Im Revier des Bösen
Die
mühsamsten Erinnerungen an das Kleinkindalter? Das Auf-den-Boden-Werfen vielleicht? Oder das Nicht-Weitergehen-Wollen? Für mich ist es vor allem das Haarewaschen. Mir persönlich ist keine einzige Familie bekannt, deren Kleinkinder sich ohne Fluchtversuche, Geschrei und/oder Tränen ihre Haare waschen lassen oder ließen. Die Gründe dieser kollektiven Kleinkinder-Krise liegen aus Erwachsenensicht natürlich vollkommen im Argen. Die findige BabyprodukteIndustrie hat das Potenzial dieser grenzwertigen Minuten jedenfalls erkannt und allerlei Produkte entwickelt, die die Prozedur erleichtern sollen: Es gibt Becher in vermeintlich gute Laune machenden Tierformen, aus denen das Wasser auf das Kinderhaar rinnt, es gibt seltsam geformte Schutz-Konstruktionen, die an einen skalpierten Sonnenhut erinnern, durch die den Kindern angeblich kein Shampoo in die Augen kommt.
Das Kind lehnt mit seinen acht Jahren die regelmäßige Haarpflege immer noch ab, diese geht aber mittlerweile ohne 80-Dezibel-Gekreische, bei dem man sich sorgt, ob die kinderlosen Nachbarn nicht vielleicht das Jugendamt einschalten, von statten. Heute fällt der Widerstand wesentlich eloquenter aus. Auf meine Bitte, es möge kurz in der Wanne untertauchen, um die Haare vor dem Waschen nass zu machen, teilt mir das Kind neulich mit, dies sei leider nicht möglich, die halbe Wanne sei nämlich das „Revier des Bösen“, weshalb es also keinesfalls auf dieser Seite ins Wasser tauchen könne. Und in der anderen Wannenhälfte sitze es ja schon, da sei zum Haare-Nassmachen leider, leider auch kein Platz. Meine nächste Frage („Woran erkennt man das Revier des Bösen?“) ahnend, verweist das Kind auf eine rote Badewannenente mit schwarzen Hörnern, der Teufel des Badezimmers, der drohend am Badewannenrand über dem Revier des Bösen thront. Auf so viel überzeugenden Gegenwind war ich natürlich nicht eingestellt. Das Haarewaschen wurde verschoben und damit das ebenso mühsame Föhnen. Wobei das alles nichts ist im Vergleich zum Kämmen mit dem Läusekamm. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.