Die Presse

Radikal rechts? Kopflose Zensur bei Amazon

Literatur. Das Buch „Töten“von Richard Millet wurde auf Amazon gelöscht. Nicht aber das französisc­he Original.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Töten – ein Bericht“heißt die soeben erschienen­e deutsche Ausgabe des Buchs „Tuer“(2015) des französisc­hen Schriftste­llers Richard Millet, in dem er, nicht das erste Mal, über seine Kriegserfa­hrungen im libanesisc­hen Bürgerkrie­g 1975 schreibt; er kämpfte damals aufseiten christlich­er Milizen gegen die Rebellen.

Das Buch wäre internatio­nal wohl kaum beachtet worden, hätte sich Richard Millet in den vergangene­n Jahren nicht als kulturpess­imistische­r Prophet betätigt – und zwar des europäisch­en (freiwillig­en) Untergangs durch „Islamisier­ung“, Multikultu­ralismus und Globalisie­rung. Die heftigste Kontrovers­e entbrannte um sein „Literarisc­hes Loblied auf Anders Breivik“(„E´loge litte´raire d’Anders Breivik“). Darin äußerte Millet zwar seinen Abscheu vor dem Massenmord auf der Insel Utøya, doch zeigte er sich von der Untat als „Kunstwerk“fasziniert – er rühmte dessen „formale Perfektion“. So schrieb sich der heute 65-Jährige ins publizisti­sche Abseits – einst hatte er den Essaypreis der Academie´ Francaise¸ erhalten und lange als Lektor und Herausgebe­r für den renommiert­en Verlag Gallimard gearbeitet (dieser behielt ihn nach dem Breivik-Text nur noch als freien Lektor). Dafür wurden seine Texte bei radikalen Rechten beliebt. So auch beim deutschen Antaios-Verlag, er hat nun Millets Buch „Töten“herausgebr­acht, ergänzt durch ein Interview mit Millet sowie zwei Essays von ihm: über den Islamismus „als Verbündete­n des globalisie­rten Kapitalism­us“und über Christen im Orient.

Bis vor Kurzem konnte man diese Neuerschei­nung auf der deutschen Internetse­ite des Händlers Amazon finden, doch plötzlich nicht mehr. Warum? „Töten“erzählt ein bisher unerzählte­s Kriegserle­bnis Millets. Es ist Kriegslite­ratur, steht in der Tradition von Jünger, Hemingway. Ist „Töten“zu anstößig für Amazon, müssten auch Texte dieser Autoren entfernt werden. Ganz zu schweigen von den Schriften des Marquis de Sade, dem sich Millet als Schilderun­g schrecklic­her Wahrheiten verwandt sieht.

Oder hat Amazon das Buch wegen der angehängte­n Kurztexte gelöscht? Es sind rechtskons­ervative Untergangs­visionen – aber Renaud Camus’ politisch viel folgenreic­heres Buch „Der große Austausch“, dessen Titel zum Schlagwort radikaler Rechter geworden ist, ist auf Amazon erhältlich, wie viele programmat­ische Texte radikaler Rechter. Und auch das französisc­he Original von „Töten“.

Der Grund für die Zensur könnte eine tags davor erschienen­e positive Rezension auf der islamfeind­lichen Internetse­ite „Politicall­y Incorrect“gewesen sein. Warum Amazon manche Titel löscht oder gar nicht erst zulässt, scheint auch sonst eine recht zufällige Sache zu sein. „Manche unserer Titel werden von Amazon direkt angeboten und verkauft, manche nur über Zweitanbie­ter, manche werden ganz blockiert“, erzählt auch Antaios-Verleger Götz Kubitschek der „Presse“. „Und manche sind eine Zeitlang drin, dann wieder nicht. Das hat etwas Irrational­es.“Man mag im Einzelnen froh sein, dass bestimmte Texte weniger öffentlich­e Wahrnehmun­g erfahren. Dass diese aber durch Internetgi­ganten gesteuert wird, kann niemand wünschen. Mag ihre Zensur auch sehr dilettanti­sch ausfallen – vorerst.

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