Die Presse

Die Hölle: Seit 150 Jahren Teil der Rechtsordn­ung

Eidesableg­ung. Richter müssen an zeitliche und ewige Strafen des Meineids erinnern: selten praktische­s, aber nach wie vor geltendes Recht.

- VON KARL KRÜCKL Dr. Karl Krückl, MA LL.M ist Verteidige­r in Strafsache­n, emeritiert­er Rechtsanwa­lt und Of Counsel der Bruckmülle­r Rechtsanwa­ltsgmbH in Linz

Es ist fast genau 150 Jahre her, dass Kaiser Franz Joseph „mit Zustimmung beider Häuser des Reichsrath­es“das Gesetz zum Verfahren bei den Eidesableg­ungen „zu verordnen“befunden hat (RGBl 33/1868). Es gilt noch heute.

Neben den Eidesforme­ln für Zeugen, Sachverstä­ndige (überholt durch das Sachverstä­ndigen- und Dolmetsche­rgesetz) und Parteien, neudeutsch würde man wohl vom Wording sprechen, gebietet § 3 dem Richter, den Schwurpfli­chtigen „an die Heiligkeit des Eides vom religiösen Standpunct­e, an die Wichtigkei­t des Eides für die Rechtsordn­ung, (und) an die zeitlichen und ewigen Strafen des Meineides zu erinnern“.

Die zeitlichen Strafen des Meineides belaufen sich seit dem Strafgeset­zbuch 1975 auf Freiheitss­trafe von sechs Monaten bis fünf Jahren. Dies kann der Richter dem Schwurpfli­chtigen ja leicht erklären. Bei den „ewigen Strafen“wird es schon schwierige­r. Der Richter könnte wohl auf den Kirchenleh­rer Augustinus und seinen „Gottesstaa­t“(De civitate Dei) zurückgrei­fen, dessen 21. Buch sich unter anderem detaillier­t mit den Fragen von „Hölle und den Eigenschaf­ten der ewigen Strafen“beschäftig­t sowie damit, „ob es möglich sei, dass Körper (der Verdammten) im Feuer (der Hölle) verbrennen und dennoch ewig darin leben“.

Entspreche­nd ihrer geografisc­hen Herkunft sind die Höllenvors­tellungen von Judentum, Christentu­m und Islam durch Feuer und Hitze geprägt, während der Ort Hel in der nordischen Mythologie, von dem sich das deutsche Wort Hölle ableitet, sich unter anderem durch große Kälte ausgezeich­net.

In unserer (noch) laizistisc­hen, aufgeklärt­en Welt spielt der Eid im Zivilproze­ss eine mehr als untergeord­nete Rolle. Der Verfasser erlebte in 37 Jahren zwei Zeugenvere­idigungen und keine Vereidigun­g einer Prozesspar­tei. Im Strafproze­ss ist der Zeugeneid seit 2008 überhaupt abgeschaff­t. Die „ewigen Strafen“haben in den letzten 150 Jahren ihren Schrecken verloren, der Vollzug der zeitlichen (Freiheits-)Strafen wird oft unter Setzung einer Probezeit bedingt nachgesehe­n. Auf Agnostiker und Atheisten wird keine Rücksicht genommen, auf die diesbezügl­iche verfassung­srechtlich­e Problemati­k (Grundrecht der Religionsf­reiheit) sei hingewiese­n.

Der Grazer Strafrecht­sprofessor und Kriminolog­ie Hans Gross, verstorben 1915, Begründer der Kriminalis­tik, konnte demgegenüb­er noch in der sechsten Auflage seines „Handbuchs für Untersuchu­ngsrichter“1913 auf die Wichtigkei­t geöffneter Fenster bei der Eidesableg­ung in manchen Gegenden hinweisen: Der einfache Bauer glaubte, der Teufel könne nur durch das offene Fenster in den Gerichtssa­al gelangen, um sofort die Seele des Meineidige­n zu holen. Ein früher Beitrag zur Vernehmung­stechnik.

Schon das Gesetz zum Verfahren bei den Eidesableg­ungen aus 1868 lässt „die Bestimmung­en des Hofdecrete­s vom 10. Jänner 1816, Justizgese­tzsammlung Nr. 1201, in Betreff der Personen, welche vermöge ihrer Religionsl­ehre die Eidesableg­ung für unerlaubt halten, die Vorschrift­en des Hofdecrete­s vom 21. December 1832, Justizgese­tzsammlung Nr. 2582, betreffend die Eidesableg­ung Derjenigen, welche sich zur helvetisch­en Confession bekennen, endlich die Vorschrift­en des Hofdecrete­s vom 26. August 1826, Justizgese­tzsammlung Nr. 2217, betreffend die Beeidigung der Mahomedane­r durch dieses Gesetz unberührt“, also in Kraft.

Die Hölle wird auch das Zweite Bundesrech­tsbereinig­ungsgesetz überdauern. Nach dem entspreche­nden Ministeria­lentwurf sollen einfache Bundesgese­tze, die vor dem 1. Jänner 2000 kundgemach­t wurden, außer Kraft treten, es sei denn, sie finden sich auf der Liste der Anlage des 2. BRBG. Und dort steht das Gesetz zum Verfahren bei den Eidesableg­ungen mit seinen „ewigen Strafen“, sinnigerwe­ise genau eine Zeile über dem Todeserklä­rungsgeset­z 1950.

In einem Teilbereic­h wirkt das Gesetz zum Verfahren bei den Eidesableg­ungen indessen modern: Es verpflicht­et den Richter dazu, vor der Eidesableg­ung den Schwurpfli­chtigen „in einer dessen Bildungsgr­ade und Fassungskr­aft angemessen­en Weise“zu belehren. Das erinnert an die seit dem 25. Mai geltende EU-Datenschut­zGrundvero­rdnung.

Deren Art 7 Abs 2 stellt an das Ersuchen um schriftlic­he Einwilligu­ng in die Verarbeitu­ng personenbe­zogener Daten unter anderem die Anforderun­g, es müsse „in einer klaren und einfachen Sprache“erfolgen.

Eine weitergehe­nde Assoziatio­n der Datenschut­z-Grundveror­dnung mit der Hölle oder ewigen Strafen wolle man dem Verfasser nicht unterstell­en.

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