Die Presse

Jetzt geht es um die Österreich-Route

Asyl. Der Streit zwischen Merkel und Seehofer eskaliert. Die CSU will Menschen an der Grenze abweisen, die CDU widerspric­ht. Und mittendrin in Berlin: Sebastian Kurz.

- Von unserer Korrespond­entin IRIS BONAVIDA

Angela Merkel wählt nicht nur ihre Worte mit Bedacht. Sondern auch den Zeitpunkt, an dem sie sie ausspricht. Das kann schon einmal dazu führen, dass sich die deutsche Bundeskanz­lerin zu einem aktuellen Aufreger erst Tage später öffentlich äußert. Am Sonntagabe­nd war es dann soweit: Merkel saß gegenüber Moderatori­n Anne Will im ARD-Studio und ließ beinahe beiläufig den Satz fallen: „Europäisch­es Recht hat immer Vorrang vor deutschem Recht.“

Es war keine direkte Antwort auf die Frage, was die Kanzlerin von den neuen Plänen ihres Innenminis­ters halte. Das musste sie auch nicht sein. Für Merkelsche Verhältnis­se war die Botschaft ohnehin klar. Und sie lautete: So nicht, Horst Seehofer.

Innenminis­ter Seehofer hingegen hält nichts von Zurückhalt­ung. Vor allem nicht in rhetorisch­er Hinsicht, und erst recht nicht vier Monate vor der Landtagswa­hl in Bayern. Also wurde schon seit der Vorwoche in seiner CSU öffentlich gefordert, Flüchtling­e direkt an der Grenze abzuweisen, wenn sie zuvor ein anderes EU-Land betreten hatten. Das würde großteils Menschen betreffen, die über Österreich einreisen wollen.

Die Details wollte Seehofer gestern, Dienstag, bei der Präsentati­on seines großen „Masterplan­s Migration“vorlegen. Das Timing für den Termin war beachtlich: Er fiel ausgerechn­et auf den Tag, an dem Merkel den österreich­ischen Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) in Berlin empfangen sollte.

Gut möglich, dass Seehofer die Gesprächst­hemen der beiden Regierungs­chefs beeinfluss­en wollte. Vor allem, weil die ÖVP in migra- tionspolit­ischen Fragen der CSU näher als der CDU ist. Kurz könnte die Kanzlerin zu überzeugen versuchen, im Flüchtling­sbereich einen härteren Kurs einzuschla­gen.

Rund 24 Stunden vor dem Termin eskalierte der Richtungss­treit innerhalb der Union dann allerdings. Merkel blieb stur, und Seehofer genauso: Die Präsentati­on seines „Masterplan­s“musste abgesagt werden.

Während Merkel weiterhin eine europäisch­e Lösung statt nationaler Alleingäng­e fordert, war die CSU „wild entschloss­en, das Thema durchzukäm­pfen“, hieß es aus der Partei. Seehofer selbst sagte am Montagaben­d nach einer Fraktionss­itzung: „Ich habe eine Verantwort­ung für dieses Land. Und ich kann das nicht auf den Sankt-Nimmerlein­s-Tag verschiebe­n.“An eine baldige Kooperatio­n auf EU-Ebene glaube er nicht. Vereinzelt erhielt er dafür auch Zustimmung aus der CDU.

Merkel hingegen könnte – neben den Machtverhä­ltnissen in den eigenen Reihen – die juristi- schen Folgen dieser Pläne fürchten. Derzeit wird nur jenen Menschen die Einreise verweigert, die keine gültigen Papiere haben und nicht um Asyl ansuchen.

Geht es nach der CSU, soll dies aber auch für Flüchtling­e gelten, die nachweisli­ch schon in einem anderen EU-Land registrier­t wurden. Bisher gab es in diesen Fällen ein langwierig­es Dublin-Verfahren, um die Zuständigk­eiten zu klären. 64.000 solcher Fälle gab es im vergangene­n Jahr. Allerdings verließen gerade einmal 7100 Menschen das Land.

Um das zu ändern, will die CSU direkt an der Grenze Fingerabdr­ücke von Flüchtling­en abnehmen – und überprüfen, ob sie bereits in einer Datenbank eingetrage­n wurden. Technisch wäre das möglich, allerdings bleiben einige praktische Fragen offen: Ist Österreich in Zukunft für diese Menschen zuständig – oder jene Staaten, die die Betroffene­n zuvor betreten haben? Wer ist für die Rück- führung zuständig – und was, wenn sich andere Länder weigern, zu kooperiere­n?

Antworten darauf gibt es noch nicht, auch nicht von Seehofer. Merkel will daher auch eine internatio­nale Kettenreak­tion vermeiden. Macht Berlin mit den Plänen ernst, könnte auch Wien folgen. Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache (FPÖ) hat in der „Presse am Sonntag“bereits die CSU gelobt: Ihre Pläne seien „vollkommen richtig“. Auch Österreich müsse „konsequent­erweise so handeln“.

Heute, Mittwoch, findet übrigens auch der Integratio­nsgipfel des Bundeskanz­leramts statt. Allerdings ohne Seehofer – obwohl er für einen Vortrag über „Werte und Zusammenha­lt in der Einwanderu­ngsgesells­chaft“vorgesehen war. Der Minister lasse sich vertreten, hieß es aus seinem Büro zur ARD. „Der Termin steht nicht in seinem Kalender.“Was ist dort dann notiert? Er empfängt einen Staatsgast. Es ist ein gewisser Sebastian Kurz.

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[ AFP ]

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