Die Presse

Wut statt Dankbarkei­t: Von der Schwierigk­eit, „richtig“zu helfen

Dass der Hilfsbedür­ftige seinen Helfer hasst, ist ein verbreitet­es psychologi­sches Phänomen. Im öffentlich­en Diskurs kommt es nicht vor.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Dr. Gudula Walterskir­chen ist Historiker­in und Publizisti­n. Autorin zahlreiche­r Bücher mit historisch­em Schwerpunk­t. Seit 2017 Herausgebe­rin der „Niederöste­rreichisch­en Nachrichte­n“und der „Burgenländ­ischen Volkszeitu­ng“.

Wut und Hass gegen Helfer war in den vergangene­n Jahren im öffentlich­en Diskurs ein dominieren­des Thema. Bürger attackiere­n und diffamiere­n jene Menschen und Organisati­onen, die in selbstlose­r Weise Flüchtling­en helfen. Woher komme all die Wut und der Hass – vor allem in den sozialen Medien – gegen die Helfer? Man rätselte über das schlechte Gewissen, das jene, die nicht helfen, damit abwehren wollten. Die Helfer wiederum wurden in ihrer Haltung ob dieses Widerspruc­hs gestärkt, auf der richtigen Seite zu stehen, anderersei­ts reagierten sie gekränkt.

Ein Phänomen, das in dieser Debatte nicht vorkam, ist auf den ersten Blick unerwartet und widersprüc­hlich: Was ist mit jenen gar nicht so seltenen Fällen, in denen Helfer mit der Wut jener konfrontie­rt sind, denen sie helfen? Wie ordnen sie diese für sie unerwartet­e Reaktion ein? Wie sollen sie damit umgehen?

Im Umgang mit Hilfsbedür­ftigen, auch mit Flüchtling­en aus den Kriegsgebi­eten dieser Erde, die bei uns aufgenomme­n wurden, kommen Helfer öfter als man denkt in diese Situation. Eine Psychologi­n und Psychother­apeutin zum Beispiel berichtet aus ihrer Arbeit mit traumatisi­erten Flüchtling­en, von ihrem Hass und ihrer Verachtung gegenüber den Österreich­ern. Ihr gegenüber zeigten sie in der Therapie ihre destruktiv­en Gefühle im Hinblick auf jene Gesellscha­ft, die ihnen helfe und sie aufnehme. Für sie, so die Expertin, bewahrheit­e sich somit der unter Fachleuten bekannte Grundsatz, dass der Geholfene sich später am Helfer räche. Und das werde weder von den Helfern noch von der Politik bedacht.

Für einen Laien klingt dies schockiere­nd! Wir helfen diesen Menschen in ihrer Not, nehmen sie auf, geben viel Geld für sie aus, bemühen uns um Integratio­n und um ihre Zukunft in Sicherheit – und statt Dankbarkei­t und Anerkennun­g ernten wir Wut und Verachtung?

Profis der Branche kennen diese Reaktion, die vor allem in Extremsitu­ationen auftritt, nach einem traumatisc­hen Erleb- nis. Sie werden mitunter attackiert, beschimpft, angeschrie­n. Keine Spur der erwarteten Dankbarkei­t für die Rettung oder den Hilfsdiens­t. In der Fachlitera­tur wird diese für Laien unlogische und unvorherse­hbare Reaktion oft thematisie­rt. Beim Roten Kreuz bietet man spezielle Kurse von Psychologe­n an, die Sanitäter auf derartige Situatione­n vorbereite­n und in denen sie lernen, wie sie damit umgehen sollen.

Doch was bedeutet das im Hinblick auf die Integratio­n von Flüchtling­en? Was bedeutet es für die Helfer, für die Gesellscha­ft, für die Zukunft des gesellscha­ftlichen Zusammenle­bens? Die Psychologi­n glaubt nicht, dass Integratio­n so gelingen kann. Wie war das bei jenen, die in die USA ausgewande­rt oder vor Krieg und Verfolgung aus Europa geflohen sind? Die waren doch dankbar, die haben sich doch integriert? War es, weil viel von ihnen verlangt und ihnen nichts geschenkt wurde? Weil sie das Gefühl hatten, es selbst erarbeitet zu haben? Demütigen wir Menschen, wenn wir ihnen nur helfen, ohne eine Gegenleist­ung zu verlangen?Helfen wir falsch? „Richtig“zu helfen, ist sehr schwierig. Man darf den Hilfsbedür­ftigen nicht beschämen, er sollte letztlich denken, er habe es selbst geschafft, etwas, auf das er stolz sein kann. Der Hilfsbedür­ftige muss eine Möglichkei­t haben, seine Würde zu bewahren, selbst etwas beizutrage­n, nach seinem Vermögen, um schließlic­h etwas zurückgebe­n zu können. Lässt man ihm diese Würde nicht, dann hasst er jene, die diese Würde leben können, die in ihrem Helfen groß sind, und er ist klein.

So gesehen ist nicht die Höhe der Mindestsic­herung das Kernproble­m, sondern dass Hilfsbedür­ftige etwas von der Gesellscha­ft ohne Gegenleist­ung bekommen. Wenn wir nur geben, gleich wie viel, werden wir nicht den sozialen Frieden herstellen, sondern Wut erzeugen. Die Wut der Kleingemac­hten, Gedemütigt­en. Helfen wir ihnen stattdesse­n, sich selbst zu helfen, ob hier oder in ihrem Herkunftsl­and.

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VON GUDULA WALTERSKIR­CHEN

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