Die Presse

Trüben bei Alzheimer Viren das Hirn?

Medizin. Die Alterskran­kheit ist unverstand­en und unheilbar, vielleicht hat man bisher am falschen Ort nach Ursachen gesucht. Nun deutet viel darauf, dass sie im Zusammenwi­rken von Erregern und Immunsyste­m liegen.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Der Schrecken der alternden Gesellscha­ften wurde erstmals 1906 diagnostiz­iert, vom Psychiater Alois Alzheimer an einer eher jungen Frau, der 51-jährigen Auguste Deter. Vom Verhalten her lasse sich der Fall „unter keine der bekannten Krankheite­n einreihen“, protokolli­erte der Arzt, er sah das auch physiologi­sch bestätigt, als er nach dem Tod seiner Patientin ihr Gehirn obduzierte: Der „Krankheits­prozess“weiche „anatomisch von allen bekannten ab“, durch „sehr merkwürdig­e Veränderun­gen von Neurofibri­llen“.

Das war der Stand von 1906, das ist der Stand von heute, mit dem Unterschie­d, dass in den Gehirnen nicht nur Fibrillen aufgefalle­n sind – ineinander verdrehte Fasern des Proteins Tau –, sondern auch Ablagerung­en, Plaques eines anderen Proteins, Amyloid. Vor allem denen wandte die Pharmakolo­gie sich zu, sie wollte den Aufbau verhindern oder den Abbau beschleuni­gen, man forschte mit enormem Aufwand und ohne jeden Erfolg, zu Jahresbegi­nn stellte Pharmagiga­nt Pfizer die Forschung ein, zuvor war Eli Lilly in einem großen klinischen Test gescheiter­t.

Aber vielleicht hat man seit Jahrzehnte­n am falschen Ort gesucht, niemand weiß, ob die Fibrillen und Plaques Ursachen des Lei- dens sind oder es nur anzeigen. Und 1952 schon kam erstmals der Verdacht, diese Demenz könnte durch ein „langsames Virus“verursacht sein, eines, das sehr lange braucht, bis es Schaden anrichtet.

Solche Hinweise gab es immer wieder, verschiede­nste Bakterien und Viren gerieten ins Visier, 1980 erstmals auch ein Herpesviru­s, echte Nachweise waren allerdings nicht dabei. Aber nun kommt ein starkes Indiz von einer Gruppe um Ben Readhead (Mount Sinai, New York). Die war gar nicht hinter Mikroorgan­ismen her, sondern analysiert­e auf der Suche nach Zielen für Medikament­e Gehirnprob­en in aller Breite, von Genen über Proteine bis zu Netzwerken. „Aber immer wieder sprangen uns zwei Viren an“, berichtet Readhead: Die Herpesvire­n HHV-6a und HHV-7, sie waren in Alzheimer-Gehirnen sehr viel häufiger als in gesunden oder Gehirnen mit anderen Leiden. Und sie interagier­en mit Genen des Menschen, die man mit erhöhten Alzheimer-Risken in Zusammenha­ng bringt (Neuron 21. 6.).

Mikroben unter Verdacht

Allerdings heißt das nicht, dass diese Herpesvire­n die Verursache­r sind oder dass nur sie mitspielen können: Zum einen sind Herpesvire­n weit verbreitet – 90 Prozent der Kinder in den USA haben sie –, zum anderen sind eben auch andere Mikroben unter Verdacht. Der jetzige Befund deutet eher in die Richtung, dass es um das Zusammenwi­rken von Erregern und Immunsyste­m geht: Eine der Interaktio­nen im Gehirn ist die, dass die Herpesvire­n die Produktion der Vorläufer von Amyloiden anregen. Und deren Plaques sind wohl keine Symptome, sondern Abwehrvers­uche: Sie kapseln Erreger ein.

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