Berichte aus der Tabuzone: „Meine Mutter überlebte die Abtreibung“
Der an dieser Stelle in der Vorwoche erschienene Text zur Frage der Abtreibung hat eine Fülle von Reaktionen vor allem von Leserinnen hervorgerufen.
Es ist selten und umso bemerkenswerter, dass Menschen den Mut finden, öffentlich zu einem so heiklen und intimen Thema ein persönliches Bekenntnis abzulegen. Sie zeigen die Vielschichtigkeit des Themas Abtreibung, das noch immer von Schweigen und Verdrängen dominiert ist:
„Ich wurde als 17-jährige junge Frau ungewollt schwanger und mein Gynäkologe hat mich ohne Weiteres an einen Kollegen verwiesen, der die Abtreibung vornahm. Alles ging rasch und scheinbar unkompliziert – über die massiven seelischen Folgen, mit denen ich danach zu leben hatte, klärte mich niemand auf.
Aus der Beratung weiß ich, dass es vielen Frauen so geht wie mir damals. Leider wird darüber viel zu wenig geredet – vielleicht auch, weil es um ein vermeintliches Recht der Frau geht, das nicht angetastet werden darf. Auch ich wünsche mir ein offenes Gespräch und eine gute, ausgewogene Beratung in dieser schwierigen Lebenssituation, damit jede Frau eine Entscheidung treffen kann, mit der sie auch langfristig gut leben kann.“
„Meine Mutter überlebte die Abtreibung, weil ihre Mutter im allerletzten Moment umgeschwenkt war und die bereits in Gang gewesene Abtreibung gestoppt hat. So weit soll es nicht mehr kommen. Frauen sollen genug Bedenkzeit bekommen! Und es geht nicht nur um den Einzelnen, sondern um nächste Generationen. Bei uns ist das eine Verwandtschaft von 14 Leuten, die heute nicht leben würden! Ich auch nicht!“
„Ich habe zweimal für junge Frauen aus Salzburg einen Abtreibungstermin in Wien organisiert – und danach konnte das Problem, zur Unzeit schwanger geworden zu sein, in Ruhe unter Freunden diskutiert werden. Nun, in beiden Fällen fanden sich Möglichkeiten, ich sagte den Termin ab – und beide Frauen bekamen danach auch wieder Kinder. Es gibt auch Unmöglichkeiten: So begleitete ich eine Mutter von vier Kindern in die Klinik, ihr Mann passte inzwischen auf die Kinder auf. Es stellte sich heraus, dass die Mehrheit der Frauen im Wartezimmer bereits Kinder hatte – erstaunlich viele hatten diese auch mitgenommen. Sichtlich hatten sie nicht einmal in so einer Situation einen Menschen, dem sie die Kinder anvertrauen konnten. Alle hatten sich diesen Schritt gut überlegt – mit Ausnahme des Mädchens aus gutem Haus, das an der Hand ihrer Mutter kein einziges Wort sprach und dann so bitterlich weinte.“
Im Gegensatz zu Österreich gibt es in Deutschland schon seit Längerem genaue Zahlen zu Abtreibungen: Laut Statistischem Bundesamt wurden 2017 in unserem Nachbarland insgesamt 101.200 Abtreibungen durchgeführt. In 3,86 Prozent der Fälle aus „medizinischer Indikation“, also wegen möglicher Behinderung des Kindes oder Gefährdung der Mutter. In 0,02 Prozent der Fälle war eine Vergewaltigung Anlass für die Abtreibung. 96 Prozent hatten andere Gründe. Etwa die Hälfte dieser Frauen hatte bereits ein oder zwei Kinder.
Überraschend ist an dieser Statistik, wie selten die Frage einer möglichen Behinderung eine Rolle spielt. Ebenso verhält es sich mit dem Motiv Vergewaltigung. Über die sonstigen Gründe, die die überwältigende Mehrheit betreffen, kann man nur mutmaßen.
Angst vor Jobverlust? Vor sozialem Abstieg? Finanzielle Probleme? Wird Abtreibung einfach als Verhütungsmittel verstanden? Es wäre erschütternd, wenn in einem reichen Land ein zweites oder drittes Kind nicht mehr leistbar ist, da wäre dringend die Politik gefordert. Und das kann man getrost auch auf Österreich umlegen.
Vor allem der letzte Erfahrungsbericht zeigt, dass es mit Erhebungen und daraus abgeleiteten politischen Maßnahmen allein nicht getan ist. Frauen, die ungewollt schwanger sind, brauchen Beratung, Verständnis (auch vom Arbeitgeber!), Ermutigung und vor allem tatkräftige Unterstützung über den Geburtstermin hinaus. Einen Partner, eine Familie, Verwandte und Nachbarn, die helfend da sind, wann immer sie gebraucht werden.