Kann Fußball wirklich die Börsen beeinflussen?
Studien zeigen, dass sich Marktteilnehmer während einer Fußball-WM irrational verhalten. Das wirft die Frage auf, wann sie das sonst noch tun. Man sollte in Betracht ziehen, dass man sich auch selbst von irrationalen Motiven leiten lässt. Es muss ja nicht
An den Börsen gibt es regelmäßig wiederkehrende Muster, die rätselhaft sind. Zumindest dann, wenn man annimmt, dass es sich bei den Börsianern um kühle Rechner handelt, die ausschließlich auf ihren ökonomischen Nutzen aus sind. Zu diesen Mustern zählt etwa die Tatsache, dass die Börsenmonate Mai bis Oktober im Schnitt signifikant schlechter sind als die von November bis April. Deswegen gibt es die Sell-inMay-Regel, wonach man im Mai seine Aktien verkaufen und im Herbst wieder kaufen soll. Das klingt unsinnig, denn warum sollten die langfristigen Zukunftsaussichten eines Unternehmens immer im Frühling gut sein und sich im Sommer plötzlich verschlechtern, und das jedes Jahr? Aber die Statistik spricht eine eindeutige Sprache.
Auch zeigt sich, dass die Aktien an der Börse des Fußball-WM-Siegers in der darauffolgenden Zeit überdurchschnittlich gut performen. Das scheint unsinnig; warum sollte es den Unternehmen besser oder schlechter gehen, nur weil die Nationalmannschaft den WM-Pokal eingefahren hat? Dennoch schlug sich etwa die Mailänder Börse im zweiten Halbjahr 2006, nachdem Italien die Weltmeisterschaft in Deutschland gewonnen hatte, besser als der Weltaktienindex (auf gleicher Währungsbasis). Im Juli 2010, als Spanien in Südafrika zum Weltmeister gekürt worden war, legte die Börse in Madrid deutlich stärker zu als der Weltaktienindex. Der Effekt verflog aber schnell: Im gesamten zweiten Halbjahr blieb Spanien hinter dem Weltaktienindex zurück.
Doch wie bei der Sell-in-May-Regel gibt es auch Ausnahmen: 2014 wurde Deutschland in Brasilien zum Fußballweltmeister gekrönt, und während der Weltaktienindex im Juli leicht schwächelte, sackte die Frankfurter Börse stärker ab. Auch im gesamten zweiten Halbjahr hinkten die deutschen Aktien hinterher.
Die Börse des Gastgeberlandes wiederum profitiert im ersten Halbjahr relativ zum Gesamtmarkt von der Fußball-WM. Das traf auf Frankfurt 2006, Johannesburg 2010 und Sao˜ Paulo 2014 zu. Einzig Russland schaffte es heuer bis dato nicht, den Weltaktienindex zu schlagen. Die US-Sanktionen hatten dann doch stärkeren Einfluss als das WM-Fieber.
Während der Fußball-WM sind die Marktteilnehmer zudem abgelenkt. Die Agentur Reuters zitiert eine Studie von Michael Ehrmann, Chefanalyst der EZB. Ihr zufolge fielen die Börsenumsätze in 15 untersuchten Ländern während der WM-Spiele im Schnitt um 30 Prozent niedriger aus als sonst. Spielte das eigene Land, ging die Börsenaktivität um 40 Prozent zurück, in fußballbegeisterten Ländern wie Brasilien und Argentinien gar um mehr als 75 Prozent.
Daraus lassen sich nun zwei Lehren ziehen. Erstens: Die Märkte sind nicht effizient, sondern durchaus auch irrational. Dass sie das nur während einer Fußball-WM sind, ist äußerst unwahrscheinlich. Auch politische Ereignisse wie Handelskriegsdrohungen und deren Abschwächung können die Märkte in die eine oder andere Richtung überreagieren lassen. Das eröffnet Chancen für Anleger, die auf der Suche nach guten und günstigen Aktien sind.
Überschätzen sollte man diese Chancen aber auch nicht, schon gar nicht als Kleinanleger. Man ist wohl kaum der Einzige, der versucht, die Märkte zu schlagen. Womit wir schon bei zweitens angelangt wären: Man sollte durchaus in Betracht ziehen, dass man sich auch selbst von irrationalen Motiven leiten lässt. Und sei es, dass man doch irgendwann von Gier gepackt wird, wenn ein Index aus scheinbar irrationalen Gründen einen Höhenflug erlebt – im Fachjargon heißt das „fear of missing out“(Angst, etwas zu verpassen). Oder von Panik, wenn er das Gegenteil tut.