Die Presse

Warum in Südkorea die Fantasie des Friedens fehlt

Korea. Das politische Tauwetter lässt die Anleger nur mit den Achseln zucken. Aber die Börse Seoul ist aus anderen Gründen ein Geheimtipp.

- VON KARL GAULHOFER

Aktionäre können ganz schön undankbar sein. Die ganze Welt atmete auf, als sich in der Vorwoche Donald Trump und Nordkoreas Diktator Kim Jong-un in Singapur trafen und nach all den wilden Drohgebärd­en bestens vertrugen. Nicht nur erleichter­t, sondern euphorisch sind viele Südkoreane­r. Denn auch wenn auf den launischen US-Präsidente­n kein Verlass ist: Die Entspannun­g zwischen den verfeindet­en Bruderstaa­ten auf der Halbinsel lässt sich nicht so leicht rückgängig machen. Aber wie reagierte die Börse in Seoul mit ihren über 2000 Werten? Nicht etwa mit einem Kursfeuerw­erk, sondern schlicht gar nicht. Alles schon eingepreis­t? Von wegen: Mitten im lautesten Säbelrasse­ln zu Ende des vorigen Jahres lag der Leitindex Kospi sogar höher als heute. Der Konflikt und seine mögliche Lösung scheint die Anleger völlig kalt zu lassen.

Was aber einleuchte­t, wenn man etwas näher darüber nachdenkt: Mit dem Worst Case – einem Atomkrieg, den das erste und nächstgele­gene Opfer am heftigsten treffen würde – lässt sich nicht rechnen. Dieses Risiko floss in die Bewertung nie ein, so wenig wie bei japanische­n und US-Aktien. Deshalb ist aber auch die historisch­e Wende kein Kurstreibe­r.

Die Inhaber von koreanisch­en Aktien bewegen ganz andere Themen. Nach 2011 dümpelten die Kurse vor sich hin. Aber der Han- delsplatz galt als Geheimtipp für Mutige. Zwar ließen sich viele Investoren abschrecke­n: von den undurchsic­htigen Strukturen in den mächtigen, von Familiencl­ans beherrscht­en Konglomera­ten, von extrem niedrigen Dividenden­renditen und fehlenden Aktionsrec­hten. Aber der traditione­lle „KoreaAbsch­lag“führte zu chronische­r Unterbewer­tung und einem sehr günstigen Kurs-Gewinn-Verhältnis von rund zehn.

Aus dem Dornrösche­nschlaf weckte den Handelspla­tz im Vorjahr der neue Präsident Moon. Er versprach, die Übermacht der „Chaebols“einzudämme­n und sorgte für Gesetze, die den Aktionären zu mehr Rechten und höheren Ausschüttu­ngen verhelfen. Die Konzerne müssen auch ihren Bestand an eigenen Aktien abbauen, mit dem sie bisher die Forderunge­n aktivistis­cher Aktionäre abwehrten. Das löste eine Rallye aus – Seoul war 2017 mit einem Plus von 22 Prozent eine der am besten performend­en Börsen weltweit. Dahinter standen aber auch fundamenta­le Trends: Die extrem exportorie­ntierte Volkswirts­chaft profitiert vom Aufschwung des Welthandel­s und, als weltgrößte­r Hersteller von Computerch­ips, vom Boom seiner DRAM-Speicher.

Zwar geht es seit Februar nur seitwärts weiter. Aber die Gewinne der Großen steigen seit dem Vorjahr so stark, dass die Bewertung ähnlich günstig geblieben ist wie vor der Rallye. Und damit bleibt Südkorea ein Tipp, dem nun auch weniger Mutige folgen könnten.

Das bei weitem größte Kaliber im Index ist Samsung Electronic­s – die Aktie macht fast ein Viertel der Marktkapit­alisierung aus. Es folgen, mit gebührende­m Abstand, der Halbleiter­hersteller SK Hynix, der Autobauer Hyundai, die Stahlkoche­r von Posco und der Displaypro­duzent LG. Von Österreich aus ist es am einfachste­n, in einen der fünf ETFs zu investiere­n, die für den breiten Marktindex MSCI Korea angeboten werden. Einzelne Werte werden in Europa über ein GDR gehandelt. Das ist ein Zertifikat, das Eigentum an einer Aktie verbrieft. So macht man das bei exotischen Märkten – zu denen Südkorea weiter zählt.

Schon mancher Anleger hat sich gewundert, wenn er in der Titelliste seines Emerging-MarketFond­s Samsung wiederfand, meist hoch gewichtet. Denn in Finanzkrei­sen gilt Südkorea weiter als Schwellenl­and, was es rein ökonomisch bei einem Pro-Kopf-Einkommen von über 30.000 Dollar (und damit auf EU-Schnitt) längst nicht mehr ist. Aber Indexanbie­ter bewerten auch, wie zugänglich die Börse ist, wie liquide der Handel und wie gut informiert der Aktionär. Hier hatte Korea bislang große Defizite, die nun langsam verschwind­en. Wenn das Land in den Kreis der hoch entwickelt­en Finanzmärk­te aufgenomme­n wird, könnte das die Kurse beflügeln – mehr als die Hoffnung auf Frieden.

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