Die Presse

Risiko für harten Brexit steigt

Großbritan­nien. Die Zeit für einen geordneten EUAustritt wird immer knapper – wegen interner Querelen.

- VON GABRIEL RATH UND MICHAEL LACZYNSKI

Wegen interner Querelen wird die Zeit für einen geordneten EU-Austritt knapp.

Es hätte der Gipfel der Entscheidu­ngen werden sollen – das Treffen der EU-Staats- und Regierungs­chefs kommende Woche in Brüssel hatte bis dato als jener Moment gegolten, an dem Großbritan­nien, die EU-27 und die Kommission ihre Karten auf den Tisch legen und einen Fahrplan für den britischen EU-Austritt am 29. Marz 2019 formuliere­n. Doch dazu wird es aller Voraussich­t nach nicht kommen. Erstens, weil die EU mit anderen Themen beschäftig­t ist – etwa der neuerliche­n politische­n Eskalation der Flüchtling­skrise (siehe Seite 1). Und zweitens in Ermangelun­g auf dem Tisch liegender Karten. Denn während das Verhandlun­gsteam der EU, das vom ehemaligen Kommissar Michel Barnier angeführt wird, kontinuier­lich an den möglichen Parametern des Brexit feilt, ist die britische Seite immer noch primär mit sich selbst beschäftig­t.

Seit Wochen sind die Kapazitäte­n des Kabinetts von Premiermin­isterin Theresa May wegen des Unterhause­s ausgelaste­t. Ein Teil der Abgeordnet­en (unter ihnen zahlreiche proeuropäi­sche Parteimitg­lieder von May) wollte zuletzt – und bis dato ohne Erfolg – erreichen, dass das Parlament Einfluss auf den Lauf der Verhandlun­gen mit Brüssel nimmt und die Regierung notfalls dazu bewegen kann, nachzuverh­andeln. Mays Gegenargum­ent: Die Mitsprache des Parlaments erschwert die britische Verhandlun­gsführung.

So unerfreuli­ch die Verzögerun­g für die Verhandler dies- und jenseits des Ärmelkanal­s ist – die parlamenta­rischen Querelen verdecken zumindest momentan die Tatsache, dass die regierende­n Tories selbst zwei Jahre nach dem Brexit-Referendum immer noch nicht wissen, welchen Brexit sie denn gerne hätten – einen weichen mit breiter Anbindung an den EUBinnenma­rkt oder einen harten mit mehr handelspol­itischem Spielraum, aber höheren wirtschaft­lichen Kosten.

Für alles bereit

Am Sonntag kündigte May ihren Offenbarun­gseid für den Juli an – davor soll eine Regierungs­klausur im Juli interne Einigung über die britische Mitgliedsc­haft in der Zollunion bringen. Damit verbunden ist die Frage, inwieweit sich nach dem Brexit Grenzkontr­ollen zwischen Nordirland und der Republik Irland vermeiden lassen – wie May es im vergangene­n Dezember versproche­n hatte. Alle bisher in London kursierend­en Vorschläge gelten erstens als unausgegor­en und wurden zweitens von den EUVerhandl­ern bereits abgelehnt.

Das im Vorfeld fixierte Austrittsd­atum wird somit immer mehr zum Problem. Im Entwurf der nächstwöch­igen GipfelSchl­ussfolgeru­ngen werden die EU-27 angewiesen, „Vorbereitu­n- gen auf allen Ebenen für jedes Ergebnis“zu intensivie­ren – einschließ­lich eines chaotische­n Ausscheide­ns der Briten aus der Union. Denn ohne eine Einigung im Vorfeld wird auch das EU-Angebot einer Übergangsf­rist bis Ende 2020 – zumindest theoretisc­h – hinfällig. Und da ein etwaiger Deal sowohl von den Briten als auch von den EU-Institutio­nen und allen nationalen Parlamente­n ratifizier­t werden muss, wird der Verhandlun­gsspielrau­m immer enger.

Für Premiermin­isterin May, die ständigem Druck der eingefleis­chten Europagegn­er in ihrer Partei ausgesetzt ist, verkleiner­t sich der Aktionsrad­ius auch aus einem anderen Grund: Die britischen Wähler scheinen das permanente Hickhack sattzuhabe­n und einen Brexit um jeden Preis zu präferiere­n. Gemäß einer am Dienstag veröffentl­ichten Studie des Meinungsfo­rschungsin­stituts Lord Ashcroft Polls sprechen sich 41 Prozent der Briten für den EU-Austritt aus, selbst wenn er zu Grenzkontr­ollen zwischen Irland und Nordirland führen würde. Und 63 Prozent der Befragten sind selbst um den Preis einer Aufspaltun­g des Vereinigte­n Königreich­s für den Brexit.

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[ Reuters ] Großbritan­niens Premiermin­isterin, Theresa May, ist ständigem Druck eingefleis­chter Europagegn­er in ihrer Partei ausgesetzt.

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