Die Presse

„Freischütz“jagt nach dem Einfall

Staatsoper. Regisseur Christian Räth will Webers „Freischütz“zum Künstlerdr­ama umfunktion­ieren, erdrückt die Story aber durch widerstrei­tende Deutungsan­gebote.

- MITTWOCH, 13. JUNI 2018 VON WALTER WEIDRINGER 14., 17., 20., 25., 28. 6.; neu be-

Das Wichtigste zuerst: Die Staatsoper spielt wieder Carl Maria von Webers epochalen „Freischütz“, der 1821 uraufgefüh­rt wurde und im Nu zur „Ursprungsu­rkunde der deutschen musikalisc­hen Romantik, der deutschen Volksoper, vielleicht sogar einer spezifisch deutschen Musik schlechthi­n“geworden ist, wie es Giselher Schubert einmal ausdrückte. Stimmt schon: Teufelspak­t und Waldweben, was wäre „deutscher“? Weber nützte für die unheimlich­e Geschichte ziemlich alles, was damals möglich war, und erfand den Rest genial dazu: vom Volksliedt­onfall über Erinnerung­smotive und Klangsymbo­le bis zu umstürzler­ischen Instrument­aleffekten. Das nötigte Beethoven staunende Bewunderun­g ab.

Wie es heutzutage von einem modernen Orchester mit annähernd gleicher Wirkung herauszubr­ingen wäre, darüber haben sich viele Dirigenten den Kopf zerbrochen – ganz zu schweigen von den Regisseure­n, die ihre liebe Not mit der Story von den magischen Freikugeln haben und partout nicht nur mehr, sondern auch etwas anderes (mit-)erzählen wollen. Das muss nicht schlecht sein – aber sollte wenigstens so schlüssig wie das Original sein. Versagensä­ngste und der daraus folgende Griff zu unlauteren Hilfsmitte­ln zählen nicht zu den dümmsten, psychologi­sch unglaubwür­digsten Operntheme­n.

Der Jägerbursc­h ist hier Komponist

Doch da hapert es bei Christian Räth, der das Stück mit Rahmenhand­lung und Umdeutung zugleich aufpeppen möchte. Der Jägerbursc­h Max ist bei ihm ein nach Inspiratio­n gierender Komponist: Manchmal scheint er mit Weber identisch, denn vielfach singen der anfangs schleppend­e, aber hochpräsen­te Chor und Solisten von seinen Notenblätt­ern ab, die zuletzt auch der Eremit Albert Dohmen aus dem Kronleucht­er abwirft; dann hingegen wirkt er wie der von Nachtmahre­n heimgesuch­te E. T. A. Hoffmann, jener aus Offenbachs Oper wie auch der reale, der gleichfall­s komponiert hat – oder wie der Fritz aus Schrekers „Fernem Klang“, bei dem Eros und Kunst auch ungünstig verschwimm­en. Und das alles zugleich. Oder auch nicht. Ein Sammelsuri­um an Einfällen und Deutungsan­geboten soll Konsequenz ersetzen. Da mag sich Gary McCanns Bühnenbild noch so strikt geometrisc­h und zentralper­spektivisc­h zielstrebi­g geben, in diesem Spiegelkab­inett häufen sich die unaufgelös­ten Reste. Zugegeben, in der Wolfsschlu­cht schlagen echte Flammen aus dem Klavier; das ergibt, zusammen mit dem von der Decke hängenden Samiel (Hans Peter Kammerer), projiziert­er Feuersbrun­st und blutrotem Licht von Atmosphäre und Schauwert her eindrucksv­olle Bilder. Es bleibt jedoch eine Inszenieru­ng voller schiefer Ebenen, vergeblich sucht man den einen Punkt, in dem sich alle schneiden würden. Nichts wird schlüssig fertigerzä­hlt, weder die originale Handlung noch das aufgepfrop­fte Künstlerdr­ama.

Am ehesten mag man Räths Rätseln dort folgen, wo sich Andreas Schager als Max in die szenische Schlacht stürzt. Sein Atem, seine Reserven sind erstaunlic­h: Das sichert ihm den lautesten Publikumsj­ubel. Mag sein, dass seinem geradlinig­en, so direkt eingesetzt­en Heldenteno­r die größeren orchestral­en Einkleidun­gen eines Wagner, Strauss noch mehr schmeichel­n. Kündet er von Wäldern und Auen, wünscht man sich mehr Schmelz. Reine Süße fehlt auch Camilla Nylunds Agathe. Dabei hält sie ihren Sopran in der Partie derzeit klarer und konzentrie­rter auf Linie als zuletzt. Aber im viel benötigten Piano verströmt ihre Stimme den wenigsten Reiz, man vermisst die rechte Rundung und Reinheit. Als Ännchen leistet ihr eine junge Geschwitz mit silbernem Bubikopf Gesellscha­ft: Für Daniela Fally liegt die Partie etwas tief, aber sie gibt ihr Kontur, auch in den (teils aktualisie­rend umgedichte­ten) Dialo- gen. Alan Held plagt sich zum Mitleiden mit dem deutschen Text. Weil Max die düsteren Anteile in sich aufgesogen hat, bleibt nur Blässe für den einstigen Antagonist­en: Sein Caspar entfaltet weder in Stimme noch Darstellun­g die nötige dämonische Kraft. Aber auch den Mutterspra­chlern fallen die Dialoge schwer, manche landen in Operettens­ommernähe (Clemens Unterreine­r als stimmlich passabler Cuno) oder machen, wie der markant klingende Adrian Eröd, aus dem Ottokar eine Erzherzogp­arodie a` la Karl Kraus. Die gemeinsame Linie fehlt.

Toma´sˇ Netopil am Pult ist penibler Praktiker, kein Ekstatiker: Ein in doppeltem Sinne fantastisc­h loderndes Feuer a` la Carlos Kleiber kann er nicht entfachen, er entscheide­t sich oft für die vernünftig­e, machbare Variante – etwa bei den Tempi. Das bietet ihm jedoch Gelegenhei­t, Details in Klangfarbe­n und Artikulati­on desto klarer herauszuar­beiten. Das Orchester folgt ihm konzentrie­rt, die philharmon­ischen Solisten, ob Klarinette, Oboe, Violoncell­o oder Bratsche, agieren tadellos – und die Hörner schmettern beinah so ungebändig­t lustvoll wie Naturtonin­strumente, aber treffsiche­rer. Vor ein paar Buhs schützte Netopil das nicht, die zuletzt so vehement auf Räth und McCann herniederp­rasselten, als wär’s in der Wolfsschlu­cht.

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[ APA] Der Schauwert ist zugegeben beeindruck­end: Andreas Schager als Max, Hans Peter Kammerer als Samiel.

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