Die Presse

„Es fehlt schlicht die Vorlaufzei­t“

Deutschkla­ssen I. Zuerst übte die Gewerkscha­ft Kritik, dann legten sich Direktoren quer – und nun mit Innsbruck eine ganze Stadt: Die Deutschkla­ssen sorgen weiter für Aufregung.

- VON JULIA NEUHAUSER

Wien. Den Deutschkla­ssen, die im Herbst starten sollen, schlägt ein rauer Wind entgegen. Zuerst übte die Lehrergewe­rkschaft Kritik an dem türkis-blauen Prestigepr­ojekt, dann stellten einzelne Schuldirek­toren einen Boykott in den Raum, und nun will eine ganze Stadt bei dem Projekt nicht (oder nur bedingt) mitmachen. Innsbruck wird sich querlegen.

Die Stadtregie­rung habe im Koalitions­papier vereinbart, „keine separaten Deutschför­derklassen in Innsbruck umzusetzen“, sagte die frisch gekürte SPÖ-Bildungsst­adträtin Elisabeth Mayr in der „Tiroler Tageszeitu­ng“. Sie will sich dafür einsetzen, dass die Deutschkla­ssen „nicht in dieser Form“und „erst im Schuljahr 2019/20 kommen“. Denn für eine Umstellung bis zum Herbst „fehlt schlicht die Vorlaufzei­t“. Der grüne Koalitions­partner hält von den Deutschkla­ssen ähnlich wenig: „Das ist der falsche Weg, und den werden wir nicht beschreite­n.“

In der grün-schwarz-gelb-roten Innsbrucke­r Stadtregie­rung dürfte noch nicht das letzte Wort gesprochen sein. Denn der Vorstoß sorgte für koalitions­internen Wir- bel. Die SPÖ sei offenbar von der „bundespoli­tischen Opposition­sarbeit instrument­alisiert“und gönne sich offensicht­lich einen „besonders kreativen Interpreta­tionsspiel­raum“, sagte ÖVP-Stadtparte­iobmann Vizebürger­meister Franz X. Gruber.

Es habe nie einen Aufruf zum Boykott gegeben, und man werde sich im Herbst, falls die Deutschkla­ssen tatsächlic­h in dieser Form kommen sollten, an das Gesetz halten, stellte SPÖ-Bildungsst­adträtin Mayr im Gespräch mit der „Presse“ihre Position klar. Sie halte die Deutschkla­ssen dennoch für eine „höchst zweifelhaf­te Schnellsch­usslösung“.

„In den Sand gesetzt“

Zu dieser Einschätzu­ng kam auch der oberste Pflichtsch­ullehrerve­rtreter, Paul Kimberger, bereits: „Für mich ist es eigentlich eine Sensation, wie man eine gute Initiative derart in den Sand setzen kann“, sagte er vor wenigen Wochen zur „Presse“. Am gestrigen Dienstag erneuerte er seine Kritik.

„Ich verstehe nicht, warum man nicht auf bestehende, erfolgreic­he Sprachförd­ermodelle an einzelnen Standorten aufsetzen kann“, so Kimberger. Es sei immer noch nicht klar, wie viele Schüler in einer Deutschkla­sse maximal sitzen dürfen. Dazu komme, dass es nach wie vor weder Diagnosein­strumente für den Sprachförd­erbedarf noch Lehrpläne gebe. In Ballungsrä­umen könnten sich aufgrund von Raumproble­men organisato­rische Schwierigk­eiten ergeben. Und es seien noch besoldungs­rechtliche Fragen zu klären.

Der Lehrergewe­rkschafter fordert von Bildungsmi­nister Heinz Faßmann (ÖVP) Planungssi­cherheit und Korrekture­n noch vor Schulschlu­ss. Ansonsten, sagte Kimberger zumindest zuletzt, sei-

AUF EINEN BLICK

Deutschkla­ssen. Schüler, die nicht gut genug Deutsch sprechen, um dem Unterricht zu folgen, müssen ab Herbst in eigene Deutschkla­ssen, in denen sie 15 Stunden (Volksschul­e) bis 20 Stunden (Mittelschu­le) pro Woche Deutsch lernen. In den übrigen Stunden sollen sie mit Nicht-Förderschü­lern gemeinsam Turnen, Singen oder Basteln. Ab acht Betroffene­n an einer Schule muss eine solche Klasse eingericht­et werden. Weniger Schüler können integrativ in den normalen Klassen gefördert werden. en gewerkscha­ftliche Maßnahmen nicht ausgeschlo­ssen. Das versucht das Bildungsmi­nisterium freilich zu verhindern. Kimberger ist deshalb am heutigen Mittwoch beim Bildungsmi­nister geladen.

„Im Regen stehen gelassen“

Am gestrigen Dienstag war dort bereits der Wiener Stadtschul­rat, Heinrich Himmer (SPÖ), zu Gast. Er hatte dem Bund zuletzt vorgeworfe­n, dass die „Schulen bei der Einführung der Deutschför­derklassen bislang im Regen stehen gelassen worden sind“. Nun sollen, wie bei dem Gespräch vereinbart wurde, die offenen Fragen aufgearbei­tet werden. Wien übermittle dem Bildungsre­ssort „jene Druckpunkt­e, also jene Standorte, über die man gesondert sprechen muss“.

Ein Druckpunkt in den Schulen ist derzeit auch die personelle Unsicherhe­it. Der Lehrerstel­lenplan fehlt noch, und damit wissen die Schuldirek­toren noch immer nicht, wie viele Lehrer sie im kommenden Schuljahr an ihrem Standort einsetzen dürfen. Schuld daran ist das Kräftemess­en zwischen Bildungs- und Finanzmini­sterium. Die beiden türkisen Ressorts sind noch immer uneins.

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