Viele Streitfragen um die Arbeitszeit
Novelle. Mehr Ausnahmen vom Arbeitszeitgesetz, viele dehnbare Begriffe, Verträge, die neu ausgehandelt werden sollten: Die neuen Regeln verheißen Juristen viel Arbeit.
Die geplante Verlängerung der Höchstarbeitszeit auf zwölf Stunden sorgt seit gut einer Woche für Aufregung. Ein anderes Detail ging daneben bislang unter: dass mehr Arbeitnehmer als bisher überhaupt von den gesetzlichen Arbeitszeitregelungen ausgenommen werden sollen. Konkret betrifft das neben „leitenden Angestellten“künftig auch „sonstige Personen mit selbstständiger Entscheidungsbefugnis“und „Arbeitskräfte, die Familienangehörige sind“, wenn ihre gesamte Arbeitszeit „aufgrund der besonderen Merkmale der Tätigkeit nicht gemessen oder im Voraus festgelegt wird“oder die Arbeitnehmer völlig freie Zeiteinteilung haben.
Das basiert auf Unionsrecht – und lässt viel Interpretationsspielraum offen. So ist zwar klar, dass mit Familienangehörigen Eltern, Kinder, Ehegatten, eingetragene Partner und Lebensgefährten gemeint sind. Ein entscheidendes Detail fehlt jedoch: Um wessen Angehörige geht es überhaupt? Nur um die des Betriebseigentümers? Dann käme die Neuregelung ausschließlich Einzelunternehmern zugute. Oder soll z. B. ein Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH genauso miterfasst sein? „Sowohl die EU-Richtlinie als auch der österreichische Gesetzesantrag sind dahingehend auslegungsbedürftig“, bestätigt Arbeitsrechtsexpertin Anna Mertinz von der Kanzlei KWR. Für heimische Familienunternehmen kann das jedoch wichtig sein – etwa wenn es bei einer Kontrolle durch das Arbeitsinspektorat darum geht, ob für ein Familienmitglied eines GmbH-Geschäftsführers nun die Sonntagsruhe gilt oder nicht.
Auch der Begriff „Personen mit selbstständiger Entscheidungsbefugnis“ist dehnbar. Laut der Begründung des Gesetzesantrags soll damit die derzeitige Ausnahme für leitende Angestellte bis zur dritten Führungsebene erweitert werden – abzuwarten bleibt, ob das dann auch so in den Gesetzesmaterialien stehen wird. Für Unterneh- men könnten die neuen Ausnahmen insbesondere in Bezug auf die Arbeitszeitaufzeichnungen Erleichterungen bringen, sagt die Anwältin, und vielleicht bekomme auch das „von Arbeitgebern wie Arbeitnehmern gewünschte Konzept der Vertrauensarbeitszeit eine Chance“. Letztlich komme es aber darauf an, wie die Rechtsprechung die erweiterten Ausnahmen interpretieren werde. „Schon zum Begriff der leitenden Angestellten gibt es umfangreiche Judikatur, am Ende des Tages handelt es sich aber immer um eine Einzelfallentscheidung“, sagt Mertinz. Philipp Maier, Arbeitsrechtsexperte bei Baker & McKenzie, weist zudem darauf hin, dass „die Kollektivverträge trotzdem gelten“. Auch diese enthalten meist Arbeitszeitregeln, die dann trotz allem einzuhalten sind.
Auch sonst gibt es eine Reihe von Zweifelsfragen – etwa, was Allin-Verträge betrifft. Hier sei der Parteiwille beim Vertragsabschluss entscheidend, sagt Maier, ratsam sei es, solche Vereinbarungen neu auszuhandeln. Erst kürzlich hatte Arbeitsrechtsprofessor Martin Risak dieses Thema in einem Interview mit dem „Standard“aufs Tapet gebracht: Er geht davon aus, „dass die elfte und zwölfte Stunde nicht von All-in-Verträgen abgedeckt sind, weil die Vereinbarungen unter anderen Voraussetzungen zustande gekommen sind“.
Auch viele Gleitzeitvereinbarungen, die auf maximal zehn Stunden pro Tag ausgelegt sind, werden wohl neu verhandelt werden. Dass auch hier der Rahmen erweitert werden soll, löste bei Arbeitnehmervertretern Empörung wegen des „Wegfalls von Überstundenzuschlägen“aus. Nun soll aber Gleitzeit generell kein „billigerer Ersatz für Überstunden“sein, sondern Arbeitnehmern freiere Zeiteinteilung ermöglichen. In der Praxis sind die Grenzen oft fließend, weil Arbeitnehmer auf den Arbeitsan- fall Rücksicht nehmen. Können sie sich jedoch nicht mehr nach eigenen Bedürfnissen richten, hat das mit Gleitzeit nichts mehr zu tun.
Die Zahl der zulässigen Überstunden pro Jahr wird übrigens steigen: „Das bisherige Maximum von 320 gilt künftig nicht mehr“, sagt Maier. Ausgehend von einer Beschränkung auf durchschnittlich 48 Stunden pro Woche innerhalb eines Durchrechnungszeitraums von 17 Wochen, komme man auf mehr als 400 legale Überstunden pro Jahr.
Zu beachten ist zudem die neue Möglichkeit, Ausnahmen von der Wochenend- und Feiertagsruhe durch Betriebsvereinbarung zuzulassen. Zwar geht es nur um vier Wochenenden oder Feiertage pro Jahr, es ist aber erstmals weder an Branchen gebunden noch an besondere Voraussetzungen geknüpft. Überspitzt könnte man sagen: Die Tür zu allgemein erlaubter Sonn- und Feiertagsarbeit geht damit einen kleinen Spaltbreit auf.