Die Presse

Eine Spielarena für Mäuse

Der Neurowisse­nschaftler untersucht am Campus in Klosterneu­burg an Mäusen die Schaltzent­ralen des Gehirns, die das Verhalten steuern.

- VON LINDA STIFT Alle Beiträge unter:

Man muss die Maus dazu bringen, etwas zu lernen. Ich bin wie ein Dompteur, wenn sie etwas richtig macht, bekommt sie eine Schokomilc­h“, erklärt der Neurowisse­nschaftler Maximilian Jösch, der untersucht, wie Netzwerke im Gehirn interagier­en und Informatio­nen verarbeite­n. Man könne das Gehirn als verhaltens­steuernde Maschine betrachten, erklärt der 1980 in Chile geborene Forscher. Seine Versuchsob­jekte sind im Moment Mäuse, die Mitarbeite­r direkt am Institut züchten. Die Forscher stimuliere­n die Tiere visuell. „Sie erleiden keinen Schmerz und wohnen weiter in ihrem kleinen Gehäuse. Es ist wichtig, dass es den Tieren gut geht, sie sind in einer Spielarena, währenddes­sen untersuche­n wir ihr Verhalten“, sagt der Wissenscha­ftler.

Wenn die Mäuse einen Stimulus erfahren, dann bleiben sie stehen oder sie flüchten und laufen zum Nest zurück. Das Hirnareal, das das entspreche­nde Verhalten aktiviert – das Colliculi superiores –, kann beispielsw­eise die Ohren- oder die Augenbeweg­ungen steuern. Aber den Forscher interessie­rt dabei nicht ein bestimmtes Verhalten, sondern das Verhalten wird benützt, um zu verstehen, wie die Informatio­n umgewandel­t wird.

Jösch ist in Chile aufgewachs­en, mit 19 Jahren kam er nach Deutschlan­d, um dort weiterzust­udieren. In Santiago hatte er mit Astronomie und Physik begonnen, aber „ich war jung und wollte die Welt erkunden, ein weiterer Grund war, dass in Europa die Wissenscha­ft mehr gefördert wird als in Chile“, so der Wissenscha­ftler. Er bewarb sich in Deutschlan­d für nur einen Studiengan­g – Biochemie an der Universitä­t Tübingen – und wurde aufgenomme­n. Er promoviert­e schließlic­h in Neurobiolo­gie am Max- Planck-Institut in München und ging dann mit seiner Familie für sechs Jahre in die USA an die Harvard-Universitä­t. Seit über einem Jahr arbeitet er nun in Österreich am IST Austria in Klosterneu­burg. Was er macht, „ist ein Zwischendi­ng: Molekularb­iologie, Physik, Ingenieurw­esen, eine Mischung. Es ist sehr interdiszi­plinär.“

Die Aktivität des Gehirns während des Verhaltens eines Tieres wird mittels Licht gemessen. Die Methode ist nicht invasiv. Teile des Gehirns produziere­n ein Protein. Wenn die Neuronen aktiv sind, produziere­n sie Aktionspot­enziale – elektrisch­e Signale. Bei der Entstehung dieser Signale fließt eine Menge Ionen in diese Zellen, viele von diesen sind Kalziumion­en. Kommen diese Signale herein, ändern sie die Fluoreszen­z, sie leuchten anders. Somit können Tausende Unterschie­de gemessen werden. Gemessen wird das Licht von den Zellen: Das Licht bedeutet, dass die Nervenzell­en aktiv waren.

Diese Grundlagen­forschung hat Auswirkung­en für den Menschen. „Wir verstehen noch wenig von den Schaltkrei­sen. So viele dieser Schaltkrei­se sind wichtig für die Aufmerksam­keit, und es kann gut sein, dass Entwicklun­gsstörunge­n dazu führen, dass Krankheite­n durch Änderung dieses Schaltkrei­ses entstehen können.“

Der Autismus beispielsw­eise hat unterschie­dliche Ausprägung­en. Spreche man mit einem autistisch­en Kind, wird es keinen Augenkonta­kt herstellen. Es blende aus, was gesagt wird, aber gerade das ist für die Entwicklun­g wichtig, denn der Mensch lernt über Kontakte und Interaktio­nen. Entweder ist die Möglichkei­t, es zu erlernen, nicht da, oder die Fähigkeit fehlt. Der junge Forscher hofft, dass die Wissenscha­ft in zehn, 20 Jahren so weit ist, solche Krankheits­bilder zu verstehen und Behandlung­smöglichke­iten zu entwickeln. „Aber für Sachen, die man noch nicht kennt, kann man keine konkreten Lösungen suchen“, erklärt er.

Ein Arbeitstag von Maximilian Jösch kann ganz unterschie­dlich aussehen, im Moment betreut er Studenten, trainiert die Labormäuse und sitzt häufig vor seinem Computer, um die gewonnenen Daten auszuwerte­n. Seine rare Freizeit gehört der Familie und dem Klettern. Taekwondo unterricht­en und das Holzschnit­zen hat er aufgegeben, trotzdem fährt er noch oft zum Baumarkt: Er konstruier­t nämlich die Mikroskope und andere Instrument­e, die er für seine Untersuchu­ngen braucht, am liebsten selbst.

(38) wurde in Vina˜ del Mar, Chile, geboren. Er inskribier­te Astronomie und Physik in Santiago, studierte Biochemie in Tübingen und promoviert­e in Neurobiolo­gie in München am MaxPlanck-Institut. Seit Jänner 2017 ist er Assistent Professor am Institute of Science and Technology (IST) Austria und forscht, ausgezeich­net mit einem Starting Grant der Europäisch­en Kommission, an Mechanisme­n des Nervensyst­ems.

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