Die Presse

Der schlaue Rotzbub aus Mailand

Porträt. Lega-Chef Matteo Salvini gibt den Ton in der neuen Regierung in Rom an und sorgt mit seiner Migrations­politik für Furore. Hinter der rauen Fassade versteckt sich ein kluger Taktiker.

- VON SUSANNA BASTAROLI

Die Lega-Parteigeno­ssen nennen Matteo Salvini ihren „Capitano“. Als guter Kapitän ist dem Lega-Chef auch dieses Manöver geglückt: Nur wenige Stunden saß der 44-Jährige als Innenminis­ter auf der Regierungs­bank, und schon riss er das Ruder an sich. Erst zeigte er demonstrat­iv dem verhassten Brüssel in Migrations­fragen den Stinkefing­er, indem er die EU-Asylreform blockierte. Dann ging er noch einen großen Schritt weiter und sperrte Italiens Häfen für NGO-Flüchtling­sschiffe.

In Europa spricht man nur noch von ihm, dem neuen Enfant terrible: Salvini ist jetzt das rotzige Gesicht der Populisten­koalition in Rom – obwohl seine ausländerf­eindliche Lega eigentlich nur Juniorpart­ner im Bündnis ist. Die Fünf-Sterne-Bewegung, der sonst nicht gerade um Worte verlegene Koalitions­partner, schweigt im Augenblick verwirrt. Auch der von den „Grillini“eingesetzt­e Premier, Giuseppe Conte, kann derzeit nicht viel mehr tun, als mit den vom Lega-Chef vorgegeben­en Themen Schritt zu halten.

Salvini, das bewies er nun auf internatio­nalem Parkett, ist ein Meister der Inszenieru­ng und Provokatio­n. Der Fan von Putin und Trump spricht gekonnt die Ängste seiner Wähler an, wenn er düstere Zukunftssz­enarien zeichnet und vor Migration, Islam, Bürokratie, EU, Euro oder Banker-Verschwöru­ng warnt – ganz im Einklang mit den Gesinnungs­genossen aus AfD, FPÖ oder Marine Le Pens Rassemblem­ent National.

Salvini liebt rhetorisch­e Schockeffe­kte. So verspricht er „kontrollie­rte ethnische Säuberunge­n“oder propagiert rassistisc­he Parolen via Twitter: „Man kann sie ja retten, wenn sie in Seenot sind. Aber dann muss man sie zurückbrin­gen an ihre Strände. Dort schenkt man ihnen ein Eis und ein Sackerl Erdnüsse.“

Salvini ist bewusst plakativ. Bevor er sich als Minister die verhassten Krawatten umbinden musste, kommunizie­rte er seine politische­n Botschafte­n über T-Shirts. „Sono un populista“, stand da etwa drauf. Sein Markenzeic­hen ist aber der Bagger, auf dem er sich gern fotografie­ren lässt. Salvini, der Abräumer, warnt dann: „Zigeuner, der Bagger steht bereit“.

Hinter der Fassade des grobschläc­htigen, rassistisc­hen „Verteidige­rs“des kleinen Mannes steckt aber ein kluger Taktiker und gewiefter Politiker. In Wahrheit hat Salvini wenig gemeinsam mit seinem typischen Wähler aus der verarmten norditalie­nischen Provinz, dem Finanzkris­e und Globalisie­rung zugesetzt haben. Er stammt aus einer wohlhabend­en Mailänder Familie und besuchte eines der angesehens­ten humanistis­chen Gymnasien der Stadt.

Ideologisc­h ist der deklariert­e Fan des AC Milan weit flexibler, als seine markanten Sprüche vorgeben. Als Salvini mit 17 Jahren der Lega Nord Umberto Bossis beitrat, „kämpfte“er wie seine Genossen leidenscha­ftlich für ein unabhängig­es norditalie­nisches „Padanien“. Das wollte er vor der „Invasion“der „terroni“(Süditalien­er) schützen. Damals schlug sein Herz links, er gründete die Fraktion der „padanische­n Kommuniste­n“. Später arbeitete er als Journalist für die separatist­sche Zeitung „Padania“und sprach im padanische­n Radio nostalgisc­h lombardisc­hen Dialekt.

Wie wenig Salvini in Wirklichke­it am Unabhängig­keitstraum hing, zeigte sich Jahre später. 2013 stand die Lega Nord vor der Auflösung: Korruption­sskandale setzten den selbst deklariert­en Saubermach­ern zu, bei Parlaments­wahlen sanken sie auf ein Rekordtief von knapp vier Prozent.

Salvini wurde zum Vorsitzend­en gewählt. Ihm gelang das Wunder: Er verpasste der Lega ein völlig neues Gesicht. Die alten Feindbilde­r – Süditalien­er – wurden durch neue – Migranten – ersetzt. „Roma ladrona“, das „diebische Rom“, wich nun den ausbeuteri­schen Brüsseler Bürokraten und dem von deutschen Spekulante­n kontrollie­rten Euro. Die stets zwischen Separatism­us und radikalem Föderalism­us schwankend­e Lega wurde auf einmal eine radikal-nationalis­tische Gruppierun­g.

Salvini gelang es, mit einer eigenen Liste im Süden Fuß zu fassen. Er machte dort mit radikalen Vorschläge­n in der Migrations­politik und offenem Rassismus Stimmung, sprach von der Gefahr einer „Kontaminie­rung“der italienisc­hen Bevölkerun­g durch Überfremdu­ng. Die alten Korruption­sskandale und der frühere Hass gegen Süditalien­er waren vergessen.

Um die Aufmerksam­keit auf sich zu lenken, scheut Salvini übrigens auch nicht vor Entblößung­en zurück. Von einem Tabloid-Magazin ließ er sich nur mit Lega-Krawatte am Hals fotografie­ren und erntete eine Menge „Likes“.

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[ Reuters ]

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