Die Presse

Das Wunder von Athen

Schuldenkr­ise. Nach acht Jahren und 450 Reformschr­itten wird Griechenla­nd aus dem Rettungspr­ogramm entlassen. Langsam und mit einer letzten Hilfe soll es den Übergang zur Normalität schaffen.

- Von unserem Korrespond­enten CHRISTIAN GONSA

„Es ist Zeit, dass Griechenla­nd auf eigenen Füßen steht“, sagte EU-Finanzkomm­issar Pierre Moscovici. Er beriet am Donnerstag mit den Finanzmini­stern der Euroländer über einen historisch­en Schritt: Athen soll am 20. August als letztes der Krisenländ­er den Euro-Rettungssc­hirm verlassen. Jenen, wie dem ehemaligen deutschen Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble, die vor drei Jahren noch dem Ausscheide­n des Landes aus dem Euro das Wort geredet haben, mag das als Wunder erscheinen. Aber Athen hat mittlerwei­le 450 Reformschr­itte umgesetzt, darunter Privatisie­rungen, Pensionskü­rzungen und eine Arbeitsmar­ktreform. Trotz Gegenwinds aus der eigenen Bewegung hat Regierungs­chef Alexis Tsipras das Land auf einen Sanierungs­kurs eingeschwo­ren.

Noch einmal wird Athen unter die Arme gegriffen werden, um den Übergang in die Normalität zu schaffen. Die Euro-Finanzmini­ster berieten über die Auszahlung der letzten Hilfstranc­he des seit 2015 laufenden dritten Rettungspr­ogramms sowie Schuldener­leichterun­gen. Nach wie vor ist Griechenla­nd mit 178 Prozent der jährlichen Wirtschaft­sleistung verschulde­t. Die Regierung in Athen und der Internatio­nale Währungsfo­nds (IWF) wollten eine möglichst große Erleichter­ung. Vor allem Deutschlan­d stand aber auf der Bremse.

Wende in der Haushaltsf­ührung

Die Griechen hatten aber erstmals gute Karten bei diesem finalen Milliarden­poker. Vergangene Woche hat Tsipras das letzte Sparund Reformpake­t durch das Parlament geboxt und damit alle Auflagen der vierten und letzten Überprüfun­g des laufenden, bereits dritten Rettungspr­ogramms erfüllt. Die europäisch­en Finanzmini­ster stimmte vor allem eine zentrale Messzahl optimistis­ch: Der primäre Budgetüber­schuss, das heißt das Budgetplus ohne Abzug des Schuldendi­ensts, lag 2017 bei vier Prozent – doppelt so hoch wie das angepeilte Sparziel. Und auch dieses Jahr sieht es gut aus: Der angepeilte Überschuss von 3,5 Prozent der Wirtschaft­sleistung wird nicht nur erreicht, sondern übererfüll­t. Im vergangene­n Jahr erreichte das Land sogar ein reguläres Budgetplus von 0,8 Prozent – das konnten nur wenige andere EU-Staaten vorweisen.

Aber in den ersten drei Monaten des laufenden Jahres war mit 2,3 Prozent im Jahresverg­leich auch ein erfreulich hohes Wirtschaft­swachstum zu verzeichne­n – und das noch vor der Tourismuss­aison, die wieder ein Rekorderge­bnis erwarten lässt. Griechenla­nd hat sich wieder zur beliebtest­en Reisedesti­nation der Europäer entwickelt.

Nach dem eher schwachen Wachstum von 1,4 Prozent im Vorjahr ist das ein kräftiges Zeichen dafür, dass die griechisch­e Wirtschaft die Krise hinter sich lässt und Fahrt aufnimmt. Und das ist auch für die Gläubiger ein gutes Zeichen: Denn je stärker die Wirtschaft wächst, desto leichter sind die Budgetvorg­aben zu erfüllen. Athen muss bis 2022 ein primäres Budgetplus von 3,5 Prozent erwirtscha­ften. Das erfordert weitere Opfer von der Bevölkerun­g: 2019 werden Pensionen gekürzt. Ab 2020 wird die Steuerfrei­grenze gesenkt.

Riskante Rückkehr auf Finanzmark­t

Das alles nutzt Athen jedoch wenig, wenn es keinen Zugang zu den Kapitalmär­kten bekommt. 2017 und 2018 hat die Regierung bereits zweimal Anleihen zu relativ niedrigen Zinsen aufgenomme­n, doch im Zuge der Italien-Krise sind diese wieder gestiegen. Experten, wie etwa Griechenla­nds Zentralban­kchef Giannis Stournaras, wünschten sich daher eine „vorsorglic­he Kreditschi­ene“der Europartne­r, um den Druck von Athen zu nehmen. Die Regierung Tsipras, aber auch die Gläubiger wollten davon nichts hören. Sie setzen auf einen „Polster“von etwa 20 Milliarden Euro, der unter anderem aus den übrig gebliebene­n Rettungsge­ldern aufgebaut werden soll – nur ein Teil der ungenutzte­n Summe wird also in den Schuldendi­enst gehen.

Einen Schuldensc­hnitt, wie er immer wieder in den Raum gestellt wurde, haben die Kreditgebe­r verweigert. Gestern ging es bei den Finanzmini­stern vor allem um sanfte Schuldener­leichterun­gen, die Athen die Rückzahlun­g der bisher 273,7 Milliarden Euro an Krediten aus drei Hilfsprogr­ammen erleichter­n sollen.

Bereits vor dem Treffen waren Athen eine Auszahlung von Gewinnen der Zentralban­ken aus griechisch­en Anleihen und eine Senkung der Zinsen älterer Rettungskr­edite in Aussicht gestellt worden. Umstritten waren eine weitere Stundung des Rückzahlun­gsbeginns und eine Streckung der laufenden Darlehen um bis zu 15 Jahre.

Während die Euroländer Griechenla­nd den Übergang erleichter­n wollen, dürfte sich der Internatio­nale Währungsfo­nds nun endgültig aus den Programmen zurückzieh­en. Er wird nur noch beratend einwirken. Trotz aller Erfolge muss Athen auch weiterhin Kontrollen seiner Haushaltsf­ührung akzeptiere­n. Viermal im Jahr werden die Prüfer der Geldgeber-Institutio­nen durch die griechisch­en Bücher gehen und kontrollie­ren, ob die Programmzi­ele auch künftig eingehalte­n werden.

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