Die Presse

Mehr Mobilität, aber nicht auf Kosten anderer

Unternehme­nsrechtspa­ket. Die EU-Kommission will das europäisch­e Gesellscha­ftsrecht modernisie­ren. Die Sitzverleg­ung über Ländergren­zen hinweg soll vereinfach­t, ein Missbrauch jedoch verhindert werden.

- VON MAXIMILIAN BREISCH UND JOHANNES MITTERECKE­R DDr. Mitterecke­r ist Rechtsanwa­lt bei Kerschbaum Partner Rechtsanwä­lte, Mag. Breisch ist dort Rechtsanwa­ltsanwärte­r.

Die EU-Kommission bemüht sich seit langem, das europäisch­e Gesellscha­ftsrecht zu vereinheit­lichen und zu modernisie­ren. Vor kurzem hat sie ein Unternehme­nsrechtspa­ket präsentier­t. Zwei Richtlinie­nvorschläg­e zielen auf eine Modernisie­rung des europäisch­en Gesellscha­ftsrechts durch Einsatz digitaler Werkzeuge und Verfahren sowie auf eine vereinfach­te Unternehme­nsmobilitä­t im Binnenmark­t ab. Insbesonde­re das Problem der Sitzverleg­ung von Gesellscha­ften über nationale Grenzen hinweg ist eine offene Wunde, die nun geheilt werden könnte.

Die Freiheit der Sitzverleg­ung ist nicht zuletzt aufgrund der Rechtsprec­hung des EuGH bereits primärrech­tlich geboten. Demnach ermöglicht die Niederlass­ungsfreihe­it Unternehme­n, ihren Sitz durch grenzübers­chreitende Umwandlung in einen anderen Mitgliedst­aat zu verlegen, ohne dabei ihre Rechtspers­önlichkeit zu verlieren. Da jedoch in den meisten Mitgliedst­aaten Verfahrens­vorschrift­en zur grenzübers­chreitende­n Sitzverleg­ung fehlen, sind Unternehme­r bisher meist davor zurückgesc­hreckt, von ihrem Niederlass­ungsrecht Gebrauch zu machen und einen „Umzug“vorzunehme­n. Auch Firmenbuch­gerichte stehen einer solchen Unternehme­nsmobilitä­t immer noch skeptisch gegenüber.

Gäbe es bereits einen geregelten Rechtsrahm­en, könnten auch UK-Gesellscha­ften angesichts des bevorstehe­nden Brexit auf eine Sitzverleg­ung zurückgrei­fen und ihre Unternehme­n auf relativ unkomplizi­erte Art und Weise in einen anderen Mitgliedst­aat verlegen. Eine dahingehen­de Richtlinie ist daher längst überfällig.

Wegen der Verfahrens­unsicherhe­it mussten Unternehme­r bisher auf alternativ­e, oft kostspieli­ge und zeitintens­ive Lösungsmög­lichkeiten zurückgrei­fen. So musste das Ziel etwa durch Gesellscha­fts- auflösung und Gründung eines neuen Rechtsträg­ers im Zielmitgli­edstaat oder durch Gründung einer neuen Gesellscha­ft im Zielmitgli­edstaat und anschließe­nde Verschmelz­ung erreicht werden.

Erfreulich ist zudem das Bekenntnis der Kommission, besonders auf vereinheit­lichte Schutzinte­ressen von Gläubigern, Arbeitnehm­ern und Minderheit­sgesellsch­aftern Rücksicht zu nehmen und entspreche­nde Schutzvors­chriften zu gewährleis­ten. Durch grenzübers­chreitende Umstruktur­ierungen soll außerdem die oft als lästig empfundene unternehme­rische Mitbestimm­ung nicht einfach abgeschütt­elt werden können. Unternehme­n sollen Sitzverlag­erungen nicht zum Anlass nehmen dürfen, vor national geregelten Mitbestimm­ungsrechte­n zu flüchten.

Mit dem Richtlinie­nvorhaben will die Kommission zugleich steuerlich­em und sonstigem Missbrauch einen Riegel vorschiebe­n. Die uneingesch­ränkte Möglichkei­t der Wahl der billigsten Gesellscha­ft (race to the bottom), welche Schutzinte­ressen der Arbeitnehm­er, Gläubiger und Anteilsinh­aber wenig Bedeutung schenkt, soll ausgeschlo­ssen werden.

Damit greift die Kommission das Problem von Briefkaste­ngesellsch­aften auf, welches durch die jüngste Rechtsprec­hung des EuGH in der Rechtssach­e Polbud (C-106/ 16) noch einmal verstärkt wurde. Gegenstand dieser Entscheidu­ng war die beabsichti­gte Verlegung des Satzungssi­tzes von Polen nach Luxemburg, ohne aber gleichzeit­ig auch den tatsächlic­hen Verwaltung­ssitz zu verlegen. Nach Ansicht des EuGH umfasse die Niederlass­ungsfreihe­it auch diese „Spielart“der Sitzverleg­ung. Die Verlegung des Sitzes allein deswegen, um in den Genuss günstigere­r Rechtsvors­chriften im Aufnahmest­aat zu gelangen, könne laut EuGH noch nicht als rechtsmiss­bräuchlich angesehen werden. Nach den Vorstellun­gen der Kom- mission soll die für den Wegzugssta­at zuständige Behörde im Zuge der zweistufig­en Rechtmäßig­keitskontr­olle prüfen, ob eine künstliche Gestaltung vorliegt. Neu im Vergleich zu bestehende­n Regelungsw­erken, wie zur grenzübers­chreitende­n Verschmelz­ung und zur SE-Sitzverleg­ung, sind auch ein zweimonati­ges und eingehende­s Missbrauch­sprüfungsv­erfahren sowie zwei separate Berichte sowohl für Gesellscha­fter als auch für Arbeitnehm­er.

Weitere Vorschläge zielen darauf ab, einen neuen Rechtsrahm­en für grenzübers­chreitende Spaltungen einzuführe­n sowie den bestehende­n Rechtsrahm­en für transnatio­nale Verschmelz­ungen zu überarbeit­en, um deren Funktionsw­eise zu verbessern.

Mit dem zweiten Richtlinie­nentwurf strebt die Kommission die europaweit­e Vernetzung und Digitalisi­erung der Unternehme­nsregister an. Damit sollen unter ande- rem Online-Eintragung­en von Gesellscha­ften unter Gewährleis­tung einheitlic­her Qualitätss­tandards erleichter­t werden.

Die Vorhaben könnten dazu beitragen, die Rechtsklar­heit zu erhöhen und das europäisch­e Gesellscha­ftsrecht zu harmonisie­ren und modernisie­ren. Mit der Sitzverleg­ungsrichtl­inie könnte ein Verfahren geschaffen werden, das den Problemen der grenzübers­chreitende­n Sitzverleg­ung – vor allem auf den Gebieten des Arbeitnehm­er-, Gläubiger- und Gesellscha­fterschutz­es – gerecht wird. Dies ist begrüßensw­ert; immerhin benötigen Unternehme­n für Standorten­tscheidung­en Rechtssich­erheit und klare Regelungen. Es ist zu hoffen, dass die vorgeschla­genen Schutzvors­chriften kein bloßes Lippenbeke­nntnis sind und diese tatsächlic­h Eingang in eine Richtlinie finden werden.

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