„Freischütz“jagt nach dem Einfall
Staatsoper. Regisseur Christian Räth will Webers „Freischütz“zum Künstlerdrama umfunktionieren, erdrückt die Story aber durch widerstreitende Deutungsangebote.
Das Wichtigste zuerst: Die Staatsoper spielt wieder Carl Maria von Webers epochalen „Freischütz“, der 1821 uraufgeführt wurde und im Nu zur „Ursprungsurkunde der deutschen musikalischen Romantik, der deutschen Volksoper, vielleicht sogar einer spezifisch deutschen Musik schlechthin“geworden ist, wie es Giselher Schubert einmal ausdrückte. Stimmt schon: Teufelspakt und Waldweben, was wäre „deutscher“? Weber nützte für die unheimliche Geschichte ziemlich alles, was damals möglich war, und erfand den Rest genial dazu: vom Volksliedtonfall über Erinnerungsmotive und Klangsymbole bis zu umstürzlerischen Instrumentaleffekten. Das nötigte Beethoven staunende Bewunderung ab.
Wie es heutzutage von einem modernen Orchester mit annähernd gleicher Wirkung herauszubringen wäre, darüber haben sich viele Dirigenten den Kopf zerbrochen – ganz zu schweigen von den Regisseuren, die ihre liebe Not mit der Story von den magischen Freikugeln haben und partout nicht nur mehr, sondern auch etwas anderes (mit-)erzählen wollen. Das muss nicht schlecht sein – aber sollte wenigstens so schlüssig wie das Original sein. Versagensängste und der daraus folgende Griff zu unlauteren Hilfsmitteln zählen nicht zu den dümmsten, psychologisch unglaubwürdigsten Opernthemen.
Der Jägerbursch ist hier Komponist
Doch da hapert es bei Christian Räth, der das Stück mit Rahmenhandlung und Umdeutung zugleich aufpeppen möchte. Der Jägerbursch Max ist bei ihm ein nach Inspiration gierender Komponist: Manchmal scheint er mit Weber identisch, denn vielfach singen der anfangs schleppende, aber hochpräsente Chor und Solisten von seinen Notenblättern ab, die zuletzt auch der Eremit Albert Dohmen aus dem Kronleuchter abwirft; dann hingegen wirkt er wie der von Nachtmahren heimgesuchte E. T. A. Hoffmann, jener aus Offenbachs Oper wie auch der reale, der gleichfalls komponiert hat – oder wie der Fritz aus Schrekers „Fernem Klang“, bei dem Eros und Kunst auch ungünstig verschwimmen. Und das alles zugleich. Oder auch nicht. Ein Sammelsurium an Einfällen und Deutungsangeboten soll Konsequenz ersetzen. Da mag sich Gary McCanns Bühnenbild noch so strikt geometrisch und zentralperspektivisch zielstrebig geben, in diesem Spiegelkabinett häufen sich die unaufgelösten Reste. Zugegeben, in der Wolfsschlucht schlagen echte Flammen aus dem Klavier; das ergibt, zusammen mit dem von der Decke hängenden Samiel (Hans Peter Kammerer), projizierter Feuersbrunst und blutrotem Licht von Atmosphäre und Schauwert her eindrucksvolle Bilder. Es bleibt jedoch eine Inszenierung voller schiefer Ebenen, vergeblich sucht man den einen Punkt, in dem sich alle schneiden würden. Nichts wird schlüssig fertigerzählt, weder die originale Handlung noch das aufgepfropfte Künstlerdrama.
Am ehesten mag man Räths Rätseln dort folgen, wo sich Andreas Schager als Max in die szenische Schlacht stürzt. Sein Atem, seine Reserven sind erstaunlich: Das sichert ihm den lautesten Publikumsjubel. Mag sein, dass seinem geradlinigen, so direkt eingesetzten Heldentenor die größeren orchestralen Einkleidungen eines Wagner, Strauss noch mehr schmeicheln. Kündet er von Wäldern und Auen, wünscht man sich mehr Schmelz. Reine Süße fehlt auch Camilla Nylunds Agathe. Dabei hält sie ihren Sopran in der Partie derzeit klarer und konzentrierter auf Linie als zuletzt. Aber im viel benötigten Piano verströmt ihre Stimme den wenigsten Reiz, man vermisst die rechte Rundung und Reinheit. Als Ännchen leistet ihr eine junge Geschwitz mit silbernem Bubikopf Gesellschaft: Für Daniela Fally liegt die Partie etwas tief, aber sie gibt ihr Kontur, auch in den (teils aktualisierend umgedichteten) Dialo- gen. Alan Held plagt sich zum Mitleiden mit dem deutschen Text. Weil Max die düsteren Anteile in sich aufgesogen hat, bleibt nur Blässe für den einstigen Antagonisten: Sein Caspar entfaltet weder in Stimme noch Darstellung die nötige dämonische Kraft. Aber auch den Muttersprachlern fallen die Dialoge schwer, manche landen in Operettensommernähe (Clemens Unterreiner als stimmlich passabler Cuno) oder machen, wie der markant klingende Adrian Eröd, aus dem Ottokar eine Erzherzogparodie a` la Karl Kraus. Die gemeinsame Linie fehlt.
Toma´sˇ Netopil am Pult ist penibler Praktiker, kein Ekstatiker: Ein in doppeltem Sinne fantastisch loderndes Feuer a` la Carlos Kleiber kann er nicht entfachen, er entscheidet sich oft für die vernünftige, machbare Variante – etwa bei den Tempi. Das bietet ihm jedoch Gelegenheit, Details in Klangfarben und Artikulation desto klarer herauszuarbeiten. Das Orchester folgt ihm konzentriert, die philharmonischen Solisten, ob Klarinette, Oboe, Violoncello oder Bratsche, agieren tadellos – und die Hörner schmettern beinah so ungebändigt lustvoll wie Naturtoninstrumente, aber treffsicherer. Vor ein paar Buhs schützte Netopil das nicht, die zuletzt so vehement auf Räth und McCann herniederprasselten, als wär’s in der Wolfsschlucht.