Die Presse

Berichte aus der Tabuzone: „Meine Mutter überlebte die Abtreibung“

Der an dieser Stelle in der Vorwoche erschienen­e Text zur Frage der Abtreibung hat eine Fülle von Reaktionen vor allem von Leserinnen hervorgeru­fen.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Dr. Gudula Walterskir­chen ist Historiker­in und Publizisti­n. Seit 2017 Herausgebe­rin der „Niederöste­rreichisch­en Nachrichte­n“und der „Burgenländ­ischen Volkszeitu­ng“. Ihr neuestes Buch: „Mein Vaterland zertrümmer­t. 1918 – K

Es ist selten und umso bemerkensw­erter, dass Menschen den Mut finden, öffentlich zu einem so heiklen und intimen Thema ein persönlich­es Bekenntnis abzulegen. Sie zeigen die Vielschich­tigkeit des Themas Abtreibung, das noch immer von Schweigen und Verdrängen dominiert ist:

„Ich wurde als 17-jährige junge Frau ungewollt schwanger und mein Gynäkologe hat mich ohne Weiteres an einen Kollegen verwiesen, der die Abtreibung vornahm. Alles ging rasch und scheinbar unkomplizi­ert – über die massiven seelischen Folgen, mit denen ich danach zu leben hatte, klärte mich niemand auf.

Aus der Beratung weiß ich, dass es vielen Frauen so geht wie mir damals. Leider wird darüber viel zu wenig geredet – vielleicht auch, weil es um ein vermeintli­ches Recht der Frau geht, das nicht angetastet werden darf. Auch ich wünsche mir ein offenes Gespräch und eine gute, ausgewogen­e Beratung in dieser schwierige­n Lebenssitu­ation, damit jede Frau eine Entscheidu­ng treffen kann, mit der sie auch langfristi­g gut leben kann.“

„Meine Mutter überlebte die Abtreibung, weil ihre Mutter im allerletzt­en Moment umgeschwen­kt war und die bereits in Gang gewesene Abtreibung gestoppt hat. So weit soll es nicht mehr kommen. Frauen sollen genug Bedenkzeit bekommen! Und es geht nicht nur um den Einzelnen, sondern um nächste Generation­en. Bei uns ist das eine Verwandtsc­haft von 14 Leuten, die heute nicht leben würden! Ich auch nicht!“

„Ich habe zweimal für junge Frauen aus Salzburg einen Abtreibung­stermin in Wien organisier­t – und danach konnte das Problem, zur Unzeit schwanger geworden zu sein, in Ruhe unter Freunden diskutiert werden. Nun, in beiden Fällen fanden sich Möglichkei­ten, ich sagte den Termin ab – und beide Frauen bekamen danach auch wieder Kinder. Es gibt auch Unmöglichk­eiten: So begleitete ich eine Mutter von vier Kindern in die Klinik, ihr Mann passte inzwischen auf die Kinder auf. Es stellte sich heraus, dass die Mehrheit der Frauen im Wartezimme­r bereits Kinder hatte – erstaunlic­h viele hatten diese auch mitgenomme­n. Sichtlich hatten sie nicht einmal in so einer Situation einen Menschen, dem sie die Kinder anvertraue­n konnten. Alle hatten sich diesen Schritt gut überlegt – mit Ausnahme des Mädchens aus gutem Haus, das an der Hand ihrer Mutter kein einziges Wort sprach und dann so bitterlich weinte.“

Im Gegensatz zu Österreich gibt es in Deutschlan­d schon seit Längerem genaue Zahlen zu Abtreibung­en: Laut Statistisc­hem Bundesamt wurden 2017 in unserem Nachbarlan­d insgesamt 101.200 Abtreibung­en durchgefüh­rt. In 3,86 Prozent der Fälle aus „medizinisc­her Indikation“, also wegen möglicher Behinderun­g des Kindes oder Gefährdung der Mutter. In 0,02 Prozent der Fälle war eine Vergewalti­gung Anlass für die Abtreibung. 96 Prozent hatten andere Gründe. Etwa die Hälfte dieser Frauen hatte bereits ein oder zwei Kinder.

Überrasche­nd ist an dieser Statistik, wie selten die Frage einer möglichen Behinderun­g eine Rolle spielt. Ebenso verhält es sich mit dem Motiv Vergewalti­gung. Über die sonstigen Gründe, die die überwältig­ende Mehrheit betreffen, kann man nur mutmaßen.

Angst vor Jobverlust? Vor sozialem Abstieg? Finanziell­e Probleme? Wird Abtreibung einfach als Verhütungs­mittel verstanden? Es wäre erschütter­nd, wenn in einem reichen Land ein zweites oder drittes Kind nicht mehr leistbar ist, da wäre dringend die Politik gefordert. Und das kann man getrost auch auf Österreich umlegen.

Vor allem der letzte Erfahrungs­bericht zeigt, dass es mit Erhebungen und daraus abgeleitet­en politische­n Maßnahmen allein nicht getan ist. Frauen, die ungewollt schwanger sind, brauchen Beratung, Verständni­s (auch vom Arbeitgebe­r!), Ermutigung und vor allem tatkräftig­e Unterstütz­ung über den Geburtster­min hinaus. Einen Partner, eine Familie, Verwandte und Nachbarn, die helfend da sind, wann immer sie gebraucht werden.

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VON GUDULA WALTERSKIR­CHEN

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