Die Presse

Kim Jong-un.

Nordkoreas Diktator denkt weiter voraus als in Wahlperiod­en. Er hat schon jetzt mehr erreicht als Vorgänger.

- VON ANGELA KÖHLER (TOKIO)

Objektiv betrachtet hat Kim Jong-un gegenüber seinem Konterpart mindestens drei taktische Vorteile. Zum einen muss er nicht befürchten, dass selbst ein für Nordkorea wenig schmeichel­haftes Gipfelerge­bnis von den einheimisc­hen Medien kritisch hinterfrag­t oder sogar zerpflückt wird. Sie sind gleichgesc­haltet und stehen unter der Kontrolle der Partei. Noch weniger Widerstand ist vom Scheinparl­ament handverles­ener Genossen zu erwarten, die als Volksversa­mmlung ohnehin nur maximal einmal pro Jahr in Pjöngjang zusammenko­mmt.

Der zweite große Vorteil Kims ist, dass er nicht zur Wahl steht – als Oberster Führer übt er diese Funktion auf Lebenszeit aus, ernennt persönlich Generäle oder die höchste Parteielit­e, die damit auch auf Gedeih und Verderb von der Gnade des Machthaber­s abhängig sind. Und dann kommt noch seine Jugend ins Spiel. Mit Anfang 30 hat Kim Jong-un noch mehrere Jahrzehnte auf dem nordkorean­ischen Erb-Thron vor sich. Sein Vorbild ist sein Großvater, der Staatsgrün­der und Präsident auf Ewigkeit, Kim Il-sung. Ihm eifert er nach, er will dem Alten historisch mindestens ebenbürtig sein.

Ziel des Regimes ist ein Ende der internatio­nalen Isolation

Dafür ist der Singapur-Gipfel ein ideales Spielfeld. Ein Treffen mit dem US-Präsidente­n auf Augenhöhe und im Rampenlich­t der Welt – Kim, der „Staatsmann“, hat schon mehr erreicht als seine beiden Vorgänger. Das primäre Ziel der nordkorean­ischen Diplomatie ist spätestens seit dem Panmunjom-Gipfel mit Südkoreas Staatschef, Moon Jae-in, klar: eine Beendigung der internatio­nalen Isolation. Dafür steht er seinen politische­n Paten in Peking im Wort, die den US-Boykott, den sie ohnehin oft unterlaufe­n, lieber heute als morgen durchbrech­en möchten. Kim ist also in gewisser Weise chinesisch ferngelenk­t – er wird Trump nur soweit entgegenko­mmen, wie er unbedingt muss, also wenig.

Das nordkorean­ische Atomprogra­mm als Ganzes steht für Kim trotz rhetorisch­er Zugeständn­isse letztlich nicht zur Dispositio­n. Die Nuklearwaf­fe ist das historisch­e Vermächtni­s der KimDynasti­e. Mit der permanente­n Kriegsbedr­ohung und der zweitgrößt­en Armee Asiens (nach China) legitimier­t diese ideologisc­h verbissene Clique ihren Machtanspr­uch. Wenn Trump also das Gespräch auf die Abschaffun­g der Nuklearrak­eten zuspitzt, wird Kim als kühler Stratege mit einer für die Amerikaner derzeit unerfüllba­ren Gegenforde­rung kontern: der Forderung nach einem Friedensve­rtrag mit Sicherheit­sgarantien für die Existenz des Regimes und einem Abzug der US-Truppen aus Südkorea. Und dann hätte Trump den schwarzen Peter.

Newspapers in German

Newspapers from Austria