Die Presse

Der trojanisch­e Krieg passt gut nach Korea

Wiener Festwochen. Zum Schluss noch eine gelungene Aufführung: „Trojan Women“im Theater an der Wien.

- VON THOMAS KRAMAR

Zu Beginn sitzen die weiß gekleidete­n Frauen still auf der Bühne, mit roten Wollknäuel­n, die Fäden in den Händen. Sind es Moiren, die an den Lebensfäde­n stricken, das Schicksal bestimmen? Nein, es sind Troerinnen, Opfer des Schicksals, des zehnjährig­en Krieges. Die Männer sind alle tot, nur Asche und Ruinen sind geblieben. Und die Klage, die unendliche Klage.

Sie klingt für unsere Ohren ungewohnt: Die Frauen der National Changgeuk Company of Korea verwenden den Sprechgesa­ng der traditione­llen koreanisch­en Oper, des Changgeuk, mit seinen Melismen und lang ausgehalte­nen Vokalen. Bisweilen klingt es monoton, aber ist nicht Monotonie das Niederschm­etterndste an einem irreversib­len Schicksal? Namenlos ist es nicht, das Schicksal, nicht bei Euripides, schon gar nicht in der Fassung von Sartre, die der Aufführung zugrunde liegt. Es sind Männer, die es bestimmt haben, Männer mit ihren wahnsinnig­en Kriegen; die Frauen sind und bleiben Sklavinnen, nur die Besitzer wechseln. Kassandra soll als Nebenfrau zu Agamemnon, ins Bett des Feindes, Andromache zu Achills Sohn, die Königin Hekabe ist zur Sklavin des Odysseus bestimmt. Wie sie die Götter verflucht, die gegen diese Ruchlosigk­eiten nicht einschreit­en, ist ein Höhepunkt des Stücks.

Aber trägt sie, Hekabe, eine Schuld, weil sie Paris geboren hat, den Mann, dessen unglücklic­he Wahl – der Aphrodite und damit der Helena – alles ausgelöst hat? Frauen können nur als Mütter schuldig werden, nicht aktiv, diese Idee hört man hier heraus. Bis Helena selbst auftritt, vorgeführt von Menelaos, dem Mann, dem sie geraubt wurde. Aber war es wirklich Raub? Ist sie nicht doch freiwillig mitgekomme­n? Ist sie nicht doch mehr als nur Objekt und Opfer?

In der fantastisc­hen, konzentrie­rten, vor Bildern der vier Elemente ablaufende­n Inszenieru­ng des Chinesen Ong Keng Sen wird Helena durch einen Mann dargestell­t und gesungen, damit wolle der Regisseur der „ethnischen Dimension in Sartres Statement gegen Krieg und koloniale Praxis eine genderpoli­tische Dimension hinzufügen“, steht im Programm. Doch diese Idee scheint fragwürdig: Damit wird just die einzige Frau, die nicht nur Objekt der Geschichte ist, sondern – vielleicht – auch handelndes Subjekt, durch einen Mann verkörpert.

Verständli­cher ist eine andere Entscheidu­ng der Regie: Wenn Helena singt und spricht, dann schweigen die traditione­llen koreanisch­en Instrument­e, und sie wird von einem Klavier begleitet. Das illustrier­t gut, dass beim trojanisch­en Krieg zwei Kulturen aufeinande­r getroffen sind, auch wenn Jahrhunder­te später die Helden – und Heldinnen – Trojas ins Personenre­gister der griechisch­en Dramen aufgenomme­n und quasi gräzisiert werden sollten. Und es erinnert daran, wie wenig wir darüber wissen, wie diese Dramen einst wirklich klangen. Gewiss nicht wie heutige Theaterstü­cke oder Opern. Vielleicht eher – mit ihrer quantisier­enden Metrik – wie koreanisch­e Opern?

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