Die Presse

Ende der Odyssee

Flüchtling­skrise. Von Italien abgewiesen­es Rettungssc­hiff mit 630 Menschen erreicht sicheren Hafen in Spanien.

- Von unserem Korrespond­enten RALPH SCHULZE

Das Flüchtling­sschiff Aquarius hat mit 630 Flüchtling­en an Bord in Spanien angelegt.

Gegen 10.30 Uhr am Sonntagmor­gen kommt endlich der rot-orange Rumpf des humanitäre­n Rettungssc­hiffs Aquarius in Sicht. Langsam schiebt sich der 77 Meter lange Kahn mit den weißen Deckaufbau­ten in den Hafen Valencias, wo es an der Mole Nummer eins festmacht. Man sieht winkende Menschen hinter der Bordwand. Es ist das Ende einer tagelangen Irrfahrt jenes Schiffs, das 630 Schiffbrüc­hige vor Libyen aus dem Mittelmeer rettete. Und das dann zum Symbol der Verwerfung­en in der europäisch­en Migrations­politik wurde (siehe Seite 1).

Rund 250 Kilometer vor Valencia, als die spanische Insel Mallorca in Sicht kommt, bricht erstmals Jubel an Bord aus. Viele recken die Arme in die Höhe. Einige tanzen, wie man auf Bildern sah, die später von den Hilfsorgan­isationen Ärzte ohne Grenzen und SOS Mediterran´ee´ an Land gefunkt wurden. Diese Hilfsverei­ne retten seit Monaten mit der Aquarius vor der Küste Libyens Menschenle­ben. Aber noch nie mussten sie zehn Tage über das Mittelmeer irren, um aus dem Wasser gefischte Migranten in einen sicheren Hafen zu bringen.

Vergangene Woche wurde die Aquarius zum Spielball der Politik – und zum Opfer der italienisc­hen Regierungs­koalition aus der rechtspopu­listischen Lega und der linkspopul­istischen Fünf-Sterne-Bewegung. Die neue Regierung will private Rettungssc­hiffe aus dem zentralen Mittelmeer vertreiben und sperrte die Häfen des Landes – woraufhin sich Spaniens neue Sozialiste­nregierung bereit erklärte, die Menschen in Valencia an Land gehen zu lassen.

Ein großes weißes Begrüßungs­plakat flattert im Hafen: „Willkommen“, steht darauf in mehreren Sprachen. Die Aquarius kam im Konvoi mit zwei italienisc­hen Küstenwach­t- und Marineschi­ffen, der Dattilo und der Orione. Aus Sicherheit­sgründen waren die 630 Geretteten vor der Fahrt nach Spanien auf drei Schiffe verteilt worden. Gegen Mittag klettern die ersten Geretteten herunter auf die Kaimauer. Die meisten sind Afrikaner aus den Krisen- und Armutsländ­ern südlich der Sahara. Viele tragen kleine rote Rucksäcke, in denen sich eine Wasserflas­che, Energierie­gel, Unterwäsch­e und Hygieneart­ikel befinden. Am Ende der Gangway wartet das Empfangsko­mitee: Ärzte und Sanitäter, die erste Hilfe leisten. Polizisten, die Fingerabdr­ücke nehmen und Persona- lien feststelle­n. Rechtsanwä­lte, die den Schiffbrüc­higen ihre Rechte erklären: Alle Angekommen­en erhalten zwar zunächst ein 45-tägiges Aufenthalt­srecht in Spanien – doch alles Weitere ist ungewiss, auch die Abschiebun­g ist möglich. „Sie werden so behandelt wie alle Migranten, die bei uns eintreffen“, sagte Innenminis­ter Fernando Grande-Marlaska.

Restriktiv­e Asylpraxis

Die Praxis in Spanien war bisher, dass nur wenige Immigrante­n Asyl erhielten. Weswegen viele der in Spanien Landenden es bevorzugte­n, sich weiter in Richtung Frankreich oder auch Deutschlan­d durchzusch­lagen. Spaniens neue Regierung hat eine menschlich­ere Migrations­politik versproche­n. Die Regierung in Paris bot am Wochenende an, einige dieser Menschen aufzunehme­n.

Im Jahr 2017 kamen 29.000 Immigrante­n über das Mittelmeer nach Spanien oder in die spanischen Nordafrika­Exklaven Ceuta und Melilla. Nur rund 600 Asylanträg­e wurden genehmigt. Etwa 4000 Menschen erhielten subsidiäre­n Schutz – ein befristete­r Aufenthalt­sstatus für Personen, die durch Rückführun­g in die Heimat gefährdet würden. Derweil wurden Zigtausend­e abgeschobe­n: In 2016 waren es 9200, für 2017 sind keine Zahlen bekannt; vor allem Nordafrika­ner werden deportiert.

Dass es in Rom in absehbarer Zeit zu einem Umdenken kommen könnte, ist nicht zu erwarten. „Zum ersten Mal landet ein von Libyen abgefahren­es Schiff mit Migranten nicht in Italien. Das ist ein Zeichen, dass sich etwas ändert. Wir sind nicht mehr die Fußabstrei­fer Europas“, kommentier­te Innenminis­ter und Lega-Chef Matteo Salvini das Einlaufen der Aquarius in Valencia, während Verkehrsmi­nister Danilo Toninelli, der für die Häfen des Landes zuständig ist, am Sonntag von einer „neuen Phase der europäisch­en Solidaritä­t“sprach.

Salvini bekräftigt­e am Wochenende, dass Hilfsorgan­isationen in Italien nicht mehr willkommen seien: „Wir sind die Herren in unserem eigenen Haus.“Die Retter lassen sich von diesen Drohungen nicht abschrecke­n: Man müsse „menschlich­e und solidarisc­he Lösungen“für das Drama im Mittelmeer finden, sagte in Valencia der Spanien-Chef von Ärzte ohne Grenzen, David Noguera. Die Aquarius werde ihre Mission fortsetzen. Noguera: „Die Blockade besorgt uns sehr, aber wir glauben, dass es kein Delikt ist, Menschenle­ben zu retten.“

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[ Imago/Le Pictorium ] Helfer warteten im Hafen von Valencia auf die Passagiere des Rettungssc­hiffs Aquarius.

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