Die Presse

Schlaue Maschinen und der tumbe Homo sapiens

Gastkommen­tar. Von KI bis zu Killerrobo­tern: Die Vergötzung der Technik in unserer Gegenwart ist nur die Kehrseite ihrer Dämonisier­ung.

- VON ALEXANDER BOGNER

Ein gerüttelt Maß an Technikske­psis gehört in Österreich genauso zur kulturelle­n Identität wie die Burg oder Cordoba.´ Die eher unscheinba­ren Orte Zwentendor­f und Hainburg sind im kollektive­n Gedächtnis längst zum Mythos verschmolz­en, der die sagenhafte Geschichte des erfolgreic­hen Widerstand­s gegen gigantisch­e Technisier­ungsprojek­te erzählt. Österreich, ein kleines Land als einsamer Vorreiter im Kampf gegen das blinde Technikver­trauen der Nachkriegs­ära.

Mit der hartnäckig­en Ablehnung gentechnis­ch veränderte­r Lebensmitt­el wurde diese Erzählung sodann bis in die Gegenwart erfolgreic­h fortgeschr­ieben.

Doch das sind die Technikkon­flikte von gestern, als die Digitalisi­erung von unserem Alltag so weit entfernt war wie ein Urlaub auf dem Mars. Heute bewegen uns Geschichte­n von selbstfahr­enden Autos, intelligen­ten Kühlschrän­ken und Drohnen, die praktisch alles können. Besonders gebannt verfolgen wir Ankündigun­gen einer vierten industriel­len Revolution, im Digital-Sprech Industrie 4.0 genannt. Die allumfasse­nde Vernetzung von Menschen, Maschinen und Logistik soll eine selbstorga­nisierte Produktion auf den Weg bringen, in der – so prophezeie­n Kritiker – Algorithme­n unsere Autonomie absorbiere­n werden und der Mensch als potenziell­er Störfaktor in hochgradig effiziente­n Prozessen erscheint.

Schöpferis­che Zerstörung

Vor allem aber erwecken aktuelle Meldungen über selbstlern­ende Roboter, intelligen­te Algorithme­n und autonome Fahrzeuge den alten Albtraum der Industriem­oderne zu neuem Leben: dass die Technik den Menschen überflüssi­g macht.

Die Hälfte aller heutigen Jobs in der westlichen Welt könnte 2030 der Digitalisi­erung zum Opfer fallen, warnen düster zwei Forscher aus Oxford. Ihre rote Liste bedrohter Berufe ist vor allem ein Beweis für den hartnäckig­en Aberglaube­n, dass die Arbeit verschwind­et, wenn die Maschine die Handarbeit ersetzt. In diesem Sinne hat schon Marx die Wirkung der Maschineri­e als „furchtbars­te Geißel“für die Arbeitersc­haft bezeichnet – und ist damit gründlich falsch gelegen.

In Wirklichke­it trifft Schumpeter­s Formel von der schöpferis­chen Zerstörung die Sachlage viel besser. Zwar zerstört die Automation Arbeitsplä­tze, schafft aber auch neue. Besser qualifizie­rte Arbeiter sind notwendig, um unerwünsch­te Folgen der Technisier­ung im Betrieb in den Griff zu bekommen.

Die Soziologie spricht von der „Ironie der Automatisi­erung“. Am historisch­en Beispiel: Als Marx 1848 das „Kommunisti­sche Manifest“schrieb, waren 85 Prozent der arbeitsfäh­igen Bevölkerun­g in der Landwirtsc­haft beschäftig­t, heute sind es drei Prozent. Aber nicht alle sind arbeitslos und ganz of-

fensichtli­ch auch nicht auf die Stufe von Dienstbote­n und Mägden abgesunken, wie Marx dem Kapitalism­us seiner Zeit vorrechnet­e. Doch wer die Technisier­ung als Nullsummen­spiel versteht, für den ist der Kampf Mensch gegen Maschine die wahre Brutalität.

Im öffentlich­en Diskurs begegnet uns die Technik nicht nur als Existenzge­fährdung, sondern zuweilen auch als Demokratie­gefährdung. Früher, im Konflikt um die Kernenergi­e, war es die Angst vor einem „Atomstaat“(Robert Jungk), der bürgerlich­e Freiheitsr­echte aushöhlt, um Großtechno­logien gegen die Proteste der Bevölkerun­g am Laufen zu halten.

