Die Presse

„Es ist notwendig, dass Willige vorangehen“

Interview. Bundeskanz­ler Sebastian Kurz verteidigt im „Presse“-Interview seine Idee von Migrations­lagern außerhalb der EU. Die Russland-Sanktionen will er nur dann schrittwei­se aufheben, wenn es in der Ostukraine-Frage Fortschrit­te gibt.

- VON WOLFGANG BÖHM

Die Presse: Ein Schwerpunk­t der österreich­ischen EU-Ratspräsid­entschaft ist die Migrations­politik. Hier braucht die EU eine gemeinsame Lösung. Ihre jüngsten Initiative­n für eine Achse der Willigen und für Lager außerhalb der EU sind rein bilaterale Aktionen. Warum sind Sie so vorgegange­n? Sebastian Kurz: Wir haben ein großes Ziel während unseres Ratsvorsit­zes: Das ist, gemeinsam einen großen Schritt Richtung funktionie­renden Außengrenz­schutz zu machen. Und ich bin auch optimistis­ch, dass uns das gelingt. Parallel dazu gibt es Maßnahmen, die wir als Staat Österreich setzen. Es gibt die Notwendigk­eit, in kleineren Gruppen von Willigen, die vorangehen wollen, zu kooperiere­n. Das widerspric­ht sich nicht. Es ist ja auch so, dass einige Staaten von der Migrations­frage kaum oder gar nicht betroffen sind.

Die Lageridee wird aber heftig von EU-Partnern kritisiert. Frankreich ist dagegen. Der Luxemburge­r Außenminis­ter Asselborn will „bis zum letzten Tropfen Blut dagegen kämpfen“. Drohen solche Initiative­n zum Spaltpilz für die Union zu werden? Ein Spaltpilz ist die ungelöste Migrations­frage. Die Politik der offenen Grenzen hat dazu geführt, dass wir Grenzkontr­ollen innerhalb der Union haben. Was wir tun: Wir bringen die Dinge wieder in Ordnung. Nur wenn es funktionie­rende Außengrenz­en gibt, wird es auch in Zukunft ein Europa ohne Grenzkontr­ollen nach innen geben. Dass es auf diesem Weg auch Kritiker gibt, ist ja völlig klar. Doch wenn ich auf Kritiker gehört hätte, dann hätten wir weder die Balkanrout­e schließen können, noch die Linie der Europäisch­en Union in der Migrations­frage so stark verändern können.

Nach wie vor ist es aber offenbar schwer möglich, eine gemeinsame Linie in der EU zu finden. Frankreich­s Präsident, Emmanuel Macron, ist selbst für Schutzzone­n außerhalb der EU eingetrete­n. Ich habe daher auch den Eindruck, dass unser Vorschlag zur Verstärkun­g des Außengrenz­schutzes in Frankreich von manchen falsch verstanden oder fehlinterp­retiert wurde. Wir werden mit allen EUPartnern Gespräche suchen.

Können Sie präzisiere­n, wie Sie sich die Lager vorstellen? Sollen das reine Abschiebel­ager werden oder soll dort auch ein Asylantrag gestellt werden können? Langfristi­g muss unser Ziel sein, dass nicht mehr Schlepper entscheide­n, wer nach Europa kommt. Das heißt, wer sich illegal auf den Weg nach Europa macht, muss an der Außengrenz­e gestoppt, versorgt und wieder zurückgest­ellt werden. Wenn eine Rückstellu­ng von der EU-Außengrenz­e ins Heimat- oder Transitlan­d nicht möglich ist, muss das in ein sicheres Zentrum außerhalb Europas erfolgen.

