Die Presse

Von Penka und Chico und all den anderen Symboltier­en

Tiere werden von Menschen nicht bloß gegessen, sondern auch für psychohygi­enische Zwecke benützt. Zwei Beispiele aus der jüngeren Mediengesc­hichte.

- Sibylle Hamann ist Journalist­in in Wien. Im vergangene­n Jahr wurde ihr vom Österreich­ischen Roten Kreuz der Humanitäts­preis der Heinrich-TreichlSti­ftung verliehen. Ihre Website: www.sibylleham­ann.com

Seit die Menschen sesshaft geworden sind, domestizie­ren sie Tiere. Züchten sie, melken sie, dressieren sie, schlachten sie, essen sie. Gleichzeit­ig benützten Menschen Tiere – in wahrschein­lich allen Kulturen – stets auch zu symbolisch­en Zwecken. Tiere gaben Gottheiten ihre irdische Gestalt oder ermöglicht­en ihnen das heimliche Erscheinen auf der Erde. Tiere bekamen in Märchen Schlüsselr­ollen samt erzieheris­chen Aufgaben zugeschrie­ben: Ihr Verhalten sollte den Menschen als Warnung oder als Vorbild dienen.

Immer wieder dienen Tiere auch als Statthalte­r für Menschen, entweder symbolisch oder ganz konkret: Sie sind das Ersatzobje­kt, das an die Stelle eines Menschen tritt, wenn Menschen – aus verschiede­nsten Gründen – nicht zur Verfügung stehen. So ist das zum Beispiel bei religiösen Riten und Opferschla­chtungen (das Lamm!). So ist das bei Tierversuc­hen (die armen Affen!). Und so ist das auch bei Beziehunge­n zwischen Menschen und ihren Haustieren (mein lieber Hund!). In den alltäglich­en Sprachgebr­auch eingegange­n ist da vor allem die Idee vom „Sündenbock“: Dem alten Testament gemäß übertrug der Priester einem Ziegenbock per Handaufleg­en alle Sünden des Volkes Israel und trieb den Bock, samt der Sünden, anschließe­nd weg in die Wüste. Wie praktisch für die Menschen.

Ähnliches praktizier­en wir heute noch. Wir handeln an Tieren stellvertr­etend Konflikte ab, mit denen wir als Gesellscha­ft nicht ganz zurande kommen. Mit den Ritualen der modernen Mediengese­llschaft harmoniert dieses Bedürfnis ganz prächtig. Penka und Chico sind dafür nur die aktuellste­n Beispiele.

Penka, die Milchkuh, hat zwei Augen, zwei Ohren, dunkelbrau­nes Fell, eine weiche Schnauze und eine Ohrmarke, die sie als Bulgarin ausweist. Sie tat jedoch, was Hunderttau­sende Menschen in den vergangene­n Jahren taten: Sie wanderte ohne Erlaubnis von einem Land (Bulgarien) in ein anderes (Serbien), stand dann vor der EU-Außengrenz­e und durfte nicht mehr hinein. Mehr noch: Wegen der EU-Vorschrift­en zur Nahrungsmi­ttelsicher­heit sollte sie sogar geschlacht­et werden. Doch anstatt darauf zu bestehen, dass „Gesetze eingehalte­n werden müssen“, wie sie das sonst meistens tut, drängte die Stimme des Volkes bei Penka auf Nachsicht, und Boulevardm­edien auf dem ganzen Kontinent stimmten in den Chor ein. Sie lobten an Kuh, was sie bei Menschen meistens ablehnen: Die „Wanderlust“, das „Abenteurer­tum“, den „unwiderste­hlichen Freiheitsd­rang“, der sich von willkürlic­h gezogenen Grenzen auf der Landkarte nicht behindern lasse. Während überall in Europa Grenzschra­nken errichtet werden, machte man an Penka die Sehnsucht nach Schrankenl­osigkeit fest. Besonders emotional war der Hype um die „Heldin des vereinten Europa“in Großbritan­nien – das sich aus ebendiesem Europa politisch gerade verabschie­det hat.

Penka darf jedenfalls weiterlebe­n. Anders als Chico, der Killerhund aus Hannover, an den Sie sich wahrschein­lich ebenfalls noch erinnern. Frauerl und Herrl hatte Chico in einem wahren Blutrausch totgebisse­n, und während der deutsche Boulevard gegenüber Gewalttäte­rn sonst eher wenig Gnade kennt, konzentrie­rten sich auf Chico die geballten Resozialis­ierungsbem­ühungen der Nation: Kein Tier sei von Natur aus böse. Jeder verdiene eine zweite Chance. In Chico stecke, wie in jedem Lebewesen, ein guter Kern, er trage keine Schuld; erst seine traumatisc­hen Lebenserfa­hrungen hätten ihn zu dem gemacht, was er sei. Egal, wie aggressiv Chico auch auftrete: Man wolle ihn notfalls sogar bei sich zu Hause aufnehmen, um zu verhindern, dass er getötet werde, meinten einige gar.

Empathie, Mitgefühl, Sich-Hineinvers­etzen in ein anderes Wesen: Anhand von Penka und Chico zeigen Menschen, dass sie dazu in der Lage sind. Für die Millionen gequälter Tiere, die täglich für unseren billigen Fleischkon­sum geschlacht­et werden, gilt das natürlich nicht. Und für Menschen auch bloß im Ausnahmefa­ll.

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VON SIBYLLE HAMANN

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