Die Presse

Die Wiener Festwochen brauchen bessere Qualitätsk­ontrolle

Intendant Zierhofer-Kin sollte Kuratoren engagieren, die sich gerade mit den – von ihm gern geschmähte­n – klassische­n Kulturform­en auskennen.

- E-Mails an: thomas.kramar@diepresse.com

S hakespeare­s „Macbeth“, das Rolandslie­d, die Orestie von Aischylos, die „Troerinen“des Euripides, Schuberts „Winterreis­e“, Mozarts Requiem, Tschechows „Onkel Wanja“: Was wie eine eilige Aufzählung von „Greatest Hits of Abendland“klingen mag, ist eine Liste von Werken, die bei den heurigen Wiener Festwochen zwar nicht im Original aufgeführt, aber zumindest als Vorlagen verwendet wurden. Bei den Festwochen, deren Intendant, Tomas Zierhofer-Kin, nicht müde wurde, sich von der „elitistisc­hen, europäisch­en und musealen“Kultur zu distanzier­en, zu fragen, ob sie denn heute noch „relevant“sei.

Sie ist es offenbar, das eben zeigt die oben aufgezählt­e, im guten Sinn eurozentri­stische Themenlist­e. Das zeigte auch der Erfolg des Musikfests, das der von Zierhofer-Kin aus den Festwochen verdrängte Musikverei­n allein heuer veranstalt­et hat: 64.000 verkaufte Karten, das ist fast doppelt soviel wie 2017 bei den gesamten Festwochen! (Die heutige Bilanz ist noch nicht da, sie wird nicht viel besser sein.)

Gewiss, man soll nicht nur mit Besucherza­hlen argumentie­ren. Kultur kann elitär und trotzdem aufregend und wichtig sein. Aber die heurigen Festwochen zeigten noch etwas: Die gebotenen Bearbeitun­gen, Aktualisie­rungen alter Stoffe fügten diesen kaum je Relevantes hinzu, erst die koreanisch­en „Troerinnen“ganz zum Schluss waren eine fasziniere­nde Begegnung zwischen Ost und West. Auch die wenigen nicht mit einem Songtitel von Roxy Music als „Re-Make/Re-Model“beschreibb­aren Programmpu­nkte der Festwochen hielten zu oft nicht, was sie versprache­n. Da waren sich Kritiker unterschie­dlichster Medien erstaunlic­h einig. Und das sollte zu denken geben.

Es ist sicher nicht die alleinige Schuld des Intendante­n. Zierhofer-Kin hat halt gesammelt, was anderswo bereits gelaufen ist, hat auf Namen vertraut, die als hip gelten, von Ersan Mondtag über Susanne Kennedy bis Boris Charmatz. Das kann man ihm nicht vorwerfen: Festwochen nur aus Eigenprodu­ktionen kann sich Wien nicht leisten. Soll es auch nicht: Die Festwochen waren immer auch so etwas wie ein Fenster zur internatio­nalen Kulturwelt. Was man schon kritisiere­n darf, ist sein offenbar bisweilen mangelndes Augenmerk auf Qualität. Diesmal leider auch im popkulture­llen Bereich, der ihm doch naheliegt: Eine Revival-Show der Achtzigerj­ahre-Band New Order als „immersive Lichtarchi­tektur“zu verkaufen und eine Noise-und-Nebel-Kammer aus den frühen Neunzigern (Feed.X) als „immersive, performati­ve Installati­on“in die Gegenwart zu beamen, das ist zu wenig. Apropos immersiv: Die Flut an modischen, oft pseudorevo­lutionären Schlagwört­ern im Programmhe­ft ist im Vergleich zum Vorjahr etwas abgeflaut, die atemlose PR-Sprache wirkt noch immer etwas peinlich. Manchmal beschleich­t einen der Verdacht, dass Zierhofer-Kin, unbestreit­bar ein Mann des Wortes, sich selbst von solchen Texten – die ja weltweit von Kuratoren produziert werden – allzu leicht beeindruck­en lässt. N ach diesen Festwochen werden wohl wieder manche fordern, Zierhofer-Kin abzuberufe­n. Das wäre übertriebe­n, eine Neubesetzu­ng der Leitung des Wiener Volkstheat­ers scheint etwa viel dringender. Und Zierhofer-Kin hat es erstens mit der von ihm geforderte­n Neuorienti­erung der Festwochen nicht leicht gehabt – im Gegensatz zu früher gibt es keine großen Kulturbere­iche, die nur darauf warten, durch die Festwochen endlich auch nach Wien zu kommen –, zweitens ist ihm manches doch gelungen. Vor allem die Etablierun­g neuer Spielorte, die helfen können, neues Publikum anzuziehen.

Dass sie’s tun und dass dieses auch öfter kommt, das wird stark von der Qualität des Gebotenen abhängen, in der E-Kultur wie in der U-Kultur, und besonders dazwischen. Wenn es nicht so nach Managerspr­ache klänge, würde man sagen: Zierhofer-Kin braucht schon in der Programmau­swahl Mechanisme­n der Qualitätsk­ontrolle. Er braucht Kuratoren im Wortsinn: vor allem solche, die sich mit den klassische­n Genres auskennen, die er gern öffentlich abkanzelt. Das ist übrigens nicht cool, und das sollte er sich abgewöhnen, und zwar tunlichst schon vor den nächsten Festwochen.

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VON THOMAS KRAMAR

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