Wut statt Dankbarkeit: Von der Schwierigkeit, „richtig“zu helfen
Dass der Hilfsbedürftige seinen Helfer hasst, ist ein verbreitetes psychologisches Phänomen. Im öffentlichen Diskurs kommt es nicht vor.
Wut und Hass gegen Helfer war in den vergangenen Jahren im öffentlichen Diskurs ein dominierendes Thema. Bürger attackieren und diffamieren jene Menschen und Organisationen, die in selbstloser Weise Flüchtlingen helfen. Woher komme all die Wut und der Hass – vor allem in den sozialen Medien – gegen die Helfer? Man rätselte über das schlechte Gewissen, das jene, die nicht helfen, damit abwehren wollten. Die Helfer wiederum wurden in ihrer Haltung ob dieses Widerspruchs gestärkt, auf der richtigen Seite zu stehen, andererseits reagierten sie gekränkt.
Ein Phänomen, das in dieser Debatte nicht vorkam, ist auf den ersten Blick unerwartet und widersprüchlich: Was ist mit jenen gar nicht so seltenen Fällen, in denen Helfer mit der Wut jener konfrontiert sind, denen sie helfen? Wie ordnen sie diese für sie unerwartete Reaktion ein? Wie sollen sie damit umgehen?
Im Umgang mit Hilfsbedürftigen, auch mit Flüchtlingen aus den Kriegsgebieten dieser Erde, die bei uns aufgenommen wurden, kommen Helfer öfter als man denkt in diese Situation. Eine Psychologin und Psychotherapeutin zum Beispiel berichtet aus ihrer Arbeit mit traumatisierten Flüchtlingen, von ihrem Hass und ihrer Verachtung gegenüber den Österreichern. Ihr gegenüber zeigten sie in der Therapie ihre destruktiven Gefühle im Hinblick auf jene Gesellschaft, die ihnen helfe und sie aufnehme. Für sie, so die Expertin, bewahrheite sich somit der unter Fachleuten bekannte Grundsatz, dass der Geholfene sich später am Helfer räche. Und das werde weder von den Helfern noch von der Politik bedacht.
Für einen Laien klingt dies schockierend! Wir helfen diesen Menschen in ihrer Not, nehmen sie auf, geben viel Geld für sie aus, bemühen uns um Integration und um ihre Zukunft in Sicherheit – und statt Dankbarkeit und Anerkennung ernten wir Wut und Verachtung?
Profis der Branche kennen diese Reaktion, die vor allem in Extremsituationen auftritt, nach einem traumatischen Erleb- nis. Sie werden mitunter attackiert, beschimpft, angeschrien. Keine Spur der erwarteten Dankbarkeit für die Rettung oder den Hilfsdienst. In der Fachliteratur wird diese für Laien unlogische und unvorhersehbare Reaktion oft thematisiert. Beim Roten Kreuz bietet man spezielle Kurse von Psychologen an, die Sanitäter auf derartige Situationen vorbereiten und in denen sie lernen, wie sie damit umgehen sollen.
Doch was bedeutet das im Hinblick auf die Integration von Flüchtlingen? Was bedeutet es für die Helfer, für die Gesellschaft, für die Zukunft des gesellschaftlichen Zusammenlebens? Die Psychologin glaubt nicht, dass Integration so gelingen kann. Wie war das bei jenen, die in die USA ausgewandert oder vor Krieg und Verfolgung aus Europa geflohen sind? Die waren doch dankbar, die haben sich doch integriert? War es, weil viel von ihnen verlangt und ihnen nichts geschenkt wurde? Weil sie das Gefühl hatten, es selbst erarbeitet zu haben? Demütigen wir Menschen, wenn wir ihnen nur helfen, ohne eine Gegenleistung zu verlangen?Helfen wir falsch? „Richtig“zu helfen, ist sehr schwierig. Man darf den Hilfsbedürftigen nicht beschämen, er sollte letztlich denken, er habe es selbst geschafft, etwas, auf das er stolz sein kann. Der Hilfsbedürftige muss eine Möglichkeit haben, seine Würde zu bewahren, selbst etwas beizutragen, nach seinem Vermögen, um schließlich etwas zurückgeben zu können. Lässt man ihm diese Würde nicht, dann hasst er jene, die diese Würde leben können, die in ihrem Helfen groß sind, und er ist klein.
So gesehen ist nicht die Höhe der Mindestsicherung das Kernproblem, sondern dass Hilfsbedürftige etwas von der Gesellschaft ohne Gegenleistung bekommen. Wenn wir nur geben, gleich wie viel, werden wir nicht den sozialen Frieden herstellen, sondern Wut erzeugen. Die Wut der Kleingemachten, Gedemütigten. Helfen wir ihnen stattdessen, sich selbst zu helfen, ob hier oder in ihrem Herkunftsland.