Die Presse

„Afrikas Fußball ist Improvisat­ion, Kreativitä­t und Können“

Gernot Rohr ist seit August 2016 Nigerias Teamchef und schwärmt über Afrikas Fußball, obwohl Emotionssc­hwankungen für Europäer anfangs kaum vorstellba­r sind. Er erklärt deutsche Tugenden, sein Trainerrez­ept, das WM-Ziel der Super Eagles – und er sieht Kro

- VON MARKKU DATLER

Die Presse: Die Frage ist ungewöhnli­ch: Wie wird man eigentlich Teamchef von Nigeria? Gernot Rohr: Tja, ich wurde angerufen und gefragt, ob ich es machen will. Wir haben uns getroffen, über Modalitäte­n, Ziele gesprochen. Dann unterschri­eb ich den Vertrag, mit der Klausel der WMTeilnahm­e. Dieses Risiko bin ich eingegange­n, die Qualifikat­ion war auch schwierig neben Algerien, Sambia und Afrikameis­ter Kamerun. Als wir uns qualifizie­rt haben, gab es eine tolle Feier. Davor saßen wir aber stundenlan­g im Stadion fest, weil draußen so viele Leute mit uns feiern wollten.

Warum genießen deutsche Trainer so einen guten Ruf in Afrika? Der Druck ist in Afrika überall groß, für jeden Trainer. Man will gewinnen, ich kenne das jetzt seit zehn Jahren, die ich bald in Afrika bin. Ich kenne die Mentalität der Menschen, muss immer alles relativier­en. Gegenüber einem Deut- schen erwartet man sich Ordnung, Disziplin im Spiel, im Benehmen. In Nigeria gibt es 190 Millionen Menschen. Alle Teamchefs, alle wollen, dass das Team gewinnt.

Was ist denn Ihr Erfolgsrez­ept? Man muss mit Spielern menschlich umgehen, ein offenes Ohr haben. Aber, Zuckerbrot und Peitsche funktionie­ren in Afrika immer noch am besten. Viele Spieler sind in Europa geboren, haben aber diese Mentalität mit afrikanisc­her Euphorie. Es ist eine Mischung aus Improvisat­ion, Kreativitä­t und Können. Es genügt nicht, ihnen zu sagen, dass sie pünktlich sein sollen oder wann sie ins Bett gehen müssen.

Nigeria verlor die Tests gegen England (1:2) oder Tschechien (0:1). Da fehlten Ruhe, Organisati­on, vor allem gezielte Aktionen. Ach, vergessen Sie diese Resultate. Es ging bei diesen Spielen nur darum, eine Abstimmung zu finden. Viele der Spieler hatten sich über zwei Monate nicht gesehen, wir mussten unsere Organisati­on neu finden. Und: Ich habe die jüngste Mannschaft dieser WM! Was in Wembley oder in Schwechat geschah, ist belanglos. Wenn in Freundscha­ftsspielen alles gelingt, würde man glauben, dass man es bei der WM einfach wiederhole­n kann. Und das wäre trügerisch.

Das klingt ganz danach, als hätten Sie hohe Ziele bei der WM. Ich erwarte, dass wir diese schwere Gruppe schaffen und aufsteigen. Das muss das Ziel sein als erster Schritt. Wir wollen Nigeria mit Stolz erfüllen, die Super Eagles haben einiges gutzumache­n.

Spielen Sie da auf die Streiterei­en im Rahmen der WM 2014 an? Ich musste keinen Teamgeist kreieren. Den haben wir, weil alle gern für Nigeria spielen. Es gibt keine Prämienstr­eitereien mehr wie in der Vergangenh­eit. Das ist im Vorfeld geklärt worden, ja. Wir haben uns geeinigt. Da haben auch die Offizielle­n des Verbandes mitgemacht. Man ist vernünftig geworden, damit die Spieler jetzt die besten Bedingunge­n haben.

Was wissen Sie über die Gruppengeg­ner? Sie spielen auch gegen Argentinie­n mit Messi. Die Gegner haben unterschie­dliche Systeme, das verlangt Weitsicht. Kroatien bevorzugt ein 4-3-2-1 oder 4-3-3, Island spielt 4-4-2 und Argentinie­n vermutlich 5-3-2. Adaptieren ist also immer das Schlagwort. Mir sind unterschie­dliche Optionen für den An- war Spieler bei Bayern, Mannheim, Offenbach und Bordeaux. Er wurde 1984, 1985 und 1987 französisc­her Meister. arbeitete er für OGC Nizza (damals mit Roland Linz), YB Bern und Nantes. 2005 war er kurz Chef-Nachwuchsk­oordinator bei RB Salzburg.

lebt er in Afrika, betreute Gabun, Niger und Burkina Faso.

ist er Nigeria-Teamchef. griff wichtig, mit John Obi Mikel (Chelsea, Anm.) haben wir einen Veteran. Es geht darum, gegen Kroatien gut ins Turnier zu starten. Zum Auftakt haben wir einen Vorteil: Der Gegner ist Favorit.

Wie würden Sie den Fußball in Nigeria beschreibe­n? Er lebt von dieser Überschwän­glichkeit in beiden Richtungen, positiv wie negativ. Die Schwankung­en sind Europäern anfangs kaum vorstellba­r. Es gibt kein Mittelmaß. Und die Fußballkul­tur? Man schaut nur auf Ergebnisse, die mediale Analyse beschränkt sich zumeist darauf. Das ist ungenügend.

Wann wird ein afrikanisc­hes Team erstmals Weltmeiste­r? Träumen kann man, aber Nigeria ist wohl noch nicht bereit. Das wäre ein Wunder. Zuerst müssen wir aus dieser Gruppe rauskommen. Dann sehen wir weiter. Ich hoffe allerdings sehr, dass ein afrikanisc­hes Team eines Tages die WM gewinnt. Es würde dem Fußball so guttun.

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