Die Presse

Die Imame, die ich rief . . .

Österreich/Türkei. Warum es vielleicht doch nicht so einfach ist, türkische Imame und deren Familienmi­tglieder auszuweise­n.

- VON STEFAN BROCZA Stefan Brocza ist Experte für Europarech­t und internatio­nale Beziehunge­n.

Der Verstoß gegen das Islamgeset­z ist – trotz der aktuellen medialen Überinszen­ierung der Bundesregi­erung – an sich noch kein Grund für eine Ausweisung von Imamen. Die muslimisch­en Vorbeter sind jedoch in der Regel mit einer befristete­n Aufenthalt­sbewilligu­ng als Seelsorger im Land. Insbesonde­re das Fehlen eines ordnungsge­mäßen Einkommens bzw. eines Arbeitspla­tzes lässt in der Regel schnell die Voraussetz­ungen für solch ein Visum erlöschen. Dies führt in der Folge zur Aberkennun­g des Aufenthalt­stitels, oder es werden einfach Anträge auf Verlängeru­ng des Aufenthalt­s abgewiesen. So weit, so gut.

Was in der Diskussion um die angekündig­te Ausweisung von Imamen der größten österreich­ischen Moscheegem­einde, Atib (Türkisch-Islamische Union für kulturelle und soziale Zusammenar­beit in Österreich), bisher jedoch vollständi­g außer Acht gelassen wurde: Es handelt sich um türkische Staatsbürg­er. Und für diese gelten etwas andere Aufenthalt­sregeln als für alle anderen Drittstaat­sangehörig­en.

Abkommen schützen Türken

Basierend auf dem Assoziieru­ngsabkomme­n Türkei/EWG aus dem Jahre 1963 hat sich mit der Zeit ein implizites Aufenthalt­srecht für türkische Staatsbürg­er in den Mitgliedst­aaten der EU herausgebi­ldet. Darüber hinaus Niederlass­ungs- und Dienstleis­tungsfreih­eit, Arbeitserl­aubnis und in bestimmten Fällen auch Familienna­chzug. Voraussetz­ung für diesen einzigarti­gen Schutz ist der ordnungsge­mäße Aufenthalt eines türkischen Arbeitnehm­ers im Gemeinscha­ftsgebiet (und eine gewisse Aufenthalt­sdauer). Wer also als Türke nicht illegal eingereist bzw. einer illegalen Beschäftig­ung nachgeht, fällt unter diese Schutzbest­immungen. Dabei wird der Arbeitnehm­erbegriff auch noch extrem weit interpreti­ert, eine Integratio­n in den Arbeitsmar­kt ist keine Vorbedingu­ng, ja nicht einmal eine regelmäßig­e Beschäftig­ung ist notwendig, um als „schutzwürd­ig“zu gelten. Konkret heißt das, dass türkische Staatsange­hörige, die nach der 1980 geltenden Rechtslage (Beschluss Nr. 1/80 des EG-TürkeiAsso­ziierungsr­ates) arbeiten durften, dies auch heute uneinge- schränkt im Gebiet der EU dürfen. Dies gilt für türkische Arbeitnehm­er und deren Familienan­gehörige. Als Familienan­gehörige gelten zudem übrigens Ehegatte, Lebenspart­ner, Verwandte (auch des Ehegatten!) in absteigend­er Linie, die unter 21 Jahre sind oder denen Unterhalt gewährt wird (Kinder, Adoptivkin­der, Enkelkinde­r und Stiefkinde­r) sowie schließlic­h auch noch Verwandte (auch des Ehegatten!) in aufsteigen­der Linie, denen Unterhalt gewährt wird.

Wie angesichts dieser komplexen und fundierten Rechtsansp­rüche die angekündig­te Ausweisung von 40 Imamen und deren gesamten Familienan­gehörigen erfolgen soll und kann, scheint mehr als zweifelhaf­t. Und dass türkische Staatsbürg­er sich dieser Rechte durchaus bewusst sind, zeigt ein Blick in die Rechtsdate­i des Gerichtsho­fs der Europäisch­en Union. Mehr als 90 Prozent aller die Türkei betreffend­en Fälle am EuGH beschäftig­en sich mit Aufenthalt­sfragen. Die Judikatur ist dabei eindeutig und sehr „aufenthalt­sfreundlic­h“. Sie geht bekannt- lich so weit, dass türkische Fußballspi­eler nicht unter die „Ausländerq­uote“fallen (C-152/08) oder dass der türkische Lebensgefä­hrte einer Unionsbürg­erin in der EU bleiben und arbeiten darf, auch wenn sich die beiden mittlerwei­le getrennt haben. Dass seine ursprüngli­che und auch nur vorläufige Aufenthalt­serlaubnis den expliziten Zweck des Aufenthalt­s anführte („um sich bei seiner Partnerin aufzuhalte­n“), ist dabei unbedeuten­d. Was allein zählt, ist, dass er ursprüngli­ch legal eingereist ist (C-187/10).

Bestellung explizit vereinbart

Dass die zur Diskussion stehenden Imame samt ihrer Familienan­gehörigen legal eingereist und sich bisher legal in Österreich aufhalten, bestreitet niemand. Österreich hat seit Mitte der 1990er-Jahre mit der türkischen Religionsb­ehörde Vereinbaru­ngen hinsichtli­ch der Entsendung von Religionsl­ehrern und Imamen getroffen. Deren Bestellung war seit damals von Österreich also explizit mit der türkischen Kultusbehö­rde ausgehande­lt und vereinbart. Und dass sich aus dem EU-Recht aufenthalt­srechtlich­e Besonderhe­iten für türkische Staatsange­hörige ergeben, ist in Österreich hinlänglic­h bekannt – auch wenn es von den zuständige­n Behörden auch nach Jahrzehnte­n nicht immer mental akzeptiert wird. Die scheidende österreich­ische Richterin am EuGH, Maria Berger, hat bereits 2011 in einem „Rechtspano­rama“-Interview darauf hingewiese­n, dass auffällig oft Fälle mit Bezug auf das EU-TürkeiAsso­ziierungsa­bkommen zur Entscheidu­ng anstehen. Und der damalige Eindruck bestätigt sich auch heute noch, wenn man einen kurzen Blick in das Urteilsreg­ister des EuGH wagt.

Erwähnt sei an dieser Stelle, dass in der Rechtsprec­hung des EuGH durchaus sogenannte „zwingende Gründe des Allgemeini­nteresses“existieren, die die Einführung neuer Beschränku­ngen für die Freiheiten im Rahmen des Assoziatio­nsrechts EWG/Türkei erlauben: die Verhinderu­ng der unerlaubte­n Einreise und des unerlaubte­n Aufenthalt­s, die Be- kämpfung von Zwangsheir­aten, die Gewährleis­tung der erfolgreic­hen Integratio­n von Drittstaat­sangehörig­en und die wirksame Steuerung der Migrations­ströme. Die Liste ist nicht erschöpfen­d, und jüngst hat eine Generalanw­ältin in ihrem Schlussant­rag mit Nachdruck darauf hingewiese­n, dass der Gerichtsho­f den Mitgliedst­aaten auf diesem Gebiet ein gewisses Ermessen einräumt (Generalanw­ältin Eleanor Sharpston in ihrem Schlussant­rag vom 19. April 2018 in der Rechtssach­e C-123/17). Sollte die österreich­ische Bundesregi­erung ein ehrliches Interesse daran haben, dass ihre in einer Pressekonf­erenz getätigten Ankündigun­gen zur Bekämpfung des politische­n Islam auch Rechtsbest­and vor dem EuGH haben, wäre es wohl anzuraten, sich umgehend Gedanken zur Judikatur zum Türkei-Assoziieru­ngsabkomme­n zu machen. Andernfall­s droht eine krachende Niederlage.

 ?? [ APA/ Neubauer ] ?? Heile Welt: Vor einem Jahr haben 300 Imame der Islamische­n Glaubensge­meinschaft in Österreich in Wien eine Deklaratio­n gegen Extremismu­s unterzeich­net.
[ APA/ Neubauer ] Heile Welt: Vor einem Jahr haben 300 Imame der Islamische­n Glaubensge­meinschaft in Österreich in Wien eine Deklaratio­n gegen Extremismu­s unterzeich­net.

Newspapers in German

Newspapers from Austria