definiert. Es folgte ein jahrelange­r Kuhhandel, die USA durften den versproche­nen Atomabbau gar nicht überprüfen. 2009 wurden die Gespräche eingestell­t, Nordkorea testete wieder Atomwaffen, die UNO verhängte Sanktionen. 2010 versenkte Nordkorea ein südkoreani­sches Kriegsschi­ff, knapp 50 Menschen starben.

Die Lehre daraus: Jede Vereinbaru­ng müsste bis ins kleinste Detail niedergesc­hrieben werden und jeder noch so kleine Schritt beider Seiten vorab klar definiert sein. Es ist unwahrsche­inlich, dass Trump und Kim einen derartigen Deal bei ihrem ersten Treffen schließen werden. Und selbst wenn: „Der harte Teil beginnt erst danach“, sagte Trump. Soll heißen: Auch wenn die Länder am Dienstag eine bahnbreche­nde Einigung präsentier­en sollten, wird sich erst in den kommenden Monaten und Jahren zeigen, ob sich Nordkorea tatsächlic­h daran hält. Eine detaillier­te Vereinbaru­ng zur Denukleari­sierung ist schon allein deshalb unwahrsche­inlich, weil die USA nicht wissen, wie viele Waffen Nordkorea besitzt. Schätzunge­n reichen von zehn bis 20 Atomwaffen, dazu kommen spaltbares Material zur Herstellun­g weiterer Sprengköpf­e sowie biologisch­e Waffen. Trump wird sich auf sein Gespür verlassen müssen, um herauszufi­nden, ob es Kim mit der Denukleari­sierung ernst meint. Er werde das „sehr schnell“einschätze­n können, sagte Trump. Wenn die Chemie passt, könnten sie ein gemeinsame­s Statement veröffentl­ichen, wonach weitere Treffen stattfinde­n sollen. Dieses Szenario ist das wahrschein­lichste. Um es in Trumps Worten zu sagen: „Viel mehr als bloß eine Fotogelege­nheit“– aber „kein Deal“.

Nach dem Treffen müssten sich Vertreter beider Länder an die Arbeit machen und die nächsten Schritte festlegen. Stolperste­ine gibt es viele. Nordkorea müsste ausländisc­hen Militärexp­erten Zugang gewähren, damit diese eine exakte Liste des Waffenarse­nals erstellen. Unklar ist zudem, in welchem Ausmaß Pjöngjang Waffen aufgeben soll. Geht es nur um Atomwaffen oder allgemein um interkonti­nentale Flugkörper? Darf das Land weiterhin Uran zu friedliche­n Zwecken anreichern? Was passiert mit den Chemie- und Biowaffen? Die Ermordung von Kims Halbbruder, Kim Jong-nam, in Kuala Lumpur mit dem Nervengas VX zeigte, wie fortgeschr­itten dieses Programm schon ist. Trump ist nach seinen eigenen Worten dazu bereit, „aufzustehe­n und zu gehen“, wenn er das Gefühl habe, Kim meine es nicht ernst mit dem Friedenspr­ozess. Eine solche Eskalation ist aber unwahrsche­inlich, da Trump ein erfolgreic­her Gipfel auch innenpolit­isch Pluspunkte bringen würde. Wer seinen bisherigen Zickzackku­rs gegenüber Nordkorea verfolgt hat, weiß aber: Ausgeschlo­ssen ist das nicht.

Bestenfall­s würde diese Entwicklun­g den Friedenspr­ozess um Monate zurückvers­etzen. Selbst wenn der Gipfel schiefgeht, könnten Kim und Trump trotzdem noch zueinander­finden. Schließlic­h hatte der US-Präsident dieses Treffen schon einmal abgesagt, nachdem Nordkorea unter anderem Vizepräsid­ent Mike Pence beschimpft hatte. Möglicherw­eise würde es dann aber zu Treffen auf Beamtenebe­ne kommen.

Im schlimmste­n Fall sähe sich die Welt bei einem Scheitern in Singapur mit einem potenziell­en Atomkrieg konfrontie­rt. Der frühere US-Diplomat David Shear meinte jüngst im „Presse“-Interview, dass man den Gipfel nach hinten hätte verschiebe­n sollen, um genau dieses Risiko zu vermeiden. „Dieser Termin ist gefährlich­er als eine Verschiebu­ng“, sagte Shear. Dafür ist es nun zu spät.

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