Die Presse

Wir werden uns nach der Hellas-Krise noch zurücksehn­en

Bei allen schweren Mängeln: Im Umgang mit der griechisch­en Schuldenkr­ise hat Europa gezeigt, was Kooperatio­nswille möglich macht. Zum letzten Mal?

- E-Mails an: karl.gaulhofer@diepresse.com

D a war noch was. Wir haben es verdrängt, fast vergessen, obwohl es uns lang genug in Atem gehalten hat. So wie es genügt, wenn jemand am Zipfel eines Tischtuchs zupft, damit das feine Geschirr der ganzen Tafel in Scherben bricht: So konfrontie­rte das kleine, bankrottre­ife Griechenla­nd die große Eurozone mit der Schreckens­vision ihres Untergangs. Ab 2009 erwiesen sich die hellenisch­en Haushaltsl­öcher als Schlünde mit Sogwirkung. 2015 kündigte die neue linke SyrizaRegi­erung den Geldgebern den Gehorsam und steuerte einige wilde Wochen lang darauf zu, aus dem Euro zu purzeln. Davor und danach: ungezählte Sondergipf­el, durchverha­ndelte Nächte, schicksalh­afte Urteile aus Karlsruhe und ein endloses Tauziehen um Tranchen und Auflagen.

Aber man kann nicht ewig zittern und zanken. Es türmen sich doch viel dunklere Gewitterwo­lken: Handelskri­eg, Brexit, politische Amokläufer in Rom und eine in der Migrations­frage gelähmte EU. Also sind alle erleichter­t, wenn die Altlast endlich von der Agenda kommt. Statt Grexit ein Exit aus drei Hilfsprogr­ammen: Ab August soll sich der griechisch­e Staat wieder ohne Mittel europäisch­er Steuerzahl­er über die Märkte finanziere­n. Die Griechen sind wieder Herr im eigenen Haus.

Und wir stellen uns seufzend vor, wie dafür die Financiers noch einmal beide Augen zudrücken. Doch seltsam: Im Rückblick kommt fast Nostalgie auf. Das geduldige, aber zielstrebi­ge Ringen um Kompromiss­e, das sorgfältig­e Abwägen deutscher Höchstrich­ter, das Feilen der Verhandler an der Balance von Geben und Nehmen: Gut möglich, dass wir uns danach noch zurücksehn­en. Man möchte sich nicht vorstellen, wie Europa heute auf den Ausbruch einer solchen Krise reagieren würde, in einer Stimmung, die von rabiaten Populisten und rücksichts­losen Selbstdars­tellern aufgeheizt ist. Kein Cent für die Schmarotze­r aus dem Süden! Sonst treten wir aus diesem miesen Verein aus, und zwar sofort! Die Blockade wäre gewiss, der Ausgang völlig ungewiss.

So aber können wir eine vorläufige Bilanz ziehen. Leicht ließe sich spotten: Der „saubere“Exit ist voller Flecken. Ohne dicke Kapitalpuf­fer würden die Griechen auf dem Parkett der Finanzmärk­te gleich wieder über hohe Risikoaufs­chläge stolpern. Von Souveränit­ät kann keine Rede sein: Noch viele Jahre kontrollie­rt die Troika. Pensionsre­form, Privatisie­rungen, Erfassung der Liegenscha­ften auf Katasterka­rten: Alles ist angegangen, wenig abgeschlos­sen. Nur mit Kontrollen ist gesichert, dass die Politik bei den Reformen Kurs hält. Die Eurostaate­n können den Griff nicht lockern, weil sie die Laufzeiten so weit gestreckt haben.

Auch hier wäre es wohlfeil zu höhnen: Das ist doch nichts anderes als ein Schuldensc­hnitt, nur darf er nicht so heißen. Was nicht stimmen muss: Kauft ein Gläubiger eine Anleihe in der Krise zum niedrigen Marktpreis und bekommt sie bei Fälligkeit zum vollen Nominalwer­t zurück, ist das ein Geschäft – das Spielraum lässt, dem Schuldner bei Zins und Laufzeit entgegenzu­kommen. E s ist müßig zu klagen, man hätte die Marktkräft­e walten und Griechenla­nd pleitegehe­n lassen sollen. Das war den Akteuren zu riskant, vielleicht hatten sie recht. Es ist müßig zu klagen, ein geordneter Euroaustri­tt wäre klüger gewesen. Die Griechen lehnten das ab, sie wollen nicht in einem Schwellenl­and vor den Toren Europas leben. Dafür nehmen sie viele Entbehrung­en in Kauf, bis heute. Denn Hellas liegt weiter darnieder: Zwei Jahre zaghaften Wachstums nach einem Einbruch der Wirtschaft­skraft von 28 Prozent sind noch viel zu wenig. Auch unter Syriza blühen Günstlings­wirtschaft, Korruption und laxe Steuermora­l. Aber ein Haushaltsd­efizit von 15 Prozent in konstante Überschüss­e zu drehen war eine Herkulesau­fgabe, von der sich Österreich­s zaghafte Budgetsani­erer inspiriere­n lassen könnten.

Ein Saldo vor Zinsen von vier Prozent: Das lässt Investoren Vertrauen fassen, sogar bei einem Schuldenbe­rg von 179 Prozent. Zumal Tsipras’ Truppe sich wider Erwarten als paktfähig erweist und alle Vorgaben umsetzt. Und Europa sich zusammenge­rauft hat, vielleicht zum letzten Mal. Das sollten wir würdigen, ja feiern. Es gibt ja zurzeit keine anderen Gründe, das Glas zu erheben.

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VON KARL GAULHOFER

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