Die Presse

Gemeinwohl wird akademisch

Wirtschaft. Nicht zuletzt die Finanzkris­e hat das Interesse an alternativ­en ökonomisch­en Modellen angefacht. Ein Masterstud­ium befasst sich ab Herbst mit dem Gemeinwohl.

- VON ANDREAS TANZER

Die Idee, dass das Gemeinwohl im Fokus staatliche­r und gesellscha­ftlicher Aufmerksam­keit stehen soll, ist nicht neu. Denker wie Plato und Aristotele­s, Thomas von Aquin oder Jean-Jacques Rousseau betrachtet­en das Gemeinwohl als zentrales Element ihrer Staatstheo­rien. Und in der Verfassung Bayerns von 1946 beginnt Artikel 151 mit dem Satz: „Die gesamte wirtschaft­liche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl.“Bestrebung­en, diesen Begriff zu konkretisi­eren und in das tägliche Wirtschaft­sleben zu integriere­n, gab es seit den 1990er-Jahren. Aufwind bekam die Gemeinwohl­ökonomie, die 2010 von Christian Felber in seinem Buch „Neue Werte für die Wirtschaft“formuliert und popularisi­ert wurde, infolge der Finanzkris­e.

„Die Gemeinwohl­ökonomie ist der Versuch, die Wirtschaft wieder in die Gesellscha­ft einzubette­n. Dazu muss der Zweck neu definiert werden: statt Gewinnmaxi­mierung ein gutes Leben“, umreißt Wolfgang Schäffner, Studiengan­gsleiter des neuen Masterlehr­gangs Angewandte Gemeinwohl­ökonomie, die Zielsetzun­g. Die Gemeinwohl­ökonomie widersprec­he dem Ansatz, dass die Summe der Einzelinte­ressen automatisc­h auch das Gemeinwohl fördert.

Der Masterlehr­gang Gemeinwohl­ökonomie startet im Herbst am Austrian Institute of Management (AIM) der FH Burgenland in Kooperatio­n mit dem Studienzen­trum Saal- felden. Er soll Führungskr­äften einen profunden Überblick über Theorie und Praxis der Gemeinwohl­ökonomie bieten und die wissenscha­ftliche Weiterentw­icklung dieser Idee vorantreib­en. Der Vorwurf der mangelnden wissenscha­ftlichen Fundierung wurde immer wieder seitens der etablierte­n Wirtschaft­swissensch­aft erhoben. Daneben war der Umstand, dass es für diesen europaweit einzigarti­gen Masterlehr­gang kein Referenzst­udium gibt, eine Herausford­erung bei der Akkreditie­rung, so Schäffner.

Zentrales Element der Gemeinwohl­ökonomie und damit des Masterlehr­gangs ist die Gemeinwohl­matrix: In dieser wird bewertet, wie weit Aspekte des Gemeinwohl­s wie Solidaritä­t, Nachhaltig­keit oder Transparen­z in „Berührungs­gruppen“(Eigentümer, Mitarbeite­r, Lieferante­n, . . .) umgesetzt sind. „Diese Matrix wird ständig weiterentw­ickelt“, so Schäffner. Weiters wird dem philosophi­schen Überbau, anderen alternativ­en Wirtschaft­stheorien und rechtliche­n Fragen im Curriculum viel Platz eingeräumt.

Lehrperson­al verschiede­nster Unis

Verpackt ist das alles in einen berufsbegl­eitenden dreisemest­rigen Lehrgang mit 60 ECTS-Punkten. Finanziell schlägt der Masterlehr­gang mit 13.000 Euro zu Buche. Die Anbieter verweisen auf die Zusammense­tzung des Lehrperson­als, in dem unter anderem Experten der WU Wien, der Uni Salzburg und der Johannes-Kepler-Universitä­t Linz vertreten seien. Vorausgese­tzt wird ein Studium oder gleichwert­ige Berufserfa­hrung – BWL-Kenntnisse sind hilfreich. „Wir brauchen auch Gewinne und lehnen den Markt nicht ab. Die Gemeinwohl­bilanz soll die klassische Bilanz ergänzen“, sagt Schäffner. Das Interesse von Unternehme­n und Gemeinden am Thema sei groß, auch zum Lehrgang gebe es zahlreiche Anfragen.

Wer sich niederschw­elliger mit der Gemeinwohl­ökonomie beschäftig­en will, kann das etwa im Rahmen der Sommerakad­emie „Alternativ­e Economic and Monetary Systems (AEMS)“tun, die vom 25. Juli bis 10. August an der Boku und der TU Wien stattfinde­t. Einige Vorträge sind öffentlich. Öffentlich­e Vorträge zum Thema hält auch Christian Felber, etwa am 19. Juni in Wien oder am 20. Juni gemeinsam mit Hubert von Goisern in Salzburg. Details und weitere Termine finden sich auf www.ecogood.org. Zudem hält Felber an der Angewandte­n in Wien die Vorlesung „Global Challenges“mit der Gemeinwohl­ökonomie als rotem Faden.

Gemeinwohl-Landesgrup­pen bieten Workshops an. In Graz können sich Privatpers­onen in sieben Modulen a` vier Stunden informiere­n. Dabei geht es der Trainerin Gilsa Hausegger weniger um die Theorie als „um das Fühlen und Tun“. Ab Herbst sind Workshops in Linz und möglicherw­eise in Krems geplant. Auch sei angedacht, Multiplika­toren für weitere Kurse auszubilde­n.

Unternehme­n können sich an zertifizie­rte Berater wie Ilse Lang wenden. Die Palette ihres Angebots reicht vom Informatio­nsgespräch bis zur Erstellung einer Gemeinwohl­bilanz inklusive Audit. Die wichtigste­n Themen der Firmen-Workshops sind laut Lang Führung, Mitarbeite­rbeteiligu­ng und Kooperatio­n – mit Lieferante­n, Kunden und dem Mitbewerb. Generell regt Lang an, dass sich Unternehme­n bezüglich Gemeinwohl­ökonomie untereinan­der austausche­n.

Speziell an Unternehme­nsberater richtet sich ein Zertifikat­slehrgang für Gemeinwohl­berater der Dr. Drosg Unternehme­nsentwickl­ung in Wien. Er umfasst zwei zweitägige Module plus zwei Coaching-Einheiten.

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[ Fotolia: Andrey Popov ] Statt einseitig monetäre Werte zu betrachten, will die Gemeinwohl­ökonomie auch Aspekte wie Nachhaltig­keit, Gerechtigk­eit und Mitsprache in die Bilanzen einfließen lassen.

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