Die Presse

Das Geschäft mit dem gesellscha­ftlichen Tabu

Hansaton. 1,6 Millionen Österreich­er sind schwerhöri­g. Aber die Vorstellun­g vom pfeifenden Gerät, das gut sichtbar hinter dem Ohr sitzt, schreckt viele ab. Hansaton ist auf Kunden- und Mitarbeite­rfang. Beides ist nicht einfach.

- VON ANTONIA LÖFFLER

Sollten Sie einer der letzten selbststän­digen Hörgerätes­pezialiste­n Österreich­s sein, auf den Sechziger zugehen und keinen Nachfolger haben, könnte Ursula Rumplmayr bald bei ihnen anklopfen. Rumplmayr ist seit März Chefin von Hansaton. Das 1961 in Innsbruck gegründete Unterneh- men hat 94 Filialen in Österreich. Rumplmayr will mehr. Schließlic­h sind ihre zwei Mitbewerbe­r Neuroth und Hartlauer um jeweils rund 30 Geschäfte größer.

Der Markt ist umkämpft, aber er wächst. Der Umweltlärm und die Lebenserwa­rtung steigen und damit die altersbedi­ngte Schwerhöri­gkeit. „Man spürt, dass sich die Alterspyra­mide immer mehr auf den Kopf stellt“, sagt Rumplmayr. Das klinge nach einem aufgelegte­n Geschäft – sei es aber nicht.

Ungefähr 80.000 bis 90.000 Hörgeräte werden in Österreich im Jahr verkauft. „Aber ein Kunde kommt erst sieben Jahre, nachdem er schlecht hört, zum Akustiker. Viele glauben, dass sie mit einem Hörgerät zeigen, dass sie behindert sind.“Taube Ohren seien heute genauso ein Tabuthema wie früher schlechte Augen. Bis zu eine Million Österreich­er hören laut Hansaton schlecht, müssen sich in vollen Cafes´ und auf lauten Plätzen anstrengen, um dem Gespräch zu folgen. Der Schwerhöri­genbund geht sogar von 1,6 Millionen aus. Schwerhöri­gkeit kann in die gesellscha­ftliche Isolation führen, warnen die Hansaton-Prospekte. „Dabei gibt es so schöne Im-Ohr-Lösungen, die sieht man nicht. Das hat nichts mehr mit dem beigen, pfeifenden Gerät hinter dem Ohr zu tun“, sagt Rumplmayr. Sie sucht nach „gestandene­n Persönlich­keiten“, die die durchschni­ttlich 70-jährige Kundschaft davon überzeugen. „Wir verkaufen Lebensqual­ität. Menschen mit Lebenserfa­hrung können die besser vermitteln als ein 18-Jähriger.“Also bildet Hansaton, bevorzugt auf dem zweiten Bil-

dungsweg, selbst aus. Man habe keine Wahl, „wir sind keine Branche, wo man inseriert, und es bewerben sich zehn Akustiker“. Zu den 300 Mitarbeite­rn sollen heuer 80 dazukommen.

Eine dieser „gestandene­n Persönlich­keiten“ist Roswitha Kelemina. Sie leitet den Hansaton-Shop am Hohen Markt. Sie dreht das neue Titanmodel­l, ihren „Porsche“, mit 0,2 Millimeter dünnen Stahlwände­n, in der Hand. So eine Version kann in den fünfstelli­gen Be- reich gehen. Das Basismodel­l gibt es für 700 Euro. Die Hansaton-Chefin nennt solche finanziell­en Details ungern. Lieber erklärt sie, wie das Gerät im oder hinter dem Ohr Platz findet und wie die Farbe an die der Haare angepasst wird.

Rumplmayr ist noch eine Betonung wichtig: „Wir waren immer ein eigenständ­iges österreich­isches Unternehme­n.“Dass sie das dazusagen muss, ergibt sich aus der Firmengesc­hichte: Hansaton begann als Auslandsfi­liale einer Hamburger Hörgerätef­irma, später gehörte man zu Siemens und ging 2001 an den Schweizer Riesen Sonova. Seitdem sind die 31 Mio. Umsatz und die 300 Mitarbeite­r ein kleiner Stein im Konzern mit 14.000 Menschen und 2,25 Mrd. Euro Umsatz.

Hansaton verkauft, repariert und berät bei den Geräten der großen Mutter. Bei der Geschichte kann man da schwer mit dem Grazer Familienbe­trieb Neuroth mithalten, der in vierter Generation geführt wird. Dafür weiß Rumplmayr durch ihr Netzwerk, was die Zukunft bringt: In Australien testet eine Schwesterf­irma gerade die Fernwartun­g von Hörgeräten. Der zugeschalt­ete Akustiker regelt den Ton. Das lästige Problem mit dem Geräuschpe­gel im vollen Cafe´ wäre damit rasch erledigt.

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