Der Ort, an dem sie nicht leben wollten
Namibia. 300.000 Menschen leben in Katutura, dem größten Township Windhoeks. Transformation eines ungeliebten Orts.
Meine Familie kam 1959 im Zuge der Zwangsumsiedlungen nach Katutur“, sagt Rosa Namesis. „Das war das Jahr, in dem ich geboren wurde. Ich erinnere mich, dass es in den Sechzigerjahren hier noch Antilopen gab und die Männer Kudus und Springböcke jagten, die dann am offenen Feuer gebraten wurden“, erzählt die 60-Jährige aus Windhoek, der namibischen Hauptstadt. „Wir hatten damals weder Strom noch Fließwasser. Das Wasser holten wir uns vom Fluss, den es auch längst nicht mehr gibt.“
Rosa Namesis sitzt in der Küche ihres Häuschens in Golgotha in Katutura, in dem sie mit ihren elf Geschwistern aufgewachsen ist. Heute leben anstelle ihrer Geschwister zehn Waisenkinder hier. 1999 hat sie das Dolam-Projekt gegründet und seither 195 Kindern ein neues Zuhause gegeben. Rosa Namesis gehört zur Volksgruppe der Damara, in deren Sprache Dolam so viel wie „kleines Lämpchen“heißt. „Als Kinder haben wir uns in der Nacht an den kleinen Petroleumlämpchen orientiert, die in den Fenstern der Häuser und Hütten gestanden sind.“
Die Buben und Mädchen zwischen sechs und dreizehn Jahren, die mit uns am Tisch sitzen, kennen diese Geschichten bereits und widmen sich wieder ihren Schulaufgaben.
Brot aus Maismehl
„Ich war damals Parlamentsabgeordnete des Congress of Democrats und war für soziale Angelegenheiten zuständig. Dabei musste ich mitansehen, wie die Institutionen von der Bürokratie geradezu gelähmt wurden. Also habe ich die Initiative ergriffen und das DolamProjekt ins Leben gerufen. Und da die Probleme nicht kleiner werden, bauen wir gerade ein neues Haus, in dem bis zu dreißig Kinder Platz finden werden.“
Rosa Namesis ist eine faszinierende Frau, die mit ihren grauen, bis zur Hüfte reichenden RastaZöpfen, dem bunten Hemd und der Schlaghose trotz ihrer sechzig Jahre in jeder Reggae-Band spielen könnte. Es ist also sicher kein Zufall, dass auf der Wand des Waisenhauses ein Zitat von Bob Marley steht: „Emancipate yourself from mental slavery.“
Als kleines Gastgeschenk überreichen wir Rosa Namesis einen Sack Maismehl, das die Kinder zum Brotbacken und zur Zubereitung des namibischen Nationalgerichts Mealie-Pap verwenden können. Dieser zuerst flüssige, dann feste Maisbrei wird entweder mit Fleisch, Gemüse oder nur mit Soße als Beilage serviert.
Justine, die das Treffen im Dolam-Haus organisiert hat, ist von Rosa Namesis genauso begeistert wie wir, und da Justine an der Universität von Windhoek Psychologie studiert, weiß sie jetzt auch, wo sie ihr nächstes Praktikum machen wird.
Während wir uns auf den Weg zum 1959 Heroes and Heroines Memorial Grave machen, informiert uns Justine über die Geschichte von Katutura. In der Sprache der Herero heißt Katutura „Der Ort, an dem wir nicht leben möchten.“Entstanden ist Katutura 1959, nachdem die Stadtverwaltung von Windhoek und die südafrikanischen Besatzungsbehörden beschlossen hatten, die Stadt von den Schwarzen und Farbigen zu säubern. Die Zwangsumsiedlungen erfolgten gemäß den Apartheidsgesetzen nach ethnischer Zugehörigkeit, weshalb es immer noch Viertel gibt, in denen hauptsächlich Herero, Oshivambo, Damara oder Nama wohnen. Heute leben in Katutura rund 300.000 Menschen, das sind fast 15 Prozent