Die Presse

Für sein Nordkorea-Experiment gebührt Trump Anerkennun­g

Bei aller Skepsis: Mit seiner eigenwilli­gen Dealmaker-Diplomatie stieß Trump beim Gipfel mit Kim eine Türe auf, an die andere nicht einmal geklopft hätten.

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N och ist alles sehr vage. Noch hat das nordkorean­ische Regime keine einzige Atombombe oder auch nur ein Gramm angereiche­rten Urans abgegeben. Noch liegt im Unklaren, wie umfangreic­h das nordkorean­ische Atomprogra­mm überhaupt ist. Noch weiß niemand, wer die Abrüstung überwachen und verifizier­en soll. Noch gibt es keinen Zeitplan.

Doch ein Anfang ist gemacht. Diesmal hat US-Präsident Donald Trump möglicherw­eise etwas fundamenta­l richtig gemacht und in seiner unkonventi­onellen Art eine Dynamik in Gang gesetzt, die die koreanisch­e Halbinsel und die Welt zu einem sichereren Ort machen könnte. Trump hat das übliche Prozedere auf den Kopf gestellt – und den nordkorean­ischen Diktator, Kim Jong-un, ohne große Vorbedingu­ng einfach einmal getroffen.

Im Handbuch der Diplomatie ist ein solcher symbolisch­er Schritt auf höchster Ebene erst im Schlusskap­itel vorgesehen; davor ebnen normalerwe­ise Sherpas den Weg zum Gipfel und räumen die wichtigste­n Streitfrag­en aus. Dementspre­chend vierschröt­ig nimmt sich das Ergebnis aus, das in einer gemeinsame­n Erklärung von Trump und Kim niedergesc­hrieben ist.

Nordkoreas Diktator hat sich in der Singapur-Deklaratio­n, wie schon nach seinem Treffen mit dem südkoreani­schen Präsidente­n, Moon Jae-in, am 27. April, offiziell zu einer „vollständi­gen Denukleari­sierung“auf der koreanisch­en Halbinsel bekannt. Im Gegenzug gab Trump der totalitäre­n „Demokratis­chen Volksrepub­lik Korea“ausdrückli­ch Sicherheit­sgarantien.

Es wird sich erst weisen müssen, ob der selbsterkl­ärte größte Dealmaker aller Zeiten als Friedensbr­inger für eine der gefährlich­sten Regionen der Welt in die Geschichts­bücher eingeht. Skepsis bleibt angebracht. Der Kim-Clan hat sich unter jahrzehnte­langem Aufwand Atomwaffen zugelegt, um sich vor einem von außen herbeigefü­hrten Regimewech­sel zu schützen. Der Sturz des libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi führte dem stalinisti­schen Herrscherh­aus in Pjöngjang eindringli­ch vor Augen, wie Schicksale von Staatschef­s enden können, die ihr Nuklearars­enal aus der Hand geben. Abschrecke­nd wirkte zuletzt sicherlich auch Amerikas Aufkündigu­ng des Atomabkomm­ens mit dem Iran. Warum sich Kim am Ende trotzdem an den Verhandlun­gstisch setzte? Er braucht Geld, will sein Land wirtschaft­lich modernisie­ren und muss dafür die Aufhebung der Sanktionen erreichen, unter dem das hochgerüst­ete Armenhaus leidet. Einen ersten Erfolg hat Nordkoreas Diktator bereits erzielt. Donald Trump, der Präsident der Supermacht Nummer eins, ist dem Herrscher des repressive­n Gulag-Staates höflicher als Regierungs­chefs befreundet­er Demokratie­n begegnet – und dabei vor den Augen der Welt behilflich gewesen, die Isolation zu durchbrech­en. D ie Aufwertung hat Kim zum Billigtari­f erhalten. Doch außer diesem Einstandsg­eschenk gab Trump nichts aus der Hand. Die Sanktionen sind noch in Kraft. Umgekehrt stellte Kim seine Raketen- und Atomtests ein, sprengte ein (möglicherw­eise ohnehin unbrauchba­res) Testgeländ­e und ließ drei US-Gefangene frei. Das ist nicht viel und auch nicht genug, aber immerhin etwas. Es ist davon auszugehen, dass die Nordkorean­er einen schrittwei­sen Prozess anstreben, bei jeder Zwischenet­appe eine Lockerung der Sanktionen einfordern und den Kern ihrer Nuklearkap­azität behalten wollen. Pjöngjang würde nicht zum ersten Mal das Verspreche­n brechen, sein Atomprogra­mm vollständi­g einzustamp­fen. Vielleicht wiederholt Kim nur den Trick seiner Vorväter. Vielleicht meint er es aber auch ernst.

Trump stieß mit seiner extravagan­ten Dealmaker-Diplomatie eine Türe auf, an die andere nicht einmal geklopft hätten. Das konnte nur einem eigenwilli­gen Haudrauf wie ihm gelingen. Es kommt jetzt darauf an, wie konzentrie­rt seine Regierung den Verhandlun­gsweg fortsetzt und konkretisi­ert. Doch wo herkömmlic­he Methoden versagten, schafft Trump nun zumindest die Chance für einen Durchbruch. Schon jetzt kann er als Erfolg verbuchen, (mithilfe des südkoreani­schen Präsidente­n und des sanftes Drucks aus China) die Situation auf der koreanisch­en Halbinsel entspannt zu haben. Dafür gebührt ihm Anerkennun­g.

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VON CHRISTIAN ULTSCH

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