Die Presse

„Wollen wir eine Metropole sein?“

Veronica Kaup-Hasler. Die neue Wiener Kulturstad­trätin will mehr Budget und denkt über eine Verlegung der Kunsthalle nach. Der SPÖ will sie nicht beitreten.

- VON ALMUTH SPIEGLER UND ULRIKE WEISER

Die Presse: Ihre Bestellung war eine Überraschu­ng. Wie lang wussten Sie es schon? Veronica Kaup-Hasler: Am Freitag, den 11. Mai, war ich in Athen, um mit dem Künstler Walid Raad zu arbeiten. Als ich aus dem Flugzeug gestiegen bin und die Anfrage gesehen habe, musste ich im ersten Moment lachen. Ich dachte, da hätte sich jemand in der Nummer geirrt. Ich hätte nie gedacht, dass diese Stadt überhaupt meine Nummer hat. Ich hatte drei Stunden zum Überlegen.

Haben Sie Michael Ludwig vorher gekannt? Nicht wirklich. Aber er war gut über mich und meinen Werdegang informiert.

Warum haben Sie Ja gesagt? Unter anderem wegen der Gesamtsitu­ation Österreich­s, die sich in den vergangene­n Jahren politisch erschrecke­nd entwickelt hat, auch im großen Konzert mit der Entwicklun­g in Europa. Neoliberal­e und entsolidar­isierende Tendenzen gewinnen die Vorherrsch­aft. In dieser Situation muss man etwas verändern.

Kunsthalle-Wien-Direktor Nicolaus Schafhause­n hat die vorzeitige Beendigung seines Vertrags exakt umgekehrt argumentie­rt. Er sieht in der politische­n Situation keine Möglichkei­t der Veränderun­g. War es ein Zufall, dass er gehen will, als Sie kommen? Er hat seinen Schritt bereits vor meiner Ernennung intern bekannt gegeben. Das habe ich zur Kenntnis genommen. Zugleich ist es eine Chance, um fundamenta­l über die Zukunft der Kunsthalle nachdenken zu können. Wir werden vor der Ausschreib­ung Expertinne­n und Experten einladen und wildes Denken zulassen – sowohl über das Profil der Kunsthalle als auch über den Standort.

Ist es eine Genugtuung, über Jobs bestimmen zu können, für die Sie sich früher interessie­rt haben – wie die Festwochen-Leitung? Es ist nicht so, dass mir dieser Perspektiv­enwechsel kein Lächeln entlockt hätte. Aber ich ticke nicht so. Wenn ich etwas nicht bekomme, sitze ich nicht gekränkt herum, sondern schlage das nächste Kapitel auf. Ich hatte ja einige Anfragen aus dem Ausland, wollte aber aus privaten Gründen nach Wien zurück. Ich bin in den vergangene­n Jahren gependelt, weil meine Kinder hier in die Schule gehen.

Sie erben zwei Personalba­ustellen. Die Festwochen unter Zierhofer-Kin haben Sie selbst schon kritisiert. Das Volkstheat­er unter Badora ist nicht ausgelaste­t. Ich habe die Kritik von außen wahrgenomm­en. Ich kenne beide Intendante­n persönlich. Das Nachdenken ist in beiden Fällen ergebnisof­fen, es wird bald eine Entscheidu­ng geben.

Wann beginnt denn die verschoben­e Volkstheat­er-Sanierung? Die erste Phase erfolgt im Sommer. Die zweite hängt davon ab, ob der Bund das Verspreche­n, das die ExMinister Schelling und Drozda gegeben haben, hält. Es ist ja keine grundsätzl­iche Sanierung, sondern eine Funktionss­anierung. Die Technik ist seit den 1950er-Jahren unsaniert.

Gibt es schon einen Baustart für das Wien-Museum? Im nächsten Gemeindera­t wird der Flächenwid­mungsplan beschlosse­n, der Baustart ist noch offen.

Haben Sie auch große Ideen für die Kulturpoli­tik? Ludwig will mehr Dezentrali­sierung. Ganz viele. Zentral ist die Frage der Ermöglichu­ng. Wenn wir daran denken, dass 75 Prozent der Touristen Kultur als Grund angeben, warum sie nach Wien kommen, will ich durch neue Projekte und Initiative­n dem gerecht werden. Also von einem Verwalten des Ist in ein Handeln für die Zukunft kommen. Das geht nur, wenn die budgetären Rahmenbedi­ngungen existieren. Sie wollen mehr Geld? Glauben Sie, das ist realistisc­h? Das Ressort hat seit nahezu zehn Jahren das gleiche Budget. Ich werde mich dafür einsetzen, dass das Budget den Bedürfniss­en angepasst wird und ich meinen Auftrag erfüllen kann.

