Diese Stimme wird niemals alt
Vor fast einem halben Jahrhundert trat Edita Gruberov´a erstmals in der Wiener Staatsoper auf. Am Samstag bittet sie dorthin zum Solo-Recital.
Ein künstlerisches Phänomen. Aber auch ein physiologisches. Nimmt nicht die Fähigkeit der menschlichen Singstimme, höchste Höhen zu erklimmen, mit der Zeit ab? Verlieren Stimmen nicht an Beweglichkeit, gewinnen sie nicht dafür Körper, Sattheit, dramatischere Färbung? Edita Gruberova´ steht über allem, vor allem über solchen „Erfahrungswerten“. Wer hätte in den Siebzigerjahren auch nur ein Jota verwettet, dass das „Koloraturwunder“aus Pressburg auch noch vier Jahrzehnte später eine Ausnahmestellung im Belcantorepertoire genießen würde?
Wenn die Diva am 23. Juni zu einem Solo-Recital in die Staatsoper bittet, dann zieht sie auf ihre Weise Bilanz über beinahe ein halbes Jahrhundert ihrer Auftritte auf dieser Bühne. Im Februar 1970 erschien die junge Dame erstmals als Gast im Haus am Ring und gab die Königin der Nacht. Wenig später erklomm sie die Koloraturspitzen der Olympia in Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“– mit einer Leichtigkeit, dass selbst der souveräne Titelheld Waldemar Kmentt, der damals wahrlich nicht leicht zu verblüffen war, aus dem Staunen nicht herauskam.
Alsbald war Gruberova´ ein Mitglied des Staatsopern-Ensembles. Und sie sang brav die undankbarsten Partien vom Tebaldo im „Don Carlos“bis zur Hermione in Strauss’ „Ägyptischer Helena“, ihrer ersten Premiere im Haus: Konsequenterweise war das die kürzeste Rolle, die sie je zu singen hatte. Sie besteht gerade einmal aus einem Satz . . .
Die Klarheit des Soprans, das Ebenmaß der Stimmführung und die lupenreinen Spitzentöne waren bald legendär – man freute sich, wenn der Name Gruberova´ auf dem Wochenspielplan aufschien (vor Donnerstag wusste man damals ja nicht, wer in der kommenden Woche auf der Bühne stehen würde!). Bald schon sang sie die Konstanze, die Sophie, die Rosina, die mit ihrem hohen F schon einmal über die Wendeltreppe in Bartolos Haus herunter bis an die Rampe wandelte.
Die Begeisterung des Publikums äußerte sich stets eruptiv – und man wusste aus dem Repertoire auch, dass diese Sängerin die mörderischen Pas- sagen der Zerbinetta scheinbar völlig mühelos bewältigte, als die Neuinszenierung der „Ariadne auf Naxos“anstand: In der von Karl Böhm dirigierten Premiere markierte die große Arie dann – für die Welt via Rundfunkübertragung zu verfolgen – den endgültigen Durchbruch. „Die Gruberova“´ war geboren. Und der rare Fall trat ein, dass ein Operndirektor dem neuen Star zuliebe sogar seinen längst fixierten Premierenplan für die folgende Saison umwarf und die zuletzt mangels adäquater Titelheldin als unspielbar geltende „Lucia di Lammermoor“ins Programm nahm.
Der Rest ist Interpretationsgeschichte – und darf am kommenden Freitag noch einmal ausgiebig gefeiert werden.
Für die Gruberov´a schmiss Karl Böhm den Premierenplan um.