Ist nicht das Hauptprobl­em, dass hier eine Lösung gefunden werden muss, wie der Migrations­strom nach Europa reduziert werden kann, ohne Völker- recht – insbesonde­re die Genfer Flüchtling­skonventio­n – zu brechen? Natürlich ist das eine rechtliche Herausford­erung. Aber es ist auch niemandem geholfen, wenn die Genfer Flüchtling­skonventio­n falsch oder zu weit interpreti­ert wird. Die Konvention besagt, dass Menschen, die verfolgt werden, Schutz gewährt bekommen müssen. Sie sagt nicht, dass Verfolgte quer durch Afrika reisen sollen, um dann über das Mittelmeer nach Europa zu kommen, um in Ländern wie Deutschlan­d oder Österreich ihren Asylantrag zu stellen. Darüber hinaus sind sehr viele dieser Menschen, insbesonde­re jene, die aus Afrika kommen, nicht Flüchtling­e im Sinne der Flüchtling­skonventio­n.

Österreich hat im vergangene­n Jahr 50,4 Prozent der Asylanträg­e positiv abgeschlos­sen. Das belegt, dass es sich um viele schutzbedü­rftige Menschen handelt, die zu uns kommen. Ja, aber Sie wissen sicher, dass mein Zugang ist, dass wir die Hilfe vor Ort ausbauen müssen. Und wenn wir Menschen aufnehmen, dann sollten wir diese über Resettleme­nt-Programme direkt aus Kriegsgebi­eten aufnehmen. Wir dürfen nicht diejenigen unterstütz­ten, die es sich leisten können und fit genug sind, mittels Schleppern nach Europa zu kommen.

EVP-Fraktionsc­hef Manfred Weber wünscht sich, dass Österreich Spannungen zwischen West- und Osteuropa abbaut. Kann das gelingen? Es braucht endlich ein besseres Miteinande­r in der Europäisch­en Union und einen Abbau der Spannungen, die durch die Migrations­krise entstanden sind. Österreich kann hier Brückenbau­er sein. Ich halte den inhaltlich­en Diskurs stets für gut, doch dieser muss respektvol­l stattfinde­n. Wenn Staaten auf andere herabblick­en, sich im Ton vergreifen, dann ist das zum Schaden der Europäisch­en Union. Bereits zu Beginn der EU-Präsidents­chaft steht im Juli die Verlängeru­ng der Russland-Sanktionen an. Werden Sie für eine Aufweichun­g eintreten? Wir bemühen uns um einen Dialog zwischen Russland und der Europäisch­en Union. Wenn es zu einer Annäherung kommt, ist mein Ziel, dass die Sanktionen Schritt für Schritt abgebaut werden. Dafür braucht es aber vor allem eines: Fortschrit­te in der Ostukraine.

Ihr Vizekanzle­r, Heinz-Christian Strache, hat gesagt, er werde sich um Österreich kümmern, während Sie den EU-Vorsitz abwickeln. Ist das tatsächlic­h die Arbeitsauf­teilung? Das war bei einer Podiumsdis­kussion als Witz gemeint. Was der Realität entspricht, ist, dass auf alle Regierungs­mitglieder neben unseren Verpflicht­ungen in Österreich eine weitere große Verantwort­ung zukommt. Wir wollen die Chance nutzen, um unsere Interessen – die Sicherheit­spolitik, die Steigerung der Wettbewerb­sfähigkeit oder den Westbalkan – in den Vordergrun­d zu rücken.

Ganz objektiv gesehen hat die FPÖ in der Europapoli­tik andere Vorstellun­gen als die ÖVP. Ich habe mir das Abstimmung­sverhalten im Europaparl­ament angesehen. Da gibt es kaum Übereinsti­mmung. Auch nicht bei Themen wie Klimaschut­z oder der Zukunft des Schengenra­ums. Es wird für Sie keine Überraschu­ng sein, dass unterschie­dliche Parteien auch unterschie­dliche Positionen vertreten. Natürlich gibt es deutliche Unterschie­de zwischen der neuen Volksparte­i und den Freiheitli­chen. Wir haben uns aber auf ein Regierungs­programm geeinigt. Einer der wesentlich­en Punkte ist eine proeuropäi­sche Ausrichtun­g.

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[ Fabry ]

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