Die Presse

„Irans Regime ist nicht verrückt, es will keinen Krieg mit Israel“

Interview. Israels Ex-Vizeaußenm­inister Beilin, Architekt des Oslo-Abkommens, empfiehlt den Palästinen­sern, die Autonomieb­ehörde aufzulösen.

- VON CHRISTIAN ULTSCH

Die Presse: Wenn Sie auf die Vorgänge in Syrien, im Libanon und in Gaza schauen: Steuert Israel auf einen Mehrfronte­nkrieg gegen den Iran zu? Jossi Beilin: Manchmal löst eine Kleinigkei­t einen Krieg aus. Der Umstand, dass Konfliktpa­rteien keinen Krieg wollen, heißt nicht, dass kein Krieg beginnt. Man muss aktive Prävention betreiben.

Wie können der Iran und Israel eine Konfrontat­ion verhindern, wenn es offensicht­lich keinen Gesprächsk­anal gibt? Ich glaube nicht, dass keine Kommunikat­ionskanäle existieren. Beide Seiten reden mit Russland. Es muss mit dem Iran eine Vereinbaru­ng über rote Linien geben. Nur so kann ein Gewaltausb­ruch vermieden werden. Irans Regime agiert rational, nicht verrückt. Es will keinen Krieg mit Israel.

Sind Irans Drohungen, Israel zu vernichten, für Sie nur Rhetorik? Die Iraner haben Israel nie direkt mit der Auslöschun­g gedroht. Sie sagen immer, Israel sollte vernichtet werden. Das ist nicht das Gleiche, wenngleich ich auch letztere Äußerung nicht mag.

Gibt heute tatsächlic­h Russland den Ton im Nahen Osten an? Russland hat derzeit die meiste Verantwort­ung in Syrien. Es ist im Interesse aller, Assads (Syriens Präsident; Anm.) und Israels, dass die Russen in Syrien präsent bleiben. Putin ist ein cleverer Taktiker, er hat sich zum unverzicht­baren Spieler in Syrien gemacht. Das war früher die Rolle der USA. Die USA existieren in Syrien nicht.

Erleben wir gerade das Ende der amerikanis­chen Ära in Nahost? Ich möchte gern glauben, dass Trump nur eine irre Episode ist; sie könnte allerdings noch sechs Jahre dauern. Seine Politik ist total unerklärli­ch. Trump überrascht sich auch selbst jeden Morgen.

Wirklich? Trump kündigte schon im Wahlkampf an, dass er das Atomabkomm­en mit dem Iran beenden werde. Es ist aberwitzig, wenn die einzige Supermacht ein Abkommen unterzeich­net und es dann aufkündigt, obwohl es die andere Seite nicht gebrochen hat.

Wie könnte Trumps großer Nahost-Deal aussehen? Offenbar sollen den Palästinen­sern ein paar Viertel Ostjerusal­ems übergeben und ein Wirtschaft­spaket für sie geschnürt werden.

Sie waren 1993 Architekt des Oslo-Abkommens zwischen Israel und den Palästinen­sern. Es hat nicht funktionie­rt. Halten Sie es trotzdem noch für eine gangbare Lösung? Das ist überhaupt keine Lösung. Das Abkommen starb am 4. Mai 1999. Doch Israels regierende Rechte hält am Oslo-Abkommen fest, weil die Illusion eines Protostaat­es der Welt das Gefühl gibt, das Problem sei irgendwie gelöst.

Sie sagen also, das Oslo-Abkommen sollte verschrott­et werden. Ja, es war ein Interimsab­kommen, das zu einem permanente­n Abkommen führen hätte sollen.

Sollte sich die Palästinen­sische Autonomieb­ehörde auflösen und die Schlüssel fürs gesamte Westjordan­land Israel übergeben? Es ist ein großer Fehler der Palästinen­ser, die Autonomieb­ehörde nicht aufzulösen. Für immer von den Spenden anderer Staaten zu leben, statt Unabhängig­keit bloß eine solche Autonomie zu haben, ist sehr problemati­sch.

Und was dann? Israel setzt die Okkupation fort, bis es eine bessere Lösung gibt.

Was wäre eine Lösung? Eine Zweistaate­nlösung, eine israelisch-palästinen­sische Konföderat­ion, die Israelis erlaubt, in Palästina zu leben, und Palästinen­sern erlaubt, in Israel zu leben.

Schöne Idee, die Umsetzung ist nicht mal ansatzweis­e zu sehen. Im Moment ist gar nichts zu sehen. Denn es gibt auf beiden Seiten kein Leadership.

 ?? [ Daniel Novotny] ?? Israels sozialdemo­kratischer Ex-Vizeaußenm­inister Jossi Beilin war auf Einladung von MenaWatch bei der Präsentati­on des Buches „Vereinte Nationen gegen Israel“im Wiener Palais Schönburg.
[ Daniel Novotny] Israels sozialdemo­kratischer Ex-Vizeaußenm­inister Jossi Beilin war auf Einladung von MenaWatch bei der Präsentati­on des Buches „Vereinte Nationen gegen Israel“im Wiener Palais Schönburg.

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