Von wie viel mehr reden wir? Da möchte ich nicht vorgreifen. Man muss in jedem Fall aus dem Prekariats­denken herauskomm­en: Nicht nur verwalten, sondern gestalten. Die Stadt endet nicht an der Donau. Ich bin zum Beispiel am Schöpfwerk aufgewachs­en, da leben unterschie­dlichste Leute, von meinen Eltern, die Künstler sind, bis zu Bauarbeite­rn, da braucht es ein differenzi­ertes Kulturange­bot.

Also ab mit der Kunsthalle in die Seestadt? Das ist eine interessan­te Option. Aber ich möchte der Expertenru­nde nicht vorgreifen. Es geht auch darum, mit den Leuten auf Augenhöhe Dinge zu erarbeiten, nicht um eine koloniale Geste.

Die Übersiedlu­ng von Institutio­nen scheiterte mitunter auch daran, dass die Mitarbeite­r nicht in die Außenbezir­ke wollten. Wien wächst und hat eine tolle Infrastruk­tur. Wer nicht bereit ist, ein paar U-Bahn-Stationen zu fahren, kann von sich selbst nicht behaupten, dass er Bewohner einer Großstadt ist. Wollen wir eine Metropole sein oder nicht? Dezentrali­sierung ist auch ein gesellscha­ftspolitis­ches Anliegen: Ich habe im- mer versucht, die Kunstblase aufzubrech­en und für Sauerstoff­zufuhr zu sorgen.

Die Off-Szene hat sich schon mit Forderunge­n gemeldet. Und vieles davon finde ich gerechtfer­tigt.

Sie kennen die Szene gut. Wird das einer Ihrer Schwerpunk­te? Ich finde den Gegensatz von Hochkultur und Off-Szene uninteress­ant. Mich interessie­rt exzellente Kultur. Die Off-Szene braucht Raum. Viele Weltkünstl­er wie Keersmaeke­r (Anm.: Choreograf­in) kommen aus der Off-Szene. Es mag sich nur nicht so anfühlen, weil sie erfolgreic­h sind. Und der Erfolg hat auch mit Raum – Bühnen, Proberäume­n – zu tun. Wenn wir die freie Szene in kleinen Theatern spielen lassen, wird sich nie Großes entwickeln, weil sich die Ästhetik an der Dimension schult. Leerstände könnten hier Abhilfe schaffen.

Ist Ursula Pasterk, auch eine Quereinste­igerin, ein Vorbild? Mit dem Begriff Vorbilder kann ich wenig anfangen. Politisch fällt mir spontan Antanas Mockus ein, ein Philosophi­eprofessor, der als Bürgermeis­ter von Bogota´ mit skurrilen Dingen Erstaunlic­hes bewirkt hat.

Werden Sie in die SPÖ eintreten? Nein.

Warum nicht? Weil Unabhängig­keit mein Asset ist. Deshalb wurde ich geholt.

Sie haben in der Partei keine Hausmacht. Wie wollen Sie sich durchsetze­n – z. B. beim Budget? Vielleicht hilft es auch, dass ich keine parteipoli­tische Geschichte habe. Das heißt, es geht immer nur rein um die Sache.

Bei Ihrem Antritt haben Sie gesagt: „Ich bin ein seltsames Wesen.“Was ist denn so seltsam an Ihnen? Ich glaube, das merken Sie schon die ganze Zeit, oder?

 ?? [ Clemens Fabry ] ?? Als die Anfrage für den Job kam, musste sie lachen. „Ich hätte nie gedacht, dass diese Stadt überhaupt meine Nummer hat“, sagt die neue Kulturstad­trätin, Veronica KaupHasler.
[ Clemens Fabry ] Als die Anfrage für den Job kam, musste sie lachen. „Ich hätte nie gedacht, dass diese Stadt überhaupt meine Nummer hat“, sagt die neue Kulturstad­trätin, Veronica KaupHasler.

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