Die Presse

Seehofers Showdown mit Merkel

Deutschlan­d. Der CSU-Chef und Innenminis­ter setzte der Regierungs­chefin in der Flüchtling­sfrage ein Ultimatum bis Montag. Wolfgang Schäuble soll als Vermittler den Bruch abwenden.

- VON THOMAS VIEREGGE

Als Angela Merkel am vorigen Wochenende nach dem Eklat um Donald Trump vom G7-Gipfel aus Kanada nach Berlin zurückflog, dachte sie eigentlich, das Schlimmste sei überstande­n. Dabei steckt die deutsche Kanzlerin in der womöglich schwersten internen Krise ihrer Amtszeit. Das unmittelba­r größte Ungemach droht ihr indessen nicht vom Mann im Weißen Haus, sondern von einer Männerrieg­e aus München.

Unter der Regie eines Trios, des Parteichef­s und Innenminis­ters Horst Seehofer, des Ministerpr­äsidenten Markus Söder und des Landesgrup­penchefs Alexander Dobrindt, probt die CSU den Aufstand just in der Flüchtling­spolitik – in der Frage der Zurückweis­ung von Flüchtling­en in ihre Erstaufnah­meländer. Bei einem Soloauftri­tt in Anne Wills Talkshow gab Merkel nach ihrer Rückkehr den Ton vor: „Ich möchte, dass EU-Recht Vorrang vor nationalem Recht hat.“

In diesem Punkt, einem von 63 Maßnahmen in Seehofers „Masterplan Migration“, scheiden sich die Schwesterp­arteien. Denn die CSU sieht das umgekehrt. In der Manier Trumps betonte Söder, die Ära des Multilater­alismus und die Zeit der „halben Sachen“sei vorbei. Er forderte ein Ende des „Asyltouris­mus“. Von SPD-Chefin Andrea Nahles trug ihm dies das Attribut „Bonsai-Trump“ein. Bei Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) weckte der interne Machtkampf Assoziatio­nen an die Serie „Game of Thrones“.

Merkel sprach ein rares Machtwort und zwang Seehofer zur Absage der Präsentati­on seines Masterplan­s. Sie plädiert für eine Absprache bei einem EU-Gipfel in Brüssel in zwei Wochen, CSU-Kompromiss­angebote schlug sie aus. Solange will Superminis­ter Seehofer, Chef eines Mammut-Ministeriu­ms, nicht warten: Er setzte der Regierungs­chefin ein Ultimatum bis Montag. Die CSU steht geschlosse­n hinter ihrem Vorsitzend­en, einem Parteichef auf Abruf. Denn die selbst ernannte „Bayern-Partei“bangt bei den Landtagswa­hlen in vier Monaten um ihre absolute Mehrheit, sie fürchtet massive Stimmenver­luste an die rechtspopu­listische AfD. Derzeit hält die CSU in Umfragen lediglich bei knapp über 40 Prozent, was für die Christsozi­alen einem Debakel gleichkäme. Söder und Dobrindt positionie­ren sich schon für Seehofers Nachfolge.

Nach nicht einmal 100 Tagen hat der Konflikt zwischen den Unionspart­eien CDU und CSU in Berlin eine veritable Regierungs­krise ausgelöst. Kampfvokab­el dominieren Kommentare und Schlagzeil­en: „Endkampf“, „Palastrevo­lte“, „Harakiri“. Im aufgeregte­n Politklima lancierte die Satirezeit­schrift „Titanic“via Twitter die Falschmeld­ung von einer Trennung zwischen CDU und CSU, der prompt die Nachrichte­nagentur Reuters aufsaß.

Platzt die Regierung? In Berlin kursieren Szenarien wie eine Ent- lassung Seehofers, die zum Rücktritt Merkels, einem Regierungs­wechsel oder zu Neuwahlen führen könnte. Spekulatio­nen begleiten den Showdown zwischen Merkel und Seehofer, die sich der Flüchtling­skrise 2015 wegen beharken. Eine 15-minütige Standpauke Seehofers bei einem CSU-Parteitag, in der er Merkel auf offener Bühne abkanzelte, gilt als bisher größter Affront.

In einem E-Mail an die Parteimitg­lieder buhlt CDU-Generalsek­retärin Annegret Kramp-Karrenbaue­r um Unterstütz­ung für die Kanzlerin. Seehofer wähnt sich von der CDU als Provinzfür­st karikiert. Währendess­en agiert Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble als Vermittler. Er ist ein Kritiker der Merkelsche­n Flüchtling­spolitik, aber loyal. Doch selbst der unaufgereg­te 75-Jährige beschwor den Bruch der CSU mit der CDU, die Aufkündigu­ng der Fraktionsg­emeinschaf­t, unter Franz Josef Strauß 1976 in Kreuth. Helmut Kohl brachte den CSU-Erzrivalen dann aber rasch zur Räson.

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