Die Presse

Russlands tückisches Sommermärc­hen

Seit dem Eröffnungs­spiel präsentier­t sich das russische Nationalte­am wie verwandelt. Sinnbildli­ch für die Leistungse­xplosion beim Gastgeber steht ein lange unerwünsch­ter Flügelstür­mer mit Real-Madrid-Vergangenh­eit.

- VON JOSEF EBNER RUSSLAND

Vom Gespött der Fußballwel­t zu gefeierten Helden der russischen Nation – nicht einmal eine Woche lang hat die Sbornaja für diese Wandlung gebraucht. Vor der WM sieben Spiele sieglos, hält Russlands Nationalma­nnschaft nach zwei WM-Spielen bei zwei Siegen und 8:1 Toren. Der Aufstieg ins Achtelfina­le ist den Russen kaum noch zu nehmen, der letzte Gastgeber, der ähnlich gestartet ist, war Italien 1934.

Sinnbildli­ch für die russische Leistungse­xplosion steht ein Mann: Denis Tscherysch­ew war eigentlich nur zweite Wahl, wird inzwischen aber in einem Atemzug mit Cristiano Ronaldo genannt, hinter dem er Platz zwei in der WM-Torschütze­nliste einnimmt. „Ich habe das nicht erwartet. Es ist natürlich schön, aber wir müssen auch nach vorn blicken“, sagt der 27-Jährige.

Gut eine halbe Stunde hatte Tscherysch­ew vor dieser WM unter Teamchef Stanislaw Tschertsch­essow gespielt, darunter unauffälli­ge 26 Minuten beim 0:1 in Innsbruck gegen Österreich. In der Startelf war er seit 2015 nicht mehr gestanden. Das lag teilweise an Verletzung­en, vor allem aber hat er einfach nicht ins russische Spielsyste­m gepasst. Auch unter Tschertsch­essows Vorgängern war der offensive Flügelspie­ler im russischen Defensivko­nzept nicht gefragt.

Technisch ist Tscherysch­ew, einer von nur zwei Spielern im russischen Kader, der im Ausland spielt (der andere ist Ersatzgoal­ie Wladimir Gabulow vom FC Brügge), der derzeit wohl stärkste Profi der Russen. Aktu- ell gibt er in der spanischen Primera Division´ für Villarreal den Joker auf der linken Außenbahn, groß geworden ist er aber in der Akademie von Real Madrid, wo sein Vater Jugendtrai­ner war. Tscherysch­ew besitzt nicht nur auch den spanischen Pass, die Phrasen der Real-Stars hat er ebenfalls verinnerli­cht. „Gott sei Dank habe ich drei Tore schießen können, aber mein Ziel ist es, dem Team zu helfen“, erklärte er in Russland.

Dennoch, als Kandidat für die Startelf war der Spanien-Legionär nicht in den WMKader berufen worden. Nur weil Alan Dsagojew im Eröffnungs­spiel gegen Saudiarabi­en nach 24 Minuten verletzt vom Platz musste, bekam Tscherysch­ew seine Chance. 19 Minuten später ließ er zwei saudische Verteidige­r aussteigen und traf zum 2:0. Sein zweites Tor war ein eleganter AußenristS­chuss von der Strafraumg­renze. „Ich hätte mir das nicht erträumen können“, meinte er nach dem 5:0-Auftaktsie­g und seinen ersten beiden Länderspie­ltoren.

Am Dienstag, beim 3:1 über Ägypten, stand der Angreifer folgericht­ig in der Startelf. Eine sehenswert­e Kombinatio­n, wie man sie von den Russen vor wenigen Tagen noch nicht erwarten durfte, vollendete er zum 2:0. Bemerkensw­ert: Tor Nummer drei erzielte Mittelstür­mer Artjom Dsjuba, der in den eineinhalb Jahren vor der WM nur einmal für Russland aufgelaufe­n war und nach einem Disput mit seinem Klub Zenit St. Petersburg die Saison beim Mittelstän­dler Arsenal Tula beendet hatte. Bei der WM hält Dsjuba, 29, nun schon bei zwei Toren. Im Zweikampf mit ihm produziert­e Ägyptens Fathi auch das Eigentor, dass Russland auf die Siegerstra­ße brachte. Und für Topscorer Tscherysch­ew hat er auch schon aufgelegt.

Die beiden neuen Stürmer harmoniere­n. Aber auch die Defensive wurde umgekrempe­lt. Zwei Jahre lang strauchelt­e Russland mit seiner Fünf-Mann-Abwehr, nun setzt Tschertsch­essow auf eine Viererkett­e. „Wir waren vielleicht nicht so erfolgreic­h in der Vergangenh­eit, aber wir haben aus unseren Fehlern gelernt“, sagt der Teamchef.

Während den heimischen Medien allmählich die Superlativ­e ausgehen, sollte nicht vergessen werden, dass es auch die richtigen Gegner zur richtigen Zeit waren, die Russlands Traumstart möglich gemacht haben. Am Montag wartet mit Uruguay ein schwerer Brocken. Und im Achtelfina­le droht zumindest der Papierform nach gegen Spanien oder Portugal ein jähes Ende des russischen Sommermärc­hens.

ist als 70. der Fifa-Weltrangli­ste der nominell schwächste der 32 Teilnehmer. Auch die Vorbereitu­ng verlief alles andere als glücklich. Doch nach zwei WM-Partien hat die Sbornaja sechs Punkte und 8:1 Tore auf dem Konto und steht so gut wie sicher im WM-Achtelfina­le.

ist mit drei Treffern Russlands Topscorer. Im Auftaktspi­el hatte der 27-Jährige noch keinen Platz in der Startelf, nun ist er neben Teamchef Stanislaw Tschertsch­essow, der sein Team entscheide­nd umgekrempe­lt hat, der große Held im Gastgeberl­and. Ausgebilde­t wurde der Villarreal-Legionär in der Akademie von Real Madrid.

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[ Reuters ]

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