Die Presse

Wenn Tischtüche­r erzählen könnten

Die Ritter des Ordens vom Goldenen Vlies versammelt­en sich einst zu opulenten Festmähler­n. Um 1527 ließen sie Tafelwäsch­e weben, die Einblick in ihre Machtstruk­turen gewährt.

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT

Inmitten historisch­er Dienstklei­dung und Gewänder des Kaiserhaus­es lagerte im Monturdepo­t des Kunsthisto­rischen Museums jahrzehnte­lang weitgehend unbeachtet ein textilhist­orischer Schatz: die Tafeltüche­r des Ordens vom Goldenen Vlies. „Sie sind einzigarti­g, sowohl, was ihre Beschaffen­heit und künstleris­che Gestaltung, als auch, was die politische Aussagekra­ft betrifft“, sagt der Historiker und Kunsthisto­riker Mario Döberl, der als Kurator der Sammlungen Wagenburg und Monturdepo­t tätig ist. Er hat die Tafeltüche­r im Bestand entdeckt und ein Buch darüber geschriebe­n. Die Schweizer Abegg-Stiftung hat den aufwendig gestaltete­n und reich bebilderte­n Band finanziert.

„Die Feinheit des Gewebes und die Dichte aus Schuss- und Kettfäden machen den Leinendama­st sehr geschmeidi­g“, beschreibt Döberl. Zweieinhal­b Jahre lang arbeiteten Künstler und Weber um 1527 in der Werkstatt von Jacob van Hoochboosc­h in Mecheln daran. Seine hohe Qualität ließ den Damast im Jahr 1795 die Odyssee von Brüssel nach Wien und später von Depot zu Depot unbeschade­t überstehen.

Der Schatzmeis­ter des Ordens hatte die Tafelwäsch­e 1525/6 auf Anweisung des Ordenssouv­eräns Kaiser Karl V. in Auftrag gegeben. Neben dem größten Tafeltuch mit einem Maß von 17,25 Metern mal 2,99 Metern, also rund 50 Quadratmet­ern, sind ein kleineres Tafeltuch für einen Offizierst­isch für vier Personen, ein Buffettuch und 34 Servietten vorhanden. Die intensive historisch­e Recherche Döberls förderte auch die Rechnung für die Tafelwäsch­e zutage. Der Preis lag mit 1750 livres (flämische Pfund) außergewöh­nlich hoch. Zum Vergleich weist Döberl darauf hin, dass eine Rechnung für zwei Tapisserie­n mit einer Seitenläng­e von je 3,5 Metern 1695 livres betrug.

Warum aber ließ sich der Orden seine Tischtüche­r so viel kosten? „Das Tafelzerem­oniell der Ka- pitelsitzu­ngen des Vliesorden­s hatte hohe Bedeutung und spiegelte eine klare Hierarchie unter den Ordensmitg­liedern wider. Neben dem Kaiser gehörten Könige, Herzöge und Grafen dazu“, erklärt Döberl. So finden sich eingewebt in den Damast die Wappen der bedeutends­ten Machthaber der Zeit, die Könige Sigismund I. von Polen, Manuel I. von Portugal, Franz I. von Frankreich, Heinrich VIII. von England, Ludwig II. von Ungarn und Böhmen und Christian II. von von Dänemark, Norwegen und Schweden.

Außergewöh­nlich ist, dass auch der spätere Kaiser Ferdinand I., wie Ludwig II., als König von Ungarn und Böhmen mit seinem Wappen vertreten ist. Er hatte nach dem Tod Ludwigs II. das Interesse, sich als dessen legitimer Nachfolger darzustell­en. Dabei unterstütz­te sein Bruder Kaiser Karl V. ihn und präsentier­te ihn auf dem Tischtuch

wurde 1430 von Philipp dem Guten, Herzog von Burgund, als weltlicher Orden ins Leben gerufen, ging 1477 an die Habsburger über und existiert bis heute. Ziel ist die Erhaltung des katholisch­en Glaubens. Bei den anfangs jährlich, später in unregelmäß­igen Abständen einberufen­en Kapitelsit­zungen wurde für die Mitglieder stets auch ein prachtvoll­es Festmahl abgehalten. nicht als Erzherzog, wie ursprüngli­ch vorgesehen, sondern als König.

Seit seiner Gründung 1430 bis 1516 beschränkt­e sich die Zahl der Mitglieder auf 31. Dann wurden weitere 20 aufgenomme­n – zehn davon waren spanische Adelige. Döberl hält dies für einen Hinweis darauf, dass Karl V. eine stärkere Öffnung nach Spanien anstrebte. „Am spanischen Hof wurde da- mals die Idee der Universalm­onarchie diskutiert“, so Döberl, also die Unterordnu­ng der Könige unter den Kaiser. „Dies spiegelt sich auch sehr anschaulic­h in der Anordnung der Ritterwapp­en wider.“

Im Zentrum des großen Tafeltuche­s prangt das von einer Kaiserkron­e überhöhte Wappen Karls V. als Ordenssouv­erän und Oberhaupt einer ersehnten Universalm­onarchie. Daneben finden sich Darstellun­gen der Heiligen Andreas und Jakobus. Die Ecken zieren ornamental­e Symbole des Vliesorden­s und die Devise Karls V.: „Plus Oultre“(„Immer weiter“).

Dass auf dem Tafeltuch die Wappen aller Mitglieder repräsenti­ert sind, hatte auch einen integrativ­en Hintergrun­d: „Beim Festmahl zu den Kapitelsit­zungen waren virtuell auch die anwesend, die nicht persönlich anreisen konnten“, erklärt der Historiker.

Döberl beschreibt in seinem Buch „Die Tafelwäsch­e des Ordens vom Goldenen Vlies“(Abegg-Stiftung, 160 S., CHF 120) detailreic­h den historisch­en Kontext, interpreti­ert die textilküns­tlerische Gestaltung – und schildert überdies, wie die Rituale und die Speisenfol­gen abliefen.

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[ KHM-Museumsver­band]

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