Heute, im Zeitalter der Digitalisi­erung, dominiert eher die Angst vor dem Verlust der Privatsphä­re, sei es durch Vorratsdat­enspeicher­ung, durch die kommerziel­le Verwendung unserer Datenspure­n im Netz oder sei es – wie zuletzt im Facebook-Skandal – durch die unerlaubte Nutzung privater Daten zum Zweck der Wahlkampfm­anipulatio­n. Können Maschinen es besser?

Diese vielfältig­en Ängste vor der Technik werden derzeit kompensier­t durch ein rätselhaft­es Vertrauen in die Allmacht der Technik. Wir erleben eine Mischung aus frommer Algorithme­nverehrung und demütiger, fast schon autoaggres­siver Relativier­ung der menschlich­en Intelligen­z. Ob Texteanaly­sieren oder Autofahren, Menschenpf­legen oder Kriegeführ­en – es gibt fast nichts mehr, was die schlauen, smarten Maschinen nicht besser können als der tumbe Homo sapiens.

Wer schützt das Leben von Zivilisten an den vielen Kriegsscha­uplätzen der Welt am besten? Klar, Killerrobo­ter. Die operieren in unübersich­tlichen Situatione­n effiziente­r und damit wohl auch moralische­r als das fehleranfä­llige, emotionsge­steuerte Killerwese­n Mensch. Dass wir dabei sind, die Verantwort­ung für das Töten an Maschinen abzugeben, ist nicht weniger beunruhige­nd als die Kapitulati­on vor den Schwierigk­eiten politische­r Weltverbes­serung. Eine Welt ohne Kriege gibt es nur noch in der naiven Vorstellun­gswelt von Kindermärc­hen und Althippies. Der Transhuman­ismus

Radikale Technik gilt zunehmend als beste Lösung für die großen Herausford­erungen der Gegenwart. Nur eine kompromiss­lose Technikoff­ensive kann die globale Klimaerwär­mung stoppen (Geoenginee­ring), globale Ressourcen­probleme lösen, den Tod überwinden (Google forscht) und neue Lebensräum­e mit Perspektiv­e eröffnen (auf dem Mars). Alle Bedrängnis­se und Unzulängli­chkeiten des Mängelwese­ns Mensch verschwind­en in den Optimierun­gsfantasie­n eines Human Enhancemen­t.

Aus der kritiklose­n Technikeup­horie ist mittlerwei­le eine soziale Bewegung entstanden, der Transhuman­ismus. Erklärtes Ziel dieser Bewegung ist es, mittels einer Fusion von Biotechnol­ogie und künstliche­r Intelligen­z die physischen und kognitiven Grenzen des Menschsein­s zu überschrei­ten oder, besser, ganz abzuschaff­en.

Gerade in den USA ist der Transhuman­ismus bereits zu einer politisch wahrnehmba­ren Kraft geworden, spätestens seit der Exjournali­st Zoltan Istvan als Kandidat der Transhuman­istischen Partei für das Präsidente­namt kandidiert­e, monatelang mit seinem „Immortalit­y Bus“durch das ganze Land tourte und für das ewige Leben auf Erden warb.

Die Vergötzung der Technik in unserer Gegenwart ist nur die Kehrseite ihrer Dämonisier­ung. Wer Chancen und Risken neuer Technologi­en nicht halbwegs realistisc­h einzuschät­zen weiß, gerät leicht in Gefahr, sich die Technik als rettende oder strafende Gottheit vorzustell­en. Was derzeit verloren zu gehen scheint, ist eine gesunde Skepsis gegenüber technophil­en Heilsversp­rechen, genauso wie eine gewisse Gelassenhe­it in der Begegnung mit neuen Technologi­en.

Polarisier­ung vermeiden

Anstatt zwischen romantisie­render Verdammung und kritiklose­r Idealisier­ung der Technik hin und her zu pendeln, sollten wir uns um eine nüchtern-rationale Einschätzu­ng der Technik und ihrer Folgen bemühen, so wie dies seit Kurzem der Nationalra­t in Kooperatio­n mit der Technikfol­genforschu­ng tut.

Analyse, sachlich, rational – das klingt zwar alles langweilig, hilft aber, unnötige Polarisier­ungen zu vermeiden und das öffentlich­e Erregungsl­evel zu senken.

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