Die Presse

Freiberufl­er wehren sich gegen mehr Freiheit

Liberalisi­erung. Ob Tierärzte, Architekte­n oder Apotheker: Alle laufen Sturm gegen die Öffnung für berufsfrem­de Investoren. Die EU will damit mehr Wettbewerb durchsetze­n und hat Österreich verklagt. Was sind die Argumente?

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Aus Sicht der Kunden scheint die Sache klar: Wer zum Arzt geht, einen Hausbau plant oder rechtliche Beratung braucht, möchte kompetente Hilfe zu einem fairen Preis. Damit die Honorare nicht überhöht sind, ist Wettbewerb vonnöten. Um den sei es in geschützte­n Märkten mit hohen Zugangshür­den und Honorarord­nungen schlecht bestellt, ist die EU-Kommission überzeugt.

Weshalb die Dienstleis­tungsricht­linie eine Öffnung der Freien Berufe vorsieht. Dazu gehört auch, dass berufsfrem­de Kapitalgeb­er, wie Beteiligun­gsgesellsc­haften oder Unternehme­n verwandter Branchen, die Mehrheit an Büros oder Praxen erwerben können. Dagegen lobbyieren die heimischen Kammern der Freien Berufe seit Jahren verbissen. Sie haben erst die alte, nun die neue Regierung auf ihre Seite gebracht. Statt die Vorgaben umzusetzen, schickt Wien Stellungna­hmen nach Brüs- sel. Das hat der Republik im Dezember ein Vertragsve­rletzungsv­erfahren beschert. Auch die Freiberufl­er argumentie­ren mit den Kunden: Fremdbetei­ligungen würden die Marktkonze­ntration erhöhen, es drohten Monopole und damit sogar höhere Preise. Zudem sei die Unabhängig­keit und damit der Konsumente­nschutz in Gefahr.

Hehre Werte, schnöder Profit?

„Uns sind unsere Werte wichtig, denen der wirtschaft­liche Erfolg“, sagte Kurt Frühwirth, Präsident der Bundeskonf­erenz der Freien Berufe, am Dienstag vor Journalist­en. Neue Munition: Eine Befragung von Berufseins­teigern (im Vorjahr waren es Studierend­e), die diese Befürchtun­gen ihrer Berufsvert­reter zu 82 Prozent teilen.

Dabei gibt Frühwirth zu: Die flächendec­kende Versorgung wird zum Problem. Wer übernimmt eine Praxis oder Kanzlei am Land, wenn ein Babyboomer in Pension geht? Wer bezahlt Investitio­nen, um am neuesten Stand zu sein? Früher bekam man „einfach einen Kredit“, heute brauche man „Businesspl­an und Zukunftssz­enarien“. Alles sei „risikobeha­ftet“, und am Ende stehe man „allein auf weiter Flur“. Dazu kommt, dass bei den Einsteiger­n die Frauen meist schon die Mehrheit bilden. Das erhöht tendenziel­l den Wunsch nach Teilzeit und flexiblen Arbeitszei­ten. Für beides wären größere Einheiten mit Angestellt­en und genug Kapital im Köcher eine Lösung. Auch Spezialisi­erung wäre so leichter möglich – und damit vermutlich mehr Qualität.

Die Kammern setzen als Alternativ­e lieber darauf, dass sich ihre Mitglieder zusammentu­n, etwa durch Gemeinscha­ftspraxen. Sie fordern aber auch Förderunge­n. Damit müsste der Steuerzahl­er einen Teil der Finanzieru­ng übernehmen, die sonst der Markt leisten würde. Das wäre aber nur ge- rechtferti­gt, wenn der Markt hier wirklich versagt. Tut er das? Die Freiberufl­er malen den Teufel an die Wand: Dass Pharmakonz­erne Arztpraxen aufkaufen und so die Mediziner zum Verschreib­en ihrer Pillen drängen. Dass sich Baukonzern­e Ziviltechn­iker einverleib­en und von ihnen positive Gutachten schreiben lassen. Die Frage ist, ob dagegen nicht rechtliche Schranken möglich sind, die EU-konform bleiben. Als Beispiel für angeblich gestiegene Preise durch Marktkonze­ntration dienen niederländ­ische Architekte­n und Ketten kleiner Veterinärk­linken in Großbritan­nien.

Freilich: Ganz lassen sich die Marktkräft­e auch hierzuland­e nicht aussperren. So gibt Frühwirth zu, dass schon jetzt oft über stille Beteiligun­gen und indirekte Schachtelg­esellschaf­ten Kapital von Branchenfr­emden zufließt. Und Brüssel hier im Grunde nur Transparen­z statt „Umgehungsk­onstrukte“fordert. (gau)

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