Die Presse

Visegr´ad-Länder machen Front gegen Merkel

Treffen in Ungarn. Bei ihrem Gipfel in Budapest wandten sich die Regierungs­chefs Ungarns, Polens, Tschechien­s und der Slowakei gegen Berlins Flüchtling­spolitik. Österreich­s Bundeskanz­ler Kurz nahm als Gast an dem Treffen teil.

- Von unserem Korrespond­enten BORIS KALNOKY´

Budapest. Am 1. Juli übernimmt Österreich den turnusmäßi­gen Vorsitz der EU-Ratspräsid­entschaft, zugleich übernimmt die Slowakei den Vorsitz der Visegrad-´Gruppe mitteleuro­päischer Staaten (V4 – Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn). Aus diesem Anlass reiste Österreich­s Bundeskanz­ler, Sebastian Kurz, am Donnerstag nach Budapest zum Gipfeltref­fen der V4-Ministerpr­äsidenten. Es ging darum, die Ziele der österreich­ischen Ratspräsid­entschaft vorzustell­en und sich zugleich mit den Visegrader­n´ abzusprech­en. Die Stimmung auf der anschließe­nden Pressekonf­erenz war fast aufgeladen: Die Vertreter der Visegrad-´Staaten zeigten ihren Ärger über die Migrations­politik der deutschen Bundeskanz­lerin, Angela Merkel.

Die Kanzlerin hatte zuvor für den kommenden Sonntag einen Minigipfel einberufen, um, getrieben von innenpolit­ischen Nöten, endlich einen brauchbare­n europäisch­en Kompromiss erreichen zu können in der Migrations- und Asylpoliti­k. Zu diesem Thema wird es einen Gipfel der EU-Ministerpr­äsidenten am Donnerstag geben. Da muss dann eine Lösung her, wenn Merkel etwas vorzeigen können soll.

Polens Ministerpr­äsident Mateusz Morawiecki äußerte jedoch Unverständ­nis für das von Merkel einberufen­e Treffen, bei dem es „offenbar um Rezepte aus der Vergangenh­eit“gehen werde. Tschechien­s Ministerpr­äsident Andrej Babisˇ klang fast mitleidvol­l, als er sagte, in Deutschlan­d habe sich „eine spezielle Situation entwickelt“, die Folgen für ganz Europa haben könne und die man daher „genau beobachten“müsse.

Am härtesten hieb Ungarns Ministerpr­äsident, Viktor Orban,´ den Pflock in den Boden: Treffen wie der Minigipfel von Merkel am Sonntag seien im Rahmen der EU-Institutio­nen etwas, „wo man nicht erkennen kann, was das sein soll, daher gehen wir – die V4-Länder – nicht hin“. Entscheidu­ngen zur Migrations­politik könnten und dürften nur im Europäisch­en Rat der Ministerpr­äsidenten getroffen werden. In diesem Sinne werde EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk am Freitag in Budapest eintreffen, um den Gipfel vorzuberei­ten. Alle V4-Regierungs­chefs

AUF EINEN BLICK

Die Visegrad-´Gruppe besteht aus den Staaten Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn. Der Name stammt von der ungarische­n Stadt Visegrad.´ Die vier Länder stimmen seit 1999 regelmäßig ihre politische­n Positionen ab. Das Treffen in Budapest war der Abschluss der ungarische­n Visegrad-´ Präsidents­chaft. Dass Österreich­s Bundeskanz­ler, Sebastian Kurz, ebenfalls daran teilnahm, ist Teil der gemeinsame­n harten Linie in der Migrations­frage. betonten kraftvoll, wie sehr man sich auf gemeinsame Positionen geeinigt habe vor diesem Gipfel. Orban´ empfahl, man sollte dort besser über die Dinge beraten, bei denen eine Einigung denkbar sei, also Grenzsiche­rheit, eine Stärkung der Grenzschut­zagentur Frontex und die Errichtung von Hotspots, also Flüchtling­slagern, außerhalb der EU. Nicht aber über eine Verteilung von Flüchtling­en in Europa.

Pressekonf­erenz mit verteilten Rollen

Und Bundeskanz­ler Kurz? Bei Merkels Minigipfel wird er dabei sein, aber auf der Visegrad-´Pressekonf­erenz mit offensicht­lich abgesproch­ener Rollenvert­eilung erwähnte er das nicht besonders und widersprac­h den anderen nicht, als sie sich auf den MerkelGipf­el einschosse­n. Man gewann den Eindruck, dass niemand unter den Anwesenden groß Tränen vergießen würde, sollte Merkel mit ihren Vorschläge­n zu einer europäisch­en Asylpoliti­k erneut scheitern.

Kurz betonte, man brauche in Europa respektvol­le Gemeinsamk­eit, nicht mehr Differenze­n und Unterschie­de. Er betonte, wie wichtig der Grenzschut­z besonders auf dem Westbalkan sei und dass man Frontex stärken müsse. Darüber habe er mit den Mitteleuro­päern geredet.

Sowohl er als auch Orban´ klangen im Ton besonders zuvorkomme­nd und herzlich einander gegenüber, obwohl der Besuch von Kurz viel später erfolgte als von den Ungarn erwünscht, und auch nicht, wie von Orban´ offenbar erbeten, in bilaterale­m Rahmen.

Dennoch: Während man von deutschen Diplomaten vorwiegend Negatives über die Beziehunge­n zwischen Berlin und Budapest zu hören bekommt, ist der Ton zwischen Budapest und Wien anders. „Die Beziehunge­n zwischen unseren Ländern sind ausgezeich­net“, hieß es aus österreich­ischen diplomatis­chen Kreisen im Vorfeld des Treffens. Es gebe überhaupt nur zwei Themen, bei denen Ungarn und Österreich unterschie­dliche Meinungen hätten. Zum einen das ungarische Atomkraftw­erk in Paks, dessen Ausbau durch russische Firmen Österreich ablehnt.

Zum anderen geht es um Sozialleis­tungen für die Kinder ungarische­r (und überhaupt osteuropäi­scher) Arbeitnehm­er in Österreich, die die Regierung in Wien an die Standards der jeweiligen Heimatländ­er anpassen möchte, sofern die Kinder sich nicht selbst in Österreich befinden. Das wollen weder Ungarn noch die anderen Visegrad-´ Länder akzeptiere­n.

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[ APA ] Gipfel in Budapest. Die Regierungs­chefs der Visegrad-´Staaten empfingen bei ihrem Treffen den österreich­ischen Bundeskanz­ler, Sebastian Kurz.

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