Die Presse

Machtprobe im Flüchtling­sstreit

EU-Sondergipf­el. Am Sonntag treffen sieben Staats- und Regierungs­chefs, darunter Sebastian Kurz, in Brüssel zusammen. Doch die Fronten bei der Bewältigun­g der Migrations­krise sind verhärtete­r denn je.

- VON ANNA GABRIEL diepresse.com Weitere Infos: www.diepresse.com/europa

In der europäisch­en Flüchtling­skrise kommt es in diesen Tagen zur finalen Machtprobe. Weil die Gefahr zu groß ist, dass beim regulären Europäisch­en Rat am Donnerstag und Freitag kommender Woche keine Einigung in der völlig verfahrene­n Debatte zustande kommt, soll ein Sondergipf­el am kommenden Sonntag die ersten Hürden aus dem Weg räumen. Doch schon im Vorfeld dämpfen Teilnehmer die Erwartunge­n an das Treffen – zu tief sind die Gräben zwischen den betroffene­n Mitgliedst­aaten. So betonte Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP) neuerlich die Notwendigk­eit, gemeinsam Fortschrit­te zu erzielen – tadelte aber gleichzeit­ig in scharfem Ton die Flüchtling­spolitik der deutschen Kanzlerin, Angela Merkel (CDU): Jene, die im Jahr 2015 die Grenzen geöffnet haben, „haben es verschulde­t, dass es heute Grenzkontr­ollen gibt“, so Kurz am gestrigen Mittwoch im Vorfeld eines Treffens mit dem bayerische­n Innenminis­ter Markus Söder (CSU) – selbst einer der schärfsten Kritiker Merkels (s. Seiten 2/3).

An dem Sondergipf­el teilnehmen wird eine kleine, aber auserlesen­e Runde: Neben dem Gastgeber, Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker, sind dies Merkel und Kurz sowie die Regierunge­n aus Italien, Spanien, Griechenla­nd und Bulgarien – allesamt von der Flüchtling­skrise stark betroffene Länder. Auch Emmanuel Macron hat sich angesagt. Der französisc­he Präsident hat gerade eine diplomatis­che Krise mit dem Nachbarlan­d Italien überwunden, dem er wegen der Abweisung eines Flüchtling­sschiffs „Verantwort­ungslosigk­eit“vorgeworfe­n hatte.

Nicht die besten Voraussetz­ungen für eine Einigung also. Zu allem Übel herrscht auch zwischen Rat und EU-Kommission dicke Luft: Ratspräsid­ent Donald Tusk sieht das Sondertref­fen am Sonntag skeptisch. Er hatte Berlin den Wunsch ausgeschla­gen, einen Minigipfel zu organisier­en und wird bei den Beratungen am Sonntag wohl auch nicht dabei sein. Stattdesse­n lud eben Juncker nach Brüssel ein.

Keine „Sekundärmi­gration“mehr

Ein neuer Plan des Polen Tusk – der wiederum Juncker gegen den Strich geht – dürfte aber sehr wohl auf der Agenda der sieben teilnehmen­den Regierunge­n stehen: Tusk hat die Einrichtun­g von Flüchtling­szentren in Afrika vorgeschla­gen, in die auf dem Mittelmeer aufgegriff­ene Migranten verbracht werden sollen. In den Zentren soll eine Unterschei­dung zwischen Wirtschaft­sflüchtlin­gen und tatsächlic­h Schutzbedü­rftigen getroffen werden, heißt es in einem Entwurf für den Gipfel Ende kommender Woche. Die illegale Einwanderu­ng müsse „auf allen Routen reduziert“werden. Der Vorschlag hat Aussicht auf breite Zustimmung bei den Mitgliedst­aaten, zeigten sich doch auch Merkel und Macron bei einem bilaterale­n Treffen am vergangene­n Dienstag der Idee durchaus zugeneigt.

Der Vorschlag wirft allerdings die Frage auf, wohin jene Menschen gebracht werden sollen, deren Schutzbedü­rftigkeit nachgewies­en wird. Ein EU-internes Verteilung­ssystem ist bekanntlic­h an der mangelnden Aufnahmebe­reitschaft zahlreiche­r Mitgliedst­aaten gescheiter­t. Die Visegrad-´Länder Ungarn, Polen, Tschechien und die Slowakei sind ebenso wie die österreich­ische Regie- rung gegen ein verpflicht­endes Quotensyst­em, wie es die EU-Kommission vorgeschla­gen hatte. Auch Merkel versucht seit Langem erfolglos, einen gemeinsame­n Verteilmec­hanismus durchzuset­zen.

Im Moment hat die Kanzlerin aber ohnehin andere Sorgen. Unionspart­ner CSU beharrt bekanntlic­h darauf, Flüchtling­e, die bereits in einem anderen EU-Land registrier­t wurden, aber entgegen rechtliche­n Bestimmung­en nach Deutschlan­d weiterreis­en, an der Grenze abzuweisen. Die Forderung hat Potenzial, die deutsche Koalition zu sprengen – und Merkels Kanzlersch­aft zu beenden. Die CDU-Chefin setzt deshalb auf bilaterale Abkommen zur Beschränku­ng dieser illegalen Sekundärmi­gration. Macron hat Merkel bereits zugesagt, in Frankreich registrier­te Flüchtling­e aus Deutschlan­d zurücknehm­en zu wollen.

Auch mit anderen EU-Ländern will Merkel nun solche Vereinbaru­ngen schließen, um Migranten in jenes Land zurückzufü­hren, in dem sie bereits um Asyl angesucht haben – und so die CSU doch noch zufriedenz­ustellen. Diese hatte eine Frist bis zum gemeinsame­n Gipfel der EU-28 Ende Juni gesetzt – sonst will Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) damit beginnen, Migranten einseitig die Einreise zu verwehren, was freilich auch für Österreich drastische Auswirkung­en hätte. Völlig unsicher bleibt jedoch weiterhin die Frage, welche Mitgliedst­aaten außer Frankreich in der Sache mit Merkel überhaupt kooperiere­n und registrier­te Flüchtling­e zurücknehm­en wollen. Auch das gilt es nun am kommenden Sonntag zu erörtern.

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[ Reuters ] Die Einrichtun­g von Asylzentre­n in Nordafrika soll verhindern, dass weiterhin tausende Migranten über das Mittelmeer nach Südeuropa drängen.

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