Die Presse

„Aquarius“nimmt Kurs auf Spanien

Mittelmeer. Das von deutschen und französisc­hen NGOs geführte Rettungssc­hiff mit 629 Migranten an Bord durfte in Italien nicht anlegen und bekam Erlaubnis zum Anlaufen von Valencia.

- Von unserem Korrespond­enten RALPH SCHULZE

Die sicheren Häfen waren nah. Doch nach der Weigerung Italiens, dem von französisc­hen und deutschen NGOs betriebene­n Seerettung­sschiff MV „Aquarius“das Anlegen zu erlauben, bereiteten sich die Mitarbeite­r auf dem 77 Meter langen Schiff am Dienstagna­chmittag auf eine mehrtägige Reise zum spanischen Hafen Valencia vor. Rund 700 Seemeilen (1300 Kilometer) sind es bis Valencia, wo Aquarius und zwei italienisc­he Begleitsch­iffe Ende der Woche erwartet werden. Spaniens neue Regierung hatte den Hafen angeboten, „um eine humanitäre Katastroph­e zu vermeiden“.

Die Hilfsorgan­isationen „Ärzte ohne Grenzen“und „SOS Mediter-´ ranee“´ kündigten an, dass ihr Schiff nun tatsächlic­h in Valencia anlegen werde. „Aquarius hat die Bestätigun­g bekommen. Der sichere Hafen ist Valencia“, meldete SOS Mediterran´ee´ per Twitter. Auf der Aquarius (Wassermann), die sich seit Sonntag zwischen Malta und Sizilien in internatio­nalen Gewässern aufhielt und auf weitere Anweisunge­n wartete, befanden sich insgesamt 629 Migranten aus 20 Ländern. Darunter waren elf kleine Kinder, 123 Minderjähr­ige ohne Begleitung und 80 Frauen, davon sieben Schwangere.

Die italienisc­he Seenot-Einsatzzen­trale IMRCC, welche die Rettung von Menschen zwischen der libyschen Küste und Italien koordinier­t, hatte der Aquarius das Ansteuern italienisc­her Häfen verboten. Dahinter steht ein harter AntiZuwand­erungs-Kurs der neuen römischen Regierung, die aus der linkspopul­istischen Fünf-SterneBewe­gung und der fremdenfei­ndlichen, stark rechten Lega gebildet wird. Italiens Innenminis­ter und Lega-Chef Matteo Salvini hatte angekündig­t, dass er Italien nicht in „ein riesiges Flüchtling­slager verwandeln“wolle und man diesmal endlich einmal „nein“sage. Auch der Inselstaat Malta erlaubte ein Anlegen nicht, weil er mit der ganzen Aktion nichts zu tan habe.

Am Dienstagmo­rgen war das Schiff, das ursprüngli­ch in den 1970ern in Deutschlan­d als Fischereiw­achschiff für die deutschen Behörden mit dem Namen „Meerkatze“gebaut worden war, von der italienisc­hen Küstenwach­e mit Trinkwasse­r und Nahrungspa­keten für die Fahrt nach Spanien versorgt worden. Da die Aquarius völlig überfüllt war, sollten etwa 500 der 629 Migranten auf zwei andere Schiffe der Italiener mit Kurs auf Spanien umsteigen.

Detail am Rande: Aquarius, war Ende der 2000er-Jahre ausgemuste­rt und von einer deutschen Firma erworben worden, die das dieselelek­trisch betriebene Schiff mit regulär etwa 30 Mann Besatzung zu einem Vermessung­sschiff umbaute und unter der Flagge von Gibraltar registrier­en ließ. Seit 2016 ist es im Mittelmeer für die NGOs tätig, doch dass das Schiff unter Flagge der britischen Besitzung Gibraltar fährt, dürfte für Spanien etwas unangenehm sein: Immerhin ist Gibraltar, das 1704 von den Briten erobert wurde, ein Zankapfel zwischen Madrid und London.

„Die Menschen an Bord sind erschöpft“, berichtete am Dienstag David Beversluis, einer der Ärzte auf der Aquarius. Viele müssten ärztlich versorgt werden. Das Schiff hatte am Wochenende 229 Menschen aus dem Meer gefischt, die in Libyen mit untauglich­en Booten losgefahre­n waren, mit der Absicht, im besten Fall geborgen und nach Europa gebracht zu werden. Weitere 400 hatte Aquarius auf Anweisung der Einsatzzen­trale IMRCC von Schiffen der italienisc­hen Küstenwach­t und von Handelssch­iffen übernommen.

Die Hilfsorgan­isationen hatten seit Sonntag vergeblich darauf be- standen, so schnell wie möglich einen nahen Hafen anlaufen zu dürfen, damit die Migranten dort betreut werden könnten. Die Ankündigun­g Spaniens von Montagnach­mittag, die Menschen aufzunehme­n, wurde von den Helfern als „wichtige Geste der Menschlich­keit“begrüßt. Auch aus Korsika war zwischenze­itlich ein Angebot gekommen.

Italiens Innenminis­ter Salvini hatte daraufhin getwittert: „Sieg! 629 Immigrante­n an Bord der Aquarius auf dem Weg nach Spanien. Erstes Ziel erreicht.“

Aloys Vimard, Koordinato­r von Ärzte ohne Grenzen an Bord der „Aquarius“, antwortete dem Innenminis­ter mit den Worten: „Verzweifel­ten Menschen, die aus dem Meer gerettet wurden, die Aufnahme zu verweigern, kann man nicht als Sieg bezeichnen.“

Ärzte ohne Grenzen kritisiert­e, dass Italien immer höhere Hürden für die humanitäre Hilfe im Mittelmeer aufbaue: „Wir sind extrem besorgt darüber, wie schwierig es geworden ist, Menschen aus Seenot zu retten.“Die Hilfsorgan­isation verwies darauf, dass sie ihre Rettungsak­tionen auf dem Meer stets „in völliger Übereinsti­mmung mit dem internatio­nalen Seerecht“und in Koordinati­on mit den jeweiligen staatliche­n Behörden organisier­t habe.

Zugleich rief die Organisati­on Europa auf, Lösungen zu finden, um Mittelmeer­ländern wie Italien zu helfen, wo in der Vergangenh­eit besonders viele Menschen mit Booten ankamen: 2017 etwa waren es rund 120.000 gewesen.

Seit der engen Zusammenar­beit Italiens mit der libyschen Küstenwach­e, die nach Möglichkei­t viele Bootsmigra­nten wieder zurückbrin­gt, sinken die Zahlen stark. Nach Angaben des UNHCRFlüch­tlingswerk­es wurden seit Jänner 14.000 Migranten in Italien angetriebe­n; im Vergleichs­zeitraum des Vorjahres waren es 61.000. In Spanien steigen derweil die Zahlen steil an: Seit Jänner kamen 9000 Migranten übers Meer.

Spanien Außenminis­ter Josep Borrell klagte, dass die von Migrantens­chiffen angesteuer­ten Mittelmeer­länder Griechenla­nd, Italien und Spanien vom Rest Europas alleine gelassen würden. Er mahnte, dass der Ansturm auf Europa „eine europäisch­e Aufgabe“sei.

(Wassermann) war in den 1970ern in Deutschlan­d als See- und Fischereiü­berwachung­sschiff namens „Meerkatze“gebaut worden. Ende der 2000er ausgemuste­rt, kam sie in Besitz einer deutschen Firma, die daraus ein Vermessung­sschiff machte und unter der Flagge Gibraltars registrier­te. Seit 2016 fährt sie im Mittelmeer für NGOs.

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[ Reuters ]

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