Der schlaue Rotzbub aus Mailand
Porträt. Lega-Chef Matteo Salvini gibt den Ton in der neuen Regierung in Rom an und sorgt mit seiner Migrationspolitik für Furore. Hinter der rauen Fassade versteckt sich ein kluger Taktiker.
Die Lega-Parteigenossen nennen Matteo Salvini ihren „Capitano“. Als guter Kapitän ist dem Lega-Chef auch dieses Manöver geglückt: Nur wenige Stunden saß der 44-Jährige als Innenminister auf der Regierungsbank, und schon riss er das Ruder an sich. Erst zeigte er demonstrativ dem verhassten Brüssel in Migrationsfragen den Stinkefinger, indem er die EU-Asylreform blockierte. Dann ging er noch einen großen Schritt weiter und sperrte Italiens Häfen für NGO-Flüchtlingsschiffe.
In Europa spricht man nur noch von ihm, dem neuen Enfant terrible: Salvini ist jetzt das rotzige Gesicht der Populistenkoalition in Rom – obwohl seine ausländerfeindliche Lega eigentlich nur Juniorpartner im Bündnis ist. Die Fünf-Sterne-Bewegung, der sonst nicht gerade um Worte verlegene Koalitionspartner, schweigt im Augenblick verwirrt. Auch der von den „Grillini“eingesetzte Premier, Giuseppe Conte, kann derzeit nicht viel mehr tun, als mit den vom Lega-Chef vorgegebenen Themen Schritt zu halten.
Salvini, das bewies er nun auf internationalem Parkett, ist ein Meister der Inszenierung und Provokation. Der Fan von Putin und Trump spricht gekonnt die Ängste seiner Wähler an, wenn er düstere Zukunftsszenarien zeichnet und vor Migration, Islam, Bürokratie, EU, Euro oder Banker-Verschwörung warnt – ganz im Einklang mit den Gesinnungsgenossen aus AfD, FPÖ oder Marine Le Pens Rassemblement National.
Salvini liebt rhetorische Schockeffekte. So verspricht er „kontrollierte ethnische Säuberungen“oder propagiert rassistische Parolen via Twitter: „Man kann sie ja retten, wenn sie in Seenot sind. Aber dann muss man sie zurückbringen an ihre Strände. Dort schenkt man ihnen ein Eis und ein Sackerl Erdnüsse.“
Salvini ist bewusst plakativ. Bevor er sich als Minister die verhassten Krawatten umbinden musste, kommunizierte er seine politischen Botschaften über T-Shirts. „Sono un populista“, stand da etwa drauf. Sein Markenzeichen ist aber der Bagger, auf dem er sich gern fotografieren lässt. Salvini, der Abräumer, warnt dann: „Zigeuner, der Bagger steht bereit“.
Hinter der Fassade des grobschlächtigen, rassistischen „Verteidigers“des kleinen Mannes steckt aber ein kluger Taktiker und gewiefter Politiker. In Wahrheit hat Salvini wenig gemeinsam mit seinem typischen Wähler aus der verarmten norditalienischen Provinz, dem Finanzkrise und Globalisierung zugesetzt haben. Er stammt aus einer wohlhabenden Mailänder Familie und besuchte eines der angesehensten humanistischen Gymnasien der Stadt.
Ideologisch ist der deklarierte Fan des AC Milan weit flexibler, als seine markanten Sprüche vorgeben. Als Salvini mit 17 Jahren der Lega Nord Umberto Bossis beitrat, „kämpfte“er wie seine Genossen leidenschaftlich für ein unabhängiges norditalienisches „Padanien“. Das wollte er vor der „Invasion“der „terroni“(Süditaliener) schützen. Damals schlug sein Herz links, er gründete die Fraktion der „padanischen Kommunisten“. Später arbeitete er als Journalist für die separatistsche Zeitung „Padania“und sprach im padanischen Radio nostalgisch lombardischen Dialekt.
Wie wenig Salvini in Wirklichkeit am Unabhängigkeitstraum hing, zeigte sich Jahre später. 2013 stand die Lega Nord vor der Auflösung: Korruptionsskandale setzten den selbst deklarierten Saubermachern zu, bei Parlamentswahlen sanken sie auf ein Rekordtief von knapp vier Prozent.
Salvini wurde zum Vorsitzenden gewählt. Ihm gelang das Wunder: Er verpasste der Lega ein völlig neues Gesicht. Die alten Feindbilder – Süditaliener – wurden durch neue – Migranten – ersetzt. „Roma ladrona“, das „diebische Rom“, wich nun den ausbeuterischen Brüsseler Bürokraten und dem von deutschen Spekulanten kontrollierten Euro. Die stets zwischen Separatismus und radikalem Föderalismus schwankende Lega wurde auf einmal eine radikal-nationalistische Gruppierung.
Salvini gelang es, mit einer eigenen Liste im Süden Fuß zu fassen. Er machte dort mit radikalen Vorschlägen in der Migrationspolitik und offenem Rassismus Stimmung, sprach von der Gefahr einer „Kontaminierung“der italienischen Bevölkerung durch Überfremdung. Die alten Korruptionsskandale und der frühere Hass gegen Süditaliener waren vergessen.
Um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, scheut Salvini übrigens auch nicht vor Entblößungen zurück. Von einem Tabloid-Magazin ließ er sich nur mit Lega-Krawatte am Hals fotografieren und erntete eine Menge „Likes“.