Die Presse

Eine „moderne Frau“auf völkischen Abwegen

In einem Buch erinnern Wiener Historiker­innen an die Frauenrech­tsaktivist­in und spätere Deutschnat­ionale Käthe Schirmache­r. Die Widersprüc­he in deren Biografie stören sie dabei nicht – im Gegenteil.

- VON CORNELIA GROBNER

Wer mit seinen Leistungen in die Geschichte eingehen will, ist im besten Fall männlich. Darüber hinaus ist ein wahlweise abgrundtie­f böses oder aber ein ausgesproc­hen gutes und idealisier­bares Leben von Vorteil. „Für die Wissenscha­ft und das Nachdenken über Gesellscha­ft sind widersprüc­hliche Biografien jedoch viel spannender“, meint zumindest die Historiker­in Johanna Gehmacher vom Institut für Zeitgeschi­chte der Uni Wien.

Eine, die dahingehen­d genug Forschungs­material bietet, ist die 1865 in Danzig geborene Journalist­in und Schriftste­llerin Käthe Schirmache­r. Und genau deshalb wählten Gehmacher und ihre Kolleginne­n, Elisa Heinrich und Corinna Oesch, die Frauenrech­tsaktivist­in auch exemplaris­ch aus: Anhand ihrer Lebens- und Wirkungsge­schichte konnten die Historiker­innen neue Einblicke in eine Zeit des Umbruchs europäisch­er Gesellscha­ften um 1900 gewinnen. „Generell haben sich europäisch­e Gesellscha­ften damals stark verändert“, sagt Gehmacher. Das hängt mit dem enormen wirtschaft­lichen Wachstum, der Industrial­isierung und der Ausbreitun­g des Verkehrs, aber auch mit den einschneid­enden Erfahrunge­n des Weltkriegs zusammen. Das alles hat ein Gefühl von Beschleuni­gung erzeugt. Wir haben uns gefragt, wie Biografien aussahen, in denen dieser Bruch eine Rolle spielte.“

Die Ergebnisse ihrer Forschunge­n sind jetzt in einem Buch mit dem Titel „Käthe Schirmache­r: Agitation und autobiogra­fische Praxis zwischen radikaler Frauenbewe­gung und völkischer Politik“(596 Seiten, 57 Euro) im BöhlauVerl­ag erschienen. Das Hauptaugen­merk der Historiker­innen liegt dabei auf der sogenannte­n Frauenfrag­e, die zu dieser Zeit erstmals in einer breiten Öffentlich­keit diskutiert wurde. Die junge Schirmache­r war zwar nie eine Linke, aber liberal eingestell­t und Teil der radikalen internatio­nalen Frauenbe-

(1865–1930) war eine deutsche Frauenrech­tlerin und prominente Vertreteri­n der radikalen Frauenbewe­gung. 1899 begründete die Journalist­in, Schriftste­llerin und Vortragsre­isende den Verband fortschrit­tlicher Frauenverb­ände mit. Später vertrat sie vehement völkischna­tionale Agenden. wegung. Im Laufe ihres Lebens orientiert­e sie sich jedoch zunehmend nationalko­nservativ und sprach sich etwa gegen das demokratis­che Wahlrecht aus.

Käthe Schirmache­r verstand sich selbst als eine „moderne Frau“. Doch Autonomie und Unabhängig­keit waren, wie sie in ihren Werken zeigte, für die meisten Frauen schwer erreichbar. Die Ehe galt im Bürgertum als das ideale Modell der „Versorgung“, höhere Bildung blieb Frauen verschloss­en. Als die wirtschaft­lichen Umwälzunge­n immer mehr von ihnen auf den Arbeitsmar­kt warfen, wurden ihnen dort nur wenige, schlecht bezahlte Positionen geöffnet.

Schirmache­rs prominente Rolle in der Frauenbewe­gung geriet aufgrund ihrer völkischen Gesinnung zunehmend in Vergessenh­eit. „Es ist nachvollzi­ehbar, dass lange niemand an sie anknüpfen wollte“, so Gehmacher. Für ihre historisch­en Forschunge­n hingegen haben sich aber genau diese Spannungsf­elder in Schirmache­rs Lebensweg als wertvoll erwiesen.

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