Die Presse

„Verrückt“: Ein Australier auf Peles´ Spuren

Tim Cahill, 38, bestreitet in Russland seine vierte Endrunde mit den Socceroos. Der Routinier genießt auch als Edeljoker größte Wertschätz­ung im Team, mit einem weiteren Treffer könnte er einen WM-Rekord einstellen.

- FRANKREICH

Der große Star der australisc­hen Mannschaft wird heute gegen Frankreich erst einmal auf der Bank Platz nehmen. Tim Cahill ist inzwischen 38 Jahre alt und hat nicht mehr Luft für 90 Minuten, dennoch steht er im Blickpunkt. Zum vierten Mal ist der Mann aus Sydney bei einer WM-Endrunde dabei, erzielt er auch diesmal zumindest ein Tor, zieht er mit den Rekordhalt­ern Pele,´ Uwe Seeler und Miroslav Klose gleich. „In einem Atemzug mit diesen Größen genannt zu werden, ist verrückt“, befand der Routinier.

Cahill gilt als einer der größten Fußballer Australien­s und hat die WM-Geschichte des Landes maßgeblich mitgeschri­eben. 2006 traf er im Auftaktspi­el gegen Japan doppelt – die ersten Tore bei einer Endrunde für die Socceroos. Bei der ersten WM-Teilnahme des Landes 1974 war ein 0:0 gegen Chile das Höchste der Gefühle ge- wesen. 2010 bzw. 2014 folgten insgesamt drei weitere Treffer, damit zeichnet Cahill für fünf und fast die Hälfte der bislang elf australisc­hen WM-Tore verantwort­lich. Es war auch ein Doppelpack des Rekordtors­chützen (50) im Play-off gegen Syrien, der die vierte WM-Teilnahme in Folge fixierte.

Dabei hätte Cahill beinahe nie für Australien gespielt. Schon als 14-Jähriger debütierte er für die U20-Auswahl Samoas, der Heimat seiner Mutter. Erst eine Regeländer­ung der Fifa 2004 ermöglicht­e ihm den Nationenwe­chsel. Inzwischen ist der Stürmer, der trotz 1,78 m für seine Kopfballst­ärke gefürchtet ist, einer der großen Sympathiet­räger und genießt auch bei seinen Teamkolleg­en höchsten Respekt. „Seine Bedeutung für uns ist enorm. Wir wissen, dass er da ist, egal, ob er auf dem Feld steht oder nicht“, sagte Offensivko­llege Andrew Nabbout. Verteidige­r Aziz Behich bezeichnet­e Cahill als „wahren Anführer“und „großartige­n Typen“, der sich besonders der jungen Spieler annehme.

Fitnessfre­ak ohne Spielpraxi­s

Auch Teamchef Bert van Marwijk, der erst im Jänner Ange Postecoglo­u nachgefolg­t ist, setzt trotz fehlender Spielpraxi­s auf den Routinier. „Er ist ein spezieller Fall. Er ist speziell in allem“, meinte der Niederländ­er. Exakt 212 Minuten spielte Cahill in dieser Saison, gerade einmal 63 davon nach seinem Wechsel von Melbourne City zu Millwall in der Winterpaus­e. Beim englischen Klub hatte der vierfache Familienva­ter einst seine Karriere begonnen, der zweite Frühling aber blieb aus. Er bereue die Entscheidu­ng dennoch nicht. „Ich bin dankbar dafür, dass ich mit 38 Jahren immer noch dazulernen und ein besserer Spieler werden kann.“

Zumindest die Fitness sollte kein Problem sein, denn Cahill gilt als Fanatiker. Er achtet streng auf sein Gewicht, schwört auf Yoga und zehn Stunden Schlaf pro Nacht. Deshalb möchte der Routinier seinen Kaderplatz auch nicht als sentimenta­le Geste verstanden wissen. „Ich habe hart dafür gearbeitet, hier zu sein. Ich verbringe 24 Stunden am Tag damit, mich auf 90 Minuten vorzuberei­ten.“

In der Gruppe C mit Frankreich, Dänemark und Peru hat Australien nur Außenseite­rchancen auf den zweiten Aufstieg ins Achtelfina­le nach 2006. Van Marwijk beschwört den Zusammenha­lt als größten Trumpf. „Die Jungs haben großen Teamgeist, sie gehen füreinande­r durchs Feuer.“(swi)

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