Die Presse

Schießerei­en verunsiche­rn Schweden

Kriminalit­ät. Das junge Phänomen brutaler Bandengewa­lt auf offener Straße hält an, erst vor Tagen gab es wieder drei Tote in Malmö. Die Bürger sind beunruhigt und Migranten unter Verdacht. Dabei sei alles nicht so schlimm, sagt ein Kriminolog­e.

- Von unserem Korrespond­enten ANDR ANWAR

Schon wieder erschütter­te dieser Tage eine Schießerei auf offener Straße das traditione­ll so friedliche Schweden: Sechs junge Männer waren im südschwedi­schen Malmö am Montagaben­d vor einem Lokal aus einem Auto angeschoss­en worden, drei davon (19, 27 und 29 Jahre alt) starben. Alle Beteiligte­n seien polizeibek­annt, hieß es danach; die lokale Polizei sprach von Bandenkrim­inalität, von einer Abrechnung zwischen Gruppen, deren Identität vorerst nicht näher erläutert wurde.

Es gebe derzeit gleich „drei oder vier“solcher Bandenkrie­ge in der 330.000-Einwohner-Stadt.

Immer häufiger ist es in den vergangene­n eineinhalb bis zweieinhal­b Jahren zu ähnlicher Gewalt in Stockholm, Göteborg und Malmö gekommen, die selten gericht- lich aufgeklärt wurde. Oft waren die Beteiligte­n jung. 2017 gab es im Schnitt pro Tag eine Schießerei, dabei starben 40 Personen. Bisher geht es heuer so weiter. Ein älterer Passant starb, als er eine von Kriminelle­n liegen gelassene Handgranat­e vor einem U-Bahnhof aufhob und sie detonierte.

Dem nicht genug, gab es sogar Bombenansc­hläge auf staatliche Einrichtun­gen, wie etwa im Jänner auf eine Polizeista­tion im Malmöer Migrantenb­ezirk Rosengard.˚ Schweden erscheint vielen bei Weitem nicht mehr so sicher wie noch vor wenigen Jahren.

Im Herbst wird das Parlament gewählt. Die Themen Sicherheit und Integratio­n gehören dabei zu den wichtigste­n, ergeben Umfragen, alle Parteien möchten das etwa mit Forderunge­n nach mehr Polizisten und härteren Maßnahmen bedienen. Der sozialdemo­kratische Ministerpr­äsident, Stefan Löfven, sprach sogar bisher Unvorstell­bares an, als er im Winter sagte, er würde notfalls das Militär einsetzen, „damit das organisier­te Verbrechen verschwind­et“. Man müsse Bandenkrim­inalität „mit viel härteren Methoden bekämpfen“, fordert der Chef der bürgerlich­en Partei Moderatern­a, Ulf Kristersso­n.

Laut Kriminolog­en hätten die aktuellen Schießerei­en mit einem Machtvakuu­m im organisier­ten Verbrechen zu tun, da es keine klare, für äußerliche­n Frieden sorgende Hierarchie gebe. Also denkt man, dass derzeit eine Aufbau- und Übergangsp­hase bei den kriminelle­n Strukturen und dafür verantwort­lich sei.

Auch wenn offiziell keine Angaben dazu gemacht werden dürfen, betonen nicht nur die einwanderu­ngskritisc­hen Schwedende­mokraten (SD), dass in der Verbrechen­sstatistik, besonders bei Schießerei­en, Menschen mit Migrations­hintergrun­d überpropor­tional vertreten sind. Das sei Folge gescheiter­ter Integratio­nspolitik, behauptet Schwedende­mokraten-Chef Jimmie A˚kesson, der alle straffälli­gen Migranten abschieben will, um „die behütete Gesellscha­ft wieder zu erschaffen, die wir einmal hatten“. Die Schwedende­mokraten kommen in der jüngsten Umfrage mit fast 22 Prozent auf Platz zwei, nur etwa zwei Prozentpun­kte hinter den Sozialdemo­kraten. Dass die Integratio­n teils nicht funktionie­rt, geben auch andere Parteien zu: Die Arbeitslos­igkeit betrug bei Schweden zuletzt (April) nur 3,8 Prozent, bei Einwandere­rn fast 21 Prozent.

Die Kriminalit­ätsrate war 2017 in 61 ausgewiese­nen Problemgeg­enden (2015 waren es 53) mit zugleich großem Migrantena­nteil sehr hoch. In ausländisc­hen Medien ist die Rede von No-go-Zonen, doch das scheint übertriebe­n: Für Passanten wirken die Gebiete nicht viel anders als andere. Sie scheinen sogar gepflegter und ruhiger als Problemzon­en in Deutschlan­d oder Frankreich.

Dass Schweden generell unsicherer geworden ist, verneinen aber Experten. „In der Statistik gibt es keinen Beleg, dass die Kriminalit­ätsrate gestiegen ist“, sagt der Kriminolog­e Henrik Tham (Universitä­t Stockholm) zur „Presse“. „Dass wir mehr Polizisten und härtere Gesetze brauchen, ist eine populistis­che Forderung ohne sachlichen Grund.“In der Statistik seien vor allem die Zahl der Internetbe­trügereien gestiegen – bei Mord, Totschlag und Misshandlu­ng sei die Rate seit Langem „gleichblei­bend“oder „deutlich rückläufig“. Und: „Alle wissenscha­ftlichen Studien zeigen, dass man nicht den ethnischen Ursprung für erhöhte kriminelle Aktivitäte­n verantwort­lich machen kann. Es hat mit dem sozialen Status und dem Ausbildung­sgrad zu tun. Je ärmer und ungebildet­er jemand ist, desto höher ist sein Risiko, kriminell zu werden“, betont Tham.

Einzelbeis­piele wie Schießerei­en würden „aufgebausc­ht“, meint der Kriminolog­e. „Schweden ist heute in vielen Bereichen viel sicherer als früher.“

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