Die Imame, die ich rief . . .
Österreich/Türkei. Warum es vielleicht doch nicht so einfach ist, türkische Imame und deren Familienmitglieder auszuweisen.
Der Verstoß gegen das Islamgesetz ist – trotz der aktuellen medialen Überinszenierung der Bundesregierung – an sich noch kein Grund für eine Ausweisung von Imamen. Die muslimischen Vorbeter sind jedoch in der Regel mit einer befristeten Aufenthaltsbewilligung als Seelsorger im Land. Insbesondere das Fehlen eines ordnungsgemäßen Einkommens bzw. eines Arbeitsplatzes lässt in der Regel schnell die Voraussetzungen für solch ein Visum erlöschen. Dies führt in der Folge zur Aberkennung des Aufenthaltstitels, oder es werden einfach Anträge auf Verlängerung des Aufenthalts abgewiesen. So weit, so gut.
Was in der Diskussion um die angekündigte Ausweisung von Imamen der größten österreichischen Moscheegemeinde, Atib (Türkisch-Islamische Union für kulturelle und soziale Zusammenarbeit in Österreich), bisher jedoch vollständig außer Acht gelassen wurde: Es handelt sich um türkische Staatsbürger. Und für diese gelten etwas andere Aufenthaltsregeln als für alle anderen Drittstaatsangehörigen.
Abkommen schützen Türken
Basierend auf dem Assoziierungsabkommen Türkei/EWG aus dem Jahre 1963 hat sich mit der Zeit ein implizites Aufenthaltsrecht für türkische Staatsbürger in den Mitgliedstaaten der EU herausgebildet. Darüber hinaus Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit, Arbeitserlaubnis und in bestimmten Fällen auch Familiennachzug. Voraussetzung für diesen einzigartigen Schutz ist der ordnungsgemäße Aufenthalt eines türkischen Arbeitnehmers im Gemeinschaftsgebiet (und eine gewisse Aufenthaltsdauer). Wer also als Türke nicht illegal eingereist bzw. einer illegalen Beschäftigung nachgeht, fällt unter diese Schutzbestimmungen. Dabei wird der Arbeitnehmerbegriff auch noch extrem weit interpretiert, eine Integration in den Arbeitsmarkt ist keine Vorbedingung, ja nicht einmal eine regelmäßige Beschäftigung ist notwendig, um als „schutzwürdig“zu gelten. Konkret heißt das, dass türkische Staatsangehörige, die nach der 1980 geltenden Rechtslage (Beschluss Nr. 1/80 des EG-TürkeiAssoziierungsrates) arbeiten durften, dies auch heute uneinge- schränkt im Gebiet der EU dürfen. Dies gilt für türkische Arbeitnehmer und deren Familienangehörige. Als Familienangehörige gelten zudem übrigens Ehegatte, Lebenspartner, Verwandte (auch des Ehegatten!) in absteigender Linie, die unter 21 Jahre sind oder denen Unterhalt gewährt wird (Kinder, Adoptivkinder, Enkelkinder und Stiefkinder) sowie schließlich auch noch Verwandte (auch des Ehegatten!) in aufsteigender Linie, denen Unterhalt gewährt wird.
Wie angesichts dieser komplexen und fundierten Rechtsansprüche die angekündigte Ausweisung von 40 Imamen und deren gesamten Familienangehörigen erfolgen soll und kann, scheint mehr als zweifelhaft. Und dass türkische Staatsbürger sich dieser Rechte durchaus bewusst sind, zeigt ein Blick in die Rechtsdatei des Gerichtshofs der Europäischen Union. Mehr als 90 Prozent aller die Türkei betreffenden Fälle am EuGH beschäftigen sich mit Aufenthaltsfragen. Die Judikatur ist dabei eindeutig und sehr „aufenthaltsfreundlich“. Sie geht bekannt- lich so weit, dass türkische Fußballspieler nicht unter die „Ausländerquote“fallen (C-152/08) oder dass der türkische Lebensgefährte einer Unionsbürgerin in der EU bleiben und arbeiten darf, auch wenn sich die beiden mittlerweile getrennt haben. Dass seine ursprüngliche und auch nur vorläufige Aufenthaltserlaubnis den expliziten Zweck des Aufenthalts anführte („um sich bei seiner Partnerin aufzuhalten“), ist dabei unbedeutend. Was allein zählt, ist, dass er ursprünglich legal eingereist ist (C-187/10).
Bestellung explizit vereinbart
Dass die zur Diskussion stehenden Imame samt ihrer Familienangehörigen legal eingereist und sich bisher legal in Österreich aufhalten, bestreitet niemand. Österreich hat seit Mitte der 1990er-Jahre mit der türkischen Religionsbehörde Vereinbarungen hinsichtlich der Entsendung von Religionslehrern und Imamen getroffen. Deren Bestellung war seit damals von Österreich also explizit mit der türkischen Kultusbehörde ausgehandelt und vereinbart. Und dass sich aus dem EU-Recht aufenthaltsrechtliche Besonderheiten für türkische Staatsangehörige ergeben, ist in Österreich hinlänglich bekannt – auch wenn es von den zuständigen Behörden auch nach Jahrzehnten nicht immer mental akzeptiert wird. Die scheidende österreichische Richterin am EuGH, Maria Berger, hat bereits 2011 in einem „Rechtspanorama“-Interview darauf hingewiesen, dass auffällig oft Fälle mit Bezug auf das EU-TürkeiAssoziierungsabkommen zur Entscheidung anstehen. Und der damalige Eindruck bestätigt sich auch heute noch, wenn man einen kurzen Blick in das Urteilsregister des EuGH wagt.
Erwähnt sei an dieser Stelle, dass in der Rechtsprechung des EuGH durchaus sogenannte „zwingende Gründe des Allgemeininteresses“existieren, die die Einführung neuer Beschränkungen für die Freiheiten im Rahmen des Assoziationsrechts EWG/Türkei erlauben: die Verhinderung der unerlaubten Einreise und des unerlaubten Aufenthalts, die Be- kämpfung von Zwangsheiraten, die Gewährleistung der erfolgreichen Integration von Drittstaatsangehörigen und die wirksame Steuerung der Migrationsströme. Die Liste ist nicht erschöpfend, und jüngst hat eine Generalanwältin in ihrem Schlussantrag mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass der Gerichtshof den Mitgliedstaaten auf diesem Gebiet ein gewisses Ermessen einräumt (Generalanwältin Eleanor Sharpston in ihrem Schlussantrag vom 19. April 2018 in der Rechtssache C-123/17). Sollte die österreichische Bundesregierung ein ehrliches Interesse daran haben, dass ihre in einer Pressekonferenz getätigten Ankündigungen zur Bekämpfung des politischen Islam auch Rechtsbestand vor dem EuGH haben, wäre es wohl anzuraten, sich umgehend Gedanken zur Judikatur zum Türkei-Assoziierungsabkommen zu machen. Andernfalls droht eine krachende Niederlage.