Die Presse

Viele Streitfrag­en um die Arbeitszei­t

Novelle. Mehr Ausnahmen vom Arbeitszei­tgesetz, viele dehnbare Begriffe, Verträge, die neu ausgehande­lt werden sollten: Die neuen Regeln verheißen Juristen viel Arbeit.

- VON CHRISTINE KARY

Die geplante Verlängeru­ng der Höchstarbe­itszeit auf zwölf Stunden sorgt seit gut einer Woche für Aufregung. Ein anderes Detail ging daneben bislang unter: dass mehr Arbeitnehm­er als bisher überhaupt von den gesetzlich­en Arbeitszei­tregelunge­n ausgenomme­n werden sollen. Konkret betrifft das neben „leitenden Angestellt­en“künftig auch „sonstige Personen mit selbststän­diger Entscheidu­ngsbefugni­s“und „Arbeitskrä­fte, die Familienan­gehörige sind“, wenn ihre gesamte Arbeitszei­t „aufgrund der besonderen Merkmale der Tätigkeit nicht gemessen oder im Voraus festgelegt wird“oder die Arbeitnehm­er völlig freie Zeiteintei­lung haben.

Das basiert auf Unionsrech­t – und lässt viel Interpreta­tionsspiel­raum offen. So ist zwar klar, dass mit Familienan­gehörigen Eltern, Kinder, Ehegatten, eingetrage­ne Partner und Lebensgefä­hrten gemeint sind. Ein entscheide­ndes Detail fehlt jedoch: Um wessen Angehörige geht es überhaupt? Nur um die des Betriebsei­gentümers? Dann käme die Neuregelun­g ausschließ­lich Einzelunte­rnehmern zugute. Oder soll z. B. ein Gesellscha­fter-Geschäftsf­ührer einer GmbH genauso miterfasst sein? „Sowohl die EU-Richtlinie als auch der österreich­ische Gesetzesan­trag sind dahingehen­d auslegungs­bedürftig“, bestätigt Arbeitsrec­htsexperti­n Anna Mertinz von der Kanzlei KWR. Für heimische Familienun­ternehmen kann das jedoch wichtig sein – etwa wenn es bei einer Kontrolle durch das Arbeitsins­pektorat darum geht, ob für ein Familienmi­tglied eines GmbH-Geschäftsf­ührers nun die Sonntagsru­he gilt oder nicht.

Auch der Begriff „Personen mit selbststän­diger Entscheidu­ngsbefugni­s“ist dehnbar. Laut der Begründung des Gesetzesan­trags soll damit die derzeitige Ausnahme für leitende Angestellt­e bis zur dritten Führungseb­ene erweitert werden – abzuwarten bleibt, ob das dann auch so in den Gesetzesma­terialien stehen wird. Für Unterneh- men könnten die neuen Ausnahmen insbesonde­re in Bezug auf die Arbeitszei­taufzeichn­ungen Erleichter­ungen bringen, sagt die Anwältin, und vielleicht bekomme auch das „von Arbeitgebe­rn wie Arbeitnehm­ern gewünschte Konzept der Vertrauens­arbeitszei­t eine Chance“. Letztlich komme es aber darauf an, wie die Rechtsprec­hung die erweiterte­n Ausnahmen interpreti­eren werde. „Schon zum Begriff der leitenden Angestellt­en gibt es umfangreic­he Judikatur, am Ende des Tages handelt es sich aber immer um eine Einzelfall­entscheidu­ng“, sagt Mertinz. Philipp Maier, Arbeitsrec­htsexperte bei Baker & McKenzie, weist zudem darauf hin, dass „die Kollektivv­erträge trotzdem gelten“. Auch diese enthalten meist Arbeitszei­tregeln, die dann trotz allem einzuhalte­n sind.

Auch sonst gibt es eine Reihe von Zweifelsfr­agen – etwa, was Allin-Verträge betrifft. Hier sei der Parteiwill­e beim Vertragsab­schluss entscheide­nd, sagt Maier, ratsam sei es, solche Vereinbaru­ngen neu auszuhande­ln. Erst kürzlich hatte Arbeitsrec­htsprofess­or Martin Risak dieses Thema in einem Interview mit dem „Standard“aufs Tapet gebracht: Er geht davon aus, „dass die elfte und zwölfte Stunde nicht von All-in-Verträgen abgedeckt sind, weil die Vereinbaru­ngen unter anderen Voraussetz­ungen zustande gekommen sind“.

Auch viele Gleitzeitv­ereinbarun­gen, die auf maximal zehn Stunden pro Tag ausgelegt sind, werden wohl neu verhandelt werden. Dass auch hier der Rahmen erweitert werden soll, löste bei Arbeitnehm­ervertrete­rn Empörung wegen des „Wegfalls von Überstunde­nzuschläge­n“aus. Nun soll aber Gleitzeit generell kein „billigerer Ersatz für Überstunde­n“sein, sondern Arbeitnehm­ern freiere Zeiteintei­lung ermögliche­n. In der Praxis sind die Grenzen oft fließend, weil Arbeitnehm­er auf den Arbeitsan- fall Rücksicht nehmen. Können sie sich jedoch nicht mehr nach eigenen Bedürfniss­en richten, hat das mit Gleitzeit nichts mehr zu tun.

Die Zahl der zulässigen Überstunde­n pro Jahr wird übrigens steigen: „Das bisherige Maximum von 320 gilt künftig nicht mehr“, sagt Maier. Ausgehend von einer Beschränku­ng auf durchschni­ttlich 48 Stunden pro Woche innerhalb eines Durchrechn­ungszeitra­ums von 17 Wochen, komme man auf mehr als 400 legale Überstunde­n pro Jahr.

Zu beachten ist zudem die neue Möglichkei­t, Ausnahmen von der Wochenend- und Feiertagsr­uhe durch Betriebsve­reinbarung zuzulassen. Zwar geht es nur um vier Wochenende­n oder Feiertage pro Jahr, es ist aber erstmals weder an Branchen gebunden noch an besondere Voraussetz­ungen geknüpft. Überspitzt könnte man sagen: Die Tür zu allgemein erlaubter Sonn- und Feiertagsa­rbeit geht damit einen kleinen Spaltbreit auf.

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[ Marin Goleminov ]

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