Abschied mit Mahler ohne Tränen
Konzerthaus. Cornelius Meister verabschiedete sich vom Radio-Symphonieorchester mit Mahlers Dritter und einer überzeugenden Novität von Beat Furrer.
Alles war für einen großen Auftritt hergerichtet: ein gigantisches Opus von Gustav Mahler, eine Uraufführung eines wichtigen Fast-Österreichers, im Programmheft ein höflicher Abschiedsbrief des Dirigenten, Dankesworte des Konzerthaus-Intendanten und des ORFGeneraldirektors. Den 38-jährigen Cornelius Meister zieht es nach acht Jahren als Chef des ORF-Radio-Symphonieorchesters Wien weiter nach Stuttgart, wo er OpernGMD wird.
Er hat in Wien seriöse Arbeit geleistet, ohne Skandale, aber auch ohne viel Glanz. Nun hat er sich zum Abschied Mahlers Dritte vorgenommen – wissend, dass sein Vorgänger Bertrand de Billy mit Mahler besonders erfolgreich war. In dieser Symphonie verarbeitet Mahler alles, was gut und teuer ist. Er offenbart seine Welt und seine Gefühle selbst um den Preis, sich angreifbar zu machen. Dazu sind ihm alle Mittel bis zur Gigantoma- nie recht. Meister verwaltet sie konzentriert, lässt Mahler unprätentiös seine Geschichten erzählen. Wenn der Sommer einmarschiert, leisten Trompete und Posaune Außerordentliches, das RSO hält sich tapfer, selbst wenn bei den „Tieren im Walde“die Intonation verschwimmt. Mezzosopranistin Alice Coote hat Probleme mit der tiefen Lage der Nietzsche-Worte über das Achtgeben des Menschen. Singakademie und Sängerknaben bereiten einträchtig das Terrain für den Finalsatz über die Liebe, der einem die Tränen in die Augen treiben sollte. So weit und so tief wagt sich Meister aber nicht vor, wiewohl ein sehr engagierter Konzertmeister ihm gestisch anzeigt, was alles hinter diesen Noten steht.
Auch Beat Furrers Novität behandelte Meister verlässlich. Furrer sorgt ja wie sein großer Lehrer Haubenstock-Ramati in der heimischen Avantgarde-Szene für gesunde Aufregung, mischt das Material mit intellektuellem Pfeffer und Chili neu, erforscht und erfindet Klangwelten. Im Orchesterwerk „Nero su nero“(„Schwarz auf Schwarz“) hantiert er mit vertraut scheinenden Tonvokabeln, die auch Moderne-ängstlichen Ohren schmeicheln. In großer Besetzung zieht eine Art Scherzo vorbei, rabiat bewegt zuerst, dann werden im langsamen Mittelteil sensible Schichten angetragen, die eine geheimnisvolle Atmosphäre suggerieren. Eine Stimmung fast wie zu Ende des zweiten „Tristan“-Aktes . . . Zum abrupten, untheatralischen Abschluss ein paar grelle Tuttischläge, keine Kadenz und kein Kommentar. Punktum, das war’s. Ein nachhaltiger Erfolg.
Festzuhalten bleibt, dass ORFDirektor Wrabetz sich so öffentlich wie nachdrücklich zur Existenz des RSO bekannt hat. Meisters Nachfolge ist geregelt: Marin Aslop kommt – aber erst in zwei Jahren. Eine wienerische, schlampige Lösung – dafür leistet sich der ORF einen Orchesterintendanten